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Fünf Jahre hatte Nesen in vollen Zügen das Glück des Wittenberger Lebens genossen, da ward ihm (Januar 1530) eine eigenartige Berufung überbracht. Er sollte am Hose des Königs Ferdinand von Böhmen Rechtsbeistand werden. Wie kam er dazu? Sein Rus als gewiegter Jurist hatte ihm auch außerhalb Wittenbergs einen Namen verschafft. Nun war kürzlich ein epochemachendes juristisches Werk von einem „von Schwarzenberg" erschienen, das man die Bamdergensis nannte, da es vom Bischof in Bamberg ge billigt worden war. Um dies für die Wittenberger Biblio thek zu erwerben und näher zu studieren, hielt sich Nesen eine Zeitlang in Leipzig aus. Im dortigen Gasthaus traf er mit dem juristischen Rat des böhmischen Königs Markwart zusammen, aus den Nesens Gelehrsamkeit und praktischer Verstand einen großen Eindruck machte. Und da Markwart seinerseits „nicht fern vom Evangelium zu sein schien," erschloß sich ihm Nesen willig; beide wurden Freunde, traten in Briefwechsel, und auf dieses Markwarts Vor schlag berief der König Nesen. Luther und Melanchthon redeten ihm zu, da König Ferdinand, obgleich ein Bruder Kaiser Karls, für tolerant galt. Und Nesen ging nach Prag. Dieser Prager Aufenthalt war für seine spätere Stellung in Zittau von Bedeutung. Er lernte den Hof des Herrschers von Böhmen und der Lausitz kennen, seine Freunde und Feinde; ja dem König selbst, seiner Gemahlin und seinem Sohn trat er näher. Gleich in der ersten Audienz erwiesen sich die Majestäten sehr huldvoll. Da Markwart nur von einem Nesen in „Leipzig" gesprochen hatte, brauchte das Wort Wittenberg nicht erwähnt zu werden; dagegen hob Nesen durch seine Schilderung von Paris sehr ein. An Arbeit fehlte es ihm nicht; vor allem galt es, den schleppenden Geschäftsgang zu beschleunigen und der Ein führung der Rechtsprechung nach der Bamdergensis die Wege zu ebnen, diese durch Vorträge zu erläutern und danach klarere Urteile und Entscheidungen in der Justiz herdet- zuführen. — Vor allem lag es Nesen am Herzen, für das Evangelium den Boden zu bereiten, ja selbst dem König eine milde Auffassung vom Protestantismus beizubringen. Vorsicht war ja sehr geboten, denn es fehlte nicht an Leuten, die ihn beim König zu verdächtigen suchten; mußte es doch schon ausfallen, daß Nesen nie in der Kirche zu sehen war, — aber voll Freude schrieb er des öfteren an Luther, wie sehr die Bürger „ihren Hus noch lebhaft im Gedächtnis hätten, so daß er doch Hoffnung habe, einiges zu erreichen." Zu Hilfe kam ihm das Ereignis des 25.Iuni jenes Iahres(1530), die Übergabe der von Melanchthon verfaßten Apologie des protestantlschen Glaubens auf dem Augsburger Reichstag, die von den verschiedensten deutschen Fürsten unterzeichnet ward. Diese mannhafte Tat stärkte ihm das Vertrauen auf die gute Sache. Und Gott stand ihm ganz augenscheinlich bet: Eines Tages wollte ihm der Erzieher des jungen Prinzen Maximilian (namens von Logau) den Untergang bereiten. Er beschuldigte Nesen in Gegenwart der Majestäten eines zu vertraulichen Verkehrs mit dem Prinzen. Nesen aber konnte sein Verhalten als das geziemendste nachweisen, Markwart trat ihm als Zeuge bei, und der Ankläger (von Logau) wurde entlassen. Bet dieser Gelegenheit war es, daß Nesen, der sich in seiner Unterhaltung mit den Majestäten aus verschiedene Aussprüche Jesu bezogen hatte, auf Wunsch der Königin, die von der Bibel noch nichts zu wissen schien, ganze Partien aus dem Neuen Testament vorlesen durste. Ja, die Majestäten beriefen bald, auf Nesens Rat, zum Er zieher des Prinzen einen Dr. Schiesser aus Wittenberg, der in der Folge seinen Zögling nach den Grundsätzen einer evangelischen Erziehung unterrichtete. Dieser Umstand ward für die Geschichte der Reformation im allgemeinen wie speziell der Lausitz von großer Bedeutung, denn auf Grund dieser Erziehung allein konnte Maximilian als Kaiser den Protestanten freie Religionsübung gestatten. (1555.) Nach dreijährigem Aufenthalt in Prag war Nesen des aufreibenden Hoflebens und vor allem der Intrigen der Damenwelt überdrüssig. Er bat aus gesundheitlichen Grün den um seine Entlassung, die ihm „schweren Herzens, ab^r gnädigst" gewährt wurde, und atmete aus, als er Prag im Rücken hatte und wieder in den Kreis seiner Wittenberger Freunde zurückkehrte. Es war ihm wie dem Vogel, der, dem goldenen Käfig entschlüpft, wieder Freiheit einsaugt und frische Nahrung findet. Gott hatte ihn zu Höherem berufen. Nicht lange nach seiner Rückkehr und nachdem er in Wittenberg zum Lizen tiaten der Rechte aufgestiegen war, trat die Wendung im Leben Nesens ein, die ihn für uns bedeutsam macht. Eines Tages trat Melanchthon bei ihm ein und sprach: „Es trifft sich glücklich für Euch, die ihr ein Euch zusagendes Amt sucht. Der Rat der Stadt Zittau in der böhmischen Lausitz hat mich gebeten, ihm einen rechtskundigen Mann zu senden, der anfänglich das Amt eines Syndikus über nehmen, später aber Bürgermeister werden soll. Natürlich muß er protestantisch sein." Nesen zog Erkundigungen ein. Die Bewohner der böhmischen Markgrasschast standen nicht im besten Rus; ja viele Deutsche wußten überhaupt nichts von der Lausitz; denn bedeutende Männer hatte sie noch nicht heroorgebracht. Melanchthon aber stellte Nesen die Ausgabe, ein niedrtgstehendes Volk zu heben, als eine herr liche vor, und das schlug durch, denn die sonstigen Bedin- gungen waren günstig. Vor allem schien Zittau eine reiche Stadt und daher in der Lage, die Reformation, der sie zu getan war, zu fördern. Nesen bestieg sein Roß und erreichte feine neue Heimat Ende Juli 1532 oder 1533 (nach „Neues Archiv für Sächsische Geschichte und Altertumskunde" 32. Band I. und II. Heft, Dresden 1911, zog Nesen 1533 nach Zittau, vom Rate mit allen Ehren empfangen). In seinem neuen Amte hatte der neue Syndikus mit starker Hand einzugreifen. Es gab viel Verbesserungs bedürftiges, und die Verwaltung hatte etwas Schwerfälliges und Kleinliches. Dor allem herrschte in der Bürgerschaft nicht immer der beste Geist. Das „Protzentum" machte sich breit, und der Rat stand einer weitverzweigten Sippe macht los gegenüber, die an Ämtern und Würden zäh sesthielt. Die Ärmeren dagegen zeigten sich roh, ungebildet und oft charakterlos. Em fester Stamm und gute Gesinnung fand sich nur bei den Handwerkern. Sie mußte Nesen stärken, wenn er etwas erreichen wollte. Und was er sich als Ziel setzte, war neben der Re sor- mation die Einführung und feste Einwurzelung einer so- liden Finanzwirtschast — die uns ja hier nicht Interessiert. Boden hatte die Reformation bis dahin noch wenig gefaßt. Ließen z. B. die Cölestiner vom Kloster St. Parakleti aus dem nahen Oybin, die im „Bäterhaus" in der Stadt ihr Absteigequartier hatten, Brot an die Armen verteilen, dann zeigten sich diese als Katholiken; gab dagegen der Rat Brotspcndcn aus, dann besuchten dieselben Gabenempsänger die protestantischen Gottesdienste. Und die Oybiner Mönche? Ja, 20 hatten bereits ihre reizvolle Heimstätte verlassen, die Schriften des Reformators hatten es ihnen angetan, 12 aber saßen noch fest in der Felsendurg.