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Sechs wanderlustige Gesellen, den verschiedensten Alters- und Berufsklassen angehörend, zogen wir in der Walpurgisnacht um 12 Uhr gen Süden, unt den holden Mai zu begrüßen. Es war kein freundliches Gesicht, das er uns beim Antritt seiner Herrschaft zeigte. Aus dem Westen pustete er uns Regenböen ins Gesicht und über unsere Berge strichen eilende Wolkenfetzen. Es war ein rechtes Hexenwelter. Wir sahen die letzten Walpuraisfeuer ver glimmen und der Vollmond spendete hinter seinem Wolkenschleier nur ein spärliches Licht, das die Landschaft mit fahlem Schimmer übergoß. Unsere Stimmung war trotzdem recht gut und manch fröh liches Völkchen, das uns in ausgelassener Walpurgislaune entgegen kam, tauschte den ersten Maien - Morgengruß mit uns. Bald lag die Stadt, bald lagen auch Großpostwitz, Wurbis, Erntekranz, Oppach hinter uns. Und nun begann von Neusalza aus eine fast ununterbrochene Wanderung durch die häuserreichen, in tiefem Schlummer liegenden Ortschaften des Oberlandes. Auf dem Schlechtebcrg schien man noch im grauenden Morgen den Maien. Einzug zu feiern, denn die Fenster der Humboldt-Baude waren noch hell erleuchtet. Nur der Kottmar lag finster und verdrossen; er schlief einem trüben Maienmorgen entgegen. Da, ein Iubelton in den Lüsten! Die ersten Lerchen stiegen aus und begannen ihr Jubi lieren hoch über uns. Da begann auch die liederfröhc Brust unseres Wandergenosscn Mütterlein zu schwellen und mit frohem Gesang marschierte er uns oman. Wer recht in Freuden wandern will, der geh der Sonn entgegen. Wir gingen ihr zwar entgegen, doch wir sahen sie nicht. Aber ihr allgewaltiges Licht erleuchtete doch unseren Weg und trotz allem Gewölk siegte der neue Tag. Als wir nach ununterbrochenem Marsch die Höhe von Herwigsdorf erreichten, da lag vor uns, Im Kranze seiner herrlichen Berge, das erste Wander ziel: Zittau. In den Becher unserer Freude aber fielen gleich zeitig Vie ersten Wermutstropsen, denn: Sechs Wandrer hielten gleichen Schritt, War'n durchgeregnet schier, Zwei kamen plötzlich nicht mehr mit, Da blieben nur noch vier. Schade! Meinem treuen Wandergenossen Schulmeister vom letzten Marsch Bautzen—Stolpen—Pirna—Königstein—Schandau— Neustadt—Bautzen war ein Schuh wasserdurchlässig und damit un brauchbar geworden, und der Dresdner Sportler Baumgarten hatte die Kleidung nicht entsprechend gewählt, so daß beide zu allseitigem Bedauern die Weilerwanderung aufgeben und nach Hause fahren mußten. Es blieb also nur noch das vierblättrige Kleeblatt Mader- Mütterlein—Henkner—Nicke, das sich den frischen Morgenkaffee und das knusprige Gebäck bei Dörings in der Weberstraße gut schmecken ließ. Wie wohl das nach 7'/e stündigem Marsch tut! Neu gestärkt zogen wir dann wieder fürbaß gen Hirschfelde, nach dem wir die beiden Radfahrer, welche uns die „Zittauer Morgen zeitung" in liebenswürdiger Aufmerksamkeit entgegengesandt hätte, mit den nötigen Instruktionen für unsere per Räd nachfolgenden „Kilometerzähler" versehen hatten. Bald sahen wir die weithin sichtbaren großen Schornsteine des Kraftwerkes Hirschselde vor uns. Von rechts drüben grüßte uns Türchau, das „sterbende Dorf", dessen Schicksal es ist, von dem Moloch Industrie allmählich ausgezehrt zu werden. Doch unser Obcrlausitzer Heimatdichter und Dramatiker Wilhelm Friedrich hat dem schmucken Dörslein, das dem Unter gänge geweiht ist, ein literarisches Denkmal gesetzt. — Wir sind in Hirschselde und siehe da: Bier Mann marschierten ungeschor'n Im jungen, holden Mai, Der eine hat sein Herz verlor'», Da blieben nur noch drei. Um ein Haar wärs so geworden und das kam so: 2m Morgen glanz der Maiensonne sah'n wir ein Mägdlein hold ... Es kam uns entgegen, so wunderlieblich anzuschauen, so nett und so fein, so knusprig und appetitlich, daß im Nu drei Herzen (na, so mögen's denn schon alle vier gewesen sein) schneller zu schlagen begannen und das eine auch wirklich und wahrhaftig Feuer fing. Welches, das wird der geneigte Leser später leicht erraten können. Ein scherzend Wort, ein lieber Blick — das Traumbild war vorüber, denn der Wanderer: Er sieht manches Mädchen, er sieht manchen Ort, doch fort muß er wieder, muß weiter fort. Man verzeihe die kleine Verbiegung des Urtextes, aber es paßte gerade so schön. — Ein Zufall, dem wir heute noch dankbar sind, führte uns bet Rohnau (dem lieblichen Geburtsort des Komponisten Julius Gatter) in das herrliche Neiße-Tal. In sanften Windungen fließt die Neiße hier als stattlicher Fluß zwischen prachtvoll bemal- deten Höhenzügen hindurch. Wir folgten ihrem Laus und genossen, immer auf weichen Waldwegen gehend, den herrlichen Anblick der im Frühlingsschmuck prangenden Uferhänge. Obgleich wir die Nähe eines schwülen Mittags im Nacken spürten, waren unsere Herzen doch übervoll von Hellem Entzücken und seligem Wandergliick über soviel Schönheit um uns. Kein Wunder, daß Freund Mütterlein, der uns schon den trübgrauen Morgen mit manchem stimmungsvollen Marschliede belebt hatte, in überguellendcm Gefühl reiner Freude (und in Erinnerung an eine gewisse Begegnung!) ein herziges Lied unseres unvergeßlichen Hermann Löns in den sonnendurchlcuchteten Wald schmetterte. Ich entsinne mich nur noch der letzten Strophe dieses echten Löns-Liedes, sie lautete: Ei du Hübsche, ei du Feine, Ei du Bild von Milch und Blut! Unsre Herzen wolln wir tauschen, Und du weißt, wie gut das tut . . . „So, nun habe ich mirs vom Herzen herunter gesungen!" sagte unser Freund und wir zollten ihm, der wie selten einer in Schönheit zu wandern versteht, den verdienten Beifall. War er doch auch der Dolmetsch unserer Empfindungen gewesen . . . Als das Neiße-Tal nach etwa einstündiger Wanderung breit ausladend sich in flachere Landschaft verlief, lag vor uns, wie ein Mürchcnschloß mit Kuppeln und Türmchen, mit prächtigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden, das Kloster Marienthal. Das architekto nische Gesamtbild dieses wundervoll ins Tal gebetteten Klosters ist von großem Reiz und gar zu gern hätten wir hier gerastet. Doch unser vorausbestimmtes Ziel war der Ratskeller in Ostritz, wo wir mit den auf Fahrrädern uns gefolgten Kontrolleuren (cs sollte ja auch ein Ausdaucrprllfungs-Marsch sein) zusammenzutreffcn hofften. Wir durchschritten den geräumigen Klosterhof und bald nahm uns das saubere Städtchen Ostritz auf, wo unsere beiden radfahrenden Freunde Schwarz und Spamann bereits warteten. Die Zeitungen der Ostlausitz hatten Sorge getragen, däß unser großangelegter Wanderplan hier schon bekannt war und man brachte unserem Vor haben reges Interesse entgegen- Nach kurzer Stärkungsrast ging es in etwas schweigsamem Trott (es war unser Mittagsschläfchen im Gehen) über Leuba, Nikrisch, Deutsch-Ossig, Leschwitz nach Görlitz. Fast zwei Stunden lang hatten wir das Gesamtbild der schönen Neißestadt mit der links abschließenden Landeskronc vor uns liegen, bis wir endlich gegen >/s4 Uhr nachmittags auf der Höhe des Gör- litzer Schützenhäuses cinpassiertcn. Auch hier war man bereits „orientiert" und unsere Beine wurden von den Anwesenden ent sprechend gemustert, hatten sie doch auch schon 85 Kilometer bewältigt. Das erschien denn auch unserm Freund Mader Tagewerks genug. Er „baute" in Ehren ab, d. h. er hatte als ältester Teilnehmer wett mehr geleistet, al- wir alle ihm im günstigsten Falle zugetraut hätten. Er blieb in bester Laune bei unseren ebenfalls eingetroffenen Rad fahrer», wir aber wanderten nach kurzer Kaffee - Pause durch die belebten Straßen von Görlitz unseren letzten Zielen zu: Reichenbach- Löbau—Bautzen. Und siehe da, Freund Mütterlein, Er bracht's dis hundertdrei, Und ging dann langsain hinterdrein, Born blieben nur noch — zwei. Wir hätten den lieben Wandergenoffen mit dem sonnigen Ge müt noch gern bis zum Endziel in unserer Gesellschaft gesehen, doch wir mußten unser Marschtempo steigern, um noch vor Sonnen untergang ein gut Stück Weges zurückzulegen. Wir ließen also unfern Minne-Sänger zurück (d. h. wir verließen ihn nicht etwa treulos, sondern es war dies sein eigener von Rücksicht auf beide Teile diktierter Wunsch), der dann gemächlich im Abendsonnenschein nach Reichenbach gepilgert und von dort, befriedigt von der recht stattlichen 103-Kilometer-Tagesleistung, mit der Bahn nach Hause gefahren ist. Indessen marschierten wir beiden Letzten durch das in der Kriegsgeschichte Napoleons besonders genannte Markersdorf, wo unmittelbar an der Straße unter mächtigen Bäumen der große Denkstein Marschall Durocs steht, des Lieblingsgenerals Napoleons I. Bei einem Vorhutgefecht nach der Schlacht bei Bautzen (Mai 1813) wurde Duroc hier an der Seite seines Kaisers von einer tod bringenden Kanonenkugel getroffen. Ob Frankreich noch weiß, wie sorglich man dieses Ehrenmal auf deutscher Erde geschätzt und gepflegt hat? Die untergehende Sonne beleuchtete noch einmal die Landes- Krone, als wir in flottem Tempo gen Reichenbach marschierten. Hier wurden wir von unseren Radfahrern überholt und da wir gern noch vor 9 Uhr in Löbau sein wollten, so legten wir die letzten 8 Kilometer bis dahin in einer Stunde zurück, was uns nicht sonderlich schwer gefallen ist, zumal uns vom Rctstein und vom Löbauer Berg her ein kühles Lüstchen erfrischte.. Eine kurze