Volltext Seite (XML)
Erste Liebe Heimatgeschichtchen von Anna Dix, Zittau ein stilles Dorf mußt du denken, an ein Heimatdorf mit MW bunten Blumengärten vor den kleinen Häusern, — mit MW? dichtem Fliedergesträuch, dem Schatten hoher Linden und mit abendlichem frommem Geläut, — wenn du die Ge. schichte vom Mariechen liesest. ... Seit dem Herbst nun schon hatte Mariechen ihr Lager nicht mehr verlassen, und setzt war der Frühling nahe. Den ganzen vergangenen Sommer schon hatte sie schweigend gelitten. Sie fröstelte beständig. Gin leises Zittern überlief zu weilen die schmalen Schultern, — und wenn ihre Hände, die der stählerne Wille in dem zarten Körper wieder und wieder zur Arbeit zwang, abends in ihrem Schoße ruhten, hatte die Schlaff heit der blassen Finger etwas Greisenhaftes. Bis zum Herbst war Mariechen Siegerin geblieben in dem steten harten Kampf mit dem mächtiger werdenden Leiden. Einmal, als sie mit der Mutter arbeitend am Herde saß, glitt die Näherei plötzlich aus ihren Händen. Die Mutter schaute erschrocken her über und gewahrte, daß Mariechens Kopf mit den geschloffenen Lidern zurückgesunken war. Sie bettete ihr Kind auf dem Lager drüben in der Kammer, — und hier lag Mariechen noch, als der Frühling nahte. Das vergangene Jahr noch war Mariechen gesund gewesen. Reinhard, der Sohn des reichen Bauern auf dem benachbarten Hose, hatte oft mit Mariechen gespielt, als sie noch Schulkind war. Sie hatten eine eigene stille Art, mit einander zu verkehren, der frische, starke Zunge und das ernste Kind. Sie sprachen mit- einander über Tiere und Pflanzen, und ihn freute es, wie Marie chen die Seele der Wesen belauschte. Wenn die Mutter es er- staubte, ging Mariechen an Hellen Sommerabenden nach der Arbeit zu Reinhard hinüber. Dann saßen sie Hinter dem Hause unter der hohen alten, herrlichen Linde, freuten sich der Sterne und waren wunschlos. Zwölfjährig war Mariechen zu jener Zeit, aber reif in der Tiefe und Kraft jeder ihrer Empfindungen. Die fast unbegrenzte Fähigkeit der Hingebung verlieh der jungen Seele eine Größe, darüber der Mutter Liebe ehrfürchtig wachte. Reinhard war drei Jahre lang in der Fremde, und als er nach seiner Heimkehr zum ersten Mal wieder zum Tanz unter die Nußbäume beim „Kruge" ging, stand Mariechen abseits. Zhre großen Augen strahlten ihn an mit unverhohlener wahrer Freude. Auch sein Blick leuchtete auf. Er trat zu ihr und bat sie, wie ein erwachsenes Mädchen, um einen Reigen. Ihre zarte Gestalt schien in seinen Armen zu schweben. Als sie nach diesem Tanz zur Mutter heimkehrte, war ihr Gesichtchen gleichsam verklärt. Die Mutter lauschte dem Bericht mit stolzer Freude, darein eine leise Angst sich mischte. Aber ihr Bangen schwand bei des Kindes Worten. Nein, keines Wun sches Wehmut durchzitterte den Jubel der Kleinen. Oft, wenn die Mutter an Mariechens Lager saß, stand ihr das strahlende Antlitz des Kindes an jenem Tage wieder vor Augen, und sie mußte sich abwenden von dem schmalen Antlitz in den Kiffen, um ihre Tränen zu verbergen. — Mariechen klagte nie. Sie sprach wenig, und dann mit dem festen Ernst, der ihr stets eigen gewesen. Die Mutter beobachtete sie unausgesetzt und erkannte, daß eine verschwiegene Sehnsucht das starke junge Herz erfülle. Lange sann sie vergeblich nach, und der sichere Instinkt der Liebe bewahrte sie vor der leisesten, tastenden Frage. Bis Mariechen im Traume sich selbst verriet. Sie hatte einen Namen auf den Lippen in den Träumen ihrer Siebernächte, — einen Namen, den sie bald mit tiefer Sehnsucht rief, — bald mit erschütternder Klage. Am Morgen nach einer solchen Nacht, als eine Freundin zu Mariechen gekommen war, machte die Mutter sich auf, und ging hinüber zum Gehöft des reichen Nachbarn. Reinhard war im Hofe tätig bei ihrem Kommen. Eine schöne Freude erhellte sein Antlitz, als er Mariechens Mutter sah, und er ließ sofort von seiner Arbeit ab. Es war ein sonniger, warmer Morgen, und er führte seinen Gast ehrfurchtsvoll zu der stattlichen Bank Hinterm Wohnhause, wo er so oft mit dem Kinde gesessen hatte. Die Linde gab noch keinen Schatten, das reiche Gold der Frühlingssonne lag voll auf dem Scheitel der gebeugten Frau. Er vermochte den Blick schwer abzuwenden von den verfrüht gealterten Zügen, die denen Mariechens einst geglichen habe» mußten. Sie sprach ihre Bitte mit an tiefer Erschütterung gedämpfter Stimme. Ihre jung gebliebenenAugenschautenvertrauensvollzu ihm auf aus dem welken Antlitz. Er antwortete nicht. Aber seine Rechte schloß sich fest um ihre Hand. Zu ihrer Linken schreitend, geleitete er sie bis zum Torweg zurück. Er schaute ihr nach, wie sie mit beschleunigtem Schritt heimeilte zum Krankenlager ihres K'ndes. Dann trat er zurück ins Haus und wußte nicht, daß seine Augen feucht waren. Noch am selben Nachmittag ging er, mit seinem Sonntagsrock angetan, hinüber zu Mariechen. Die Mutter hatte sie vorbereitet. Sie erwiderte nicht, — aber ihr schmales Antlitz blühte auf in zarter Fceudenröte. Die Hände über derDecke gefaltet, lag sie regungslos, den leuchtenden Blick zur Tür gewendet. Er hatte Veilchen mitgebracht. Die Mutter trug sie voran, er folgte mit behutsamen Schritten. Und er, der in der Fremde oft tagelang des Kindes nicht gedacht hatte,—nun, da er sie vor sich sah in ihrer Hilflosigkeit, den Schimmer naher Verklärung auf der blaffen Stirn, —nun fühlte er: es war eine unbewußt gehegte holdselige Hoffnung, die hier vor seinen Augen starb. Sich beherrschend, ließ er sich mit ruhiger Bewegung an ihrem Lager nieder. Die gesunde Kühle seiner Hand schien die Glut ihrer Stirn zu lindern. Sie atmete, wie in sanftem Wohlgefühl, ruhi> und tief. Ihre Lider schlossen sich halb über den strahlenden Augen. Zwischen den langen dunklen Wimpern hervor umfing ihn ihr Blick, als sättige sich ihre Seele an seinem Anblick. Bon Stund an kam er täglich, und stets brachte er ihr Blumen, wie das aufstcigende Jahr sie gab, nach den Veilchen die großen Glocken der Märzenbecher, volle Fliederdolden und seine blühende Zweige von der Linde neben der vertrauten Bank. Auch Rosen erfreuten sie noch. Als er ihr die ersten brachte, fragte sie ihn, wie weil die Lilien seien. Er meinte, daß sie reich in Knospen stünden, da lächelte sie zufrieden. Sie liebte es, daß er die Blumen lose über ihre Decke ver streute. Er wagte keine Weigerung, um nicht zu verraten, daß er ihre Gedanken wisse. Sie ward heiterer von Tag zu Tag, wäh rend er tief und tiefer hineinwuchs in seinen Schmerz. Einmal verlor er die Herrschaft über sich selbst. Ec glaubte sie eingeschlafen unter der Beruhigung seiner tröstenden Hand. Den quälenden Zwang von sich werfend, betrachtete er inbrünstig da» reine Kindesantlitz, die feinen Linien der Gestalt, die sich leise abzeichneten unter der mit Blumen überstreuten Decke. Und ihm war, als lege sich schon jetzt die feuchte Erde um ihre Gestalt. — als greife eine grausame Hand zerstörend schon jetzt nach dem jungen Körper. Pon Grauen geschüttelt, ließ er sein Haupt schwer auf ihrKiffen sinken, als er ihre Stimme vernahm: „Sei still! — ich fürchte mich nicht." Am Tage, als er ihr Lilien brachte, war sie schmerzenfrei. Un- geduldiger als sonst hatte sie ihn erwartet. Beim Anblick der Blumen ging ein Leuchten über ihr Antlitz, wie die Gewißheit naher Erfüllung. Als er, die Blumen auf ihre Decke zu streuen, sich zu ihr neigte, legte sie, wie in plötzlich erwachender Kraft, die Arme um seine» Nacken. So verharrten sie, Auge in Auge, in stummer Zwie sprache, bis Mariechens Glieder im Krampf erstarrten und ihr Blick sich schloß. Behutsam löste er ihre Arme von seinem Halse und faltete ihre Hände aus derDrust. Noch einmal schlug sie die Augen auf, im heißen Dank die Mutter zu suchen, die am Fuß ende des Lagers stand. Dann kehrte ihr schon vom nahen Schaue» verklärter Blick zurück zu ihm, auf seinem Antlitz zu rasten, dl» er erlosch. Da trat Reinhard zurück, daß dir Mutter Mariechens Auge» zudrücke.