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Nr. 2S Svectaufltzer Hetmatzettung 2-1 besonders zauberhaften, an Wundern reichen, das der Dichter in Krischa erlebte. Es war am Heiligen Abend. Er wäre, wie immer, der schönste Tag im Jahr gewesen, wenn nicht gerade diesmal des Winters böses Weib, die Kälte, in Krischa eingetroffen wäre. Nun strich sie durch alle Straßen, hohläugig und mit pfeifendem eisigen Atem. Sie warf den Menschen spitze Eisnadeln ins Gesicht und trieb sie mit harter Jaust in die Häuser. Hie und da versuchte sie es, sich mit ins Haus zu drängen. Aber sie kam nur bis in den Flur. Doch wagte sie es, eine Stubentür zu öffnen, so klotzte sie ein großer Kamin mit seinen roten Augen zornig an und spie ihr eine wahre Glutwelle von Haß entgegen, sodaß die Kälte zurückprallte und die Tür rasck wieder schloß. Mißmutig wanderte die Kälte weiter, bis sie vor die Hütte des Dichters kam. Sie betrat un gehindert das ärmliche Stübchen, und hier fand sie Rast und Ruh'. Stumpf und mit toten Augen stand der Ofen in seiner Ecke. Er war ausgehungert, hatte keine Kohlen erhalten und war daher gleichgültig und gefühllos gegen alles. Zuerst schritt die Kälte auf den Dichter zu und blies ihn mit einem frostigen Hauch in den Nacken. Der Dichter erschauerte wohl, und es war ihm, als habe ein frisch dem Sumpf entschlüpfter Frosch seinen Rücken als Schlittenbahn benutzt. Aber sein heißes Sonnenherz durchglühte ihn sogleich wieder von innen heraus, und er schrieb eifrig weiter. Da wandte sich die Kälte an Frau Martha, die auf der Kamin- bank saß und Kartoffeln schälte. Ohne Erbarmen schlang die böse Kälte die Arme um die gute Marthe und hüllte sie vollständig ein mit ihrem schauerlichen Atem, sodaß die Ärmste am ganzen Leib erzitterte und das dünne geflickte Tuch fester um die Schultern zog' „Ach, nun ist sie richtig hereingekommen die garstige Kälte, und sie macht sich schon im ganzen Stübchen breit," seufzte Frau Marthe. Der sechsjährige Gottfried, der neben der Mutter saß und ein Schäfchen für Hänschen schnitzen wollte, wovon er bis jetzt bereits den Kops fertig hatte, der aber eher einem Kameelshöcker glich, warf plötzlich Holz und Messer auf die Bank und sagte weiner lich: „Da soll mal einer schnitzen, wenn ihn die häßliche Kälte so arg in die Finger zwickt." Und Maria ließ das Waschläppchen, ein Weihnachtsgeschenk für Vater, an dem sie eben die letzten Nadeln abstrickte, in den Schoß sinken. Sie zog die Füße auf die Bank und klagte: „Ach, und mir hat die schlimme Kälte die Füße angeblasen. Nun sind sie wie Eis." Hänschen aber fing gleich laut an zu schreien, und weil er noch kein L sagen konnte, schrie er: „Huhuhuhuhu! Mich die schimme Käte so in die Nase beißte." Jetzt erst, auf Hänschens Geschrei, wurde der Dichter von seinem Schreiben abgelenkt. Er sprang vom Sessel auf und nahm Häns chen auf den Arm. Es beruhigte sich sogleich, und der Dichter sagte mitleidig: „Ach, ihr Ärmsten! Ihr Lieben! Ihr friert gewiß recht sehr, denn wie ich sehe, hat sich die böse Kälte bei uns ein geschlichen, und das ist ein recht lästiger Besuch. Auch werdet ihr gewiß hungern, und das am Heiligen Abend! Nun, wartet nur!" fuhr er fort, und aus seinen Augen leuchtete die warme Gottes sonne, sein Herz. „Ihr sollt euer Weihnachten haben, so gut, wie alle andren Christen. Ich gehe jetzt stracks zum Christkind und hole ein Bäumchen und Lhriststollen und bringe auch noch Geld genug mit. daß wir Kohlen kaufen und den Kamin Heizen können. Ja, ich glaube, ich stehe gut genug mit dem Christkind," sprach er weiter und zwar ordentlich fröhlich und übermütig, „daß es mir auch noch für euch jedes ein Geschenk mitgeben wird. Ihr braucht nur zu wünschen. Zuerst sprich du, Marthe, mein liebes Weib. Pas möchtest du wohl vom Christkind haben?" Marthe lächelte ungläubig. Doch sie sagte, ein wenig seufzend: „Ach, ich wäre es schon zufrieden, wenn wir heut zum Heiligen Abend ein warmes Stübchen hätten und etwas Speck zu unsren Kartoffeln." „Beides sollst du haben, erwiderte der Dichter zuversichtlich, „und noch dazu ein schönes warmes, wollenes Tuch." Da lachte Frau Marthe hell und sprang von der Bank auf. Sie legte beide Arme um den Hals des Dichters und sagte, ihn küssend: „Ei, willst du heute gehen und den Märchenschatz aus- graben, von dem du uns schon so viel erzäh t hast? Dann grabe nur in deinem Herzen,denn da nur findest duGold, sonst nirgends." Rasch küßte er sie wieder und sagte zärtlich, mit strahlenden Augen: „O, meinen Märchenschatz habe ich in dir. geliebtes Weib, und in den Kindern. Aber unsren Heiligen Abend wollen wir feiern, wie fichs gebührt. Darum gehe ich jetzt zum Christkind, um ein Bäumchen, Lhriststollen und Geschenke für euch zu holen. Vor allem möchte ich nun gerne wissen, was ich meinem Gottfriedel mitbringen soll. Da hämmerte Gottfried mit beiden Fäusten auf die Ofenbank und rief: „Bumbidibum, bumbidibum. Eine Trommel, lieber Vater!" Dann blies er die Bäckchen auf und machte „Täterätä— 1ä—tä! und eine Trompete, lieber Vater." Alle lachten und der Vater meinte, Gottfried liebkosend über das Haar streichelnd: „Schön, schön! das sollst du haben. Und was wünschest du dir, mein Herzenskind, Maria?" „Ei, lieber Vater!" rief Mariä, die eben so sonnige Augen hatte, wie der Dichter, „bringe mir nur ein neues Büchlein von dir und ein Püppchen, ein süßes, kleines Wickelkind." „Siehe da, mein Liebling! Was bist du nunmehr, kleine Träumerin oder Puppenmütterchen?" sagte der Dichter, Maria aus die Stirn küssend. „Nun, du sollst beides haben, Bilderbuch und Püppchen. Dann werden wir schon sehen, was dir besser gefällt. Und was wünscht sich Klein-Hänschen?" „Eine Mäh—mäh! Eine Mäh—mäh!" rief Hänschen und hüpfte von einem Bein aufs andre. „So, so! Ein Lämmchen also mit einem rosa Schnäuzchen und blauen Bändchen, nicht wahr? Soll Hänschen haben!" rief der glückliche Vater, und er nahm den kleinen zappelnden Schelm auf den Arm und küßte ihn ab. „Aber nun bringe mir sogleich Überzieher, Scbal und Mütze, liebe Marthe. Wickelt euch indessen in warme Decken. In zwei Stunden spätestens bin ich zurück." Fcau Marthe half ihm beim Ankleiden und gleich darauf war er zur Tür hinaus. Frau Marthe wußte gar wohl, welchen Gang ihr Mann avtrat. Er wollte nach Görlitz zu dem reichen Mann, der die Geschichten des Dichters drucken, zu Büchern einbinden und in den Handel bringen ließ. Und es war so, wie Frau Marthe dachte. Als der Dichter mit langen Schritten, die Hände in den Taschen des dünnen Über rockes, auf der Landstraße nach Görlitz zuschritt, dachte er: „Geld habe ich zwar nicht mehr zu bekommen von Herrn Reichest, aber sicher wird er mir, angesichts des Weihnachtsfestes, einen Vor schuß auf meine Geschichten geben, die ich jetzt schreibe. Das walte Gott!" Hellen Sinnes, und den Kopf angefüllt mit schimmernden Weihnachtsgedanken, wie ein Kästchen mit glitzerndem Christ baumschmuck, wanderte der Dichter aus der leicht mit Schnee be stäubten Straße fürbaß. Endlich tauchten die stattlichen Türme von Görlitz vor des Dichters Augen auf und bald erreichte er da» Stadttor. Doch als er an dem Geschäft Herrn Reichelts anlangte, war es geschloffen. Der wohlhabende Mann hatte jedenfalls bereits mit seiner Weihnachtsfeier begonnen. Aber der Dichter ließ sich nicht einen Fingerhut voll von seiner frohen Laune rauben. Er machte sich sogleich auf den Weg nach der Wohnung Herrn Reichelts, traf ihn aber auch hier nicht an, sondern er erhielt von dem Dienstmädchen den Bescheid, Herr Reichest sei noch ein mal mit seiner Frau ausgegangen, um einige Weihnachtskäufe zu besorgen. Aber der Dichter ließ sich nicht im geringsten irre machen in seiner Glücksstimmung. Wohlgemut trat er den Heimweg an, und er sagte zu sich selbst, als er rüstig auf der Landstraße aus- schritt: „Ganz sicher hat mir Herr Reichest eine Weihnachtsfreude gemacht und mir ein hübsches Sümmchen zugeschickt. Ja, so ist es! Sagte er doch, als ich ihn vor einiger Zeit in Görlitz traf, ich solle ihn noch einmal vor dem Christfest in seinem Geschäft aussuchen. Nun bin ich allerdings schon dreimal bei ihm gewesen, und jedes Mal sagte man mir, er sei nicht da. Das letzte Mal hörte ich ihn aber in seiner Schreibstube husten. Vielleicht war er gerade bei einer wichtigen Arbeit, und das Husten sollte bedeuten „Gib dich