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Teil alten Volksgutes zur Zeit unserer ländlichen Kirmes« feiern bis auf unsere Tage erhalten. Von oberlausitzer Kimes- bräuchen in Vergangenheit und Gegenwart sollen uns die folgenden Zeilen einiges erzählen; hören wir, was uns zu nächst aus der preußischen Oberlausitz darüber be richtet wird. Hier wird sie Kirmes, Kerms oder Kirmst genannt, man feiert sie „aus Freude, ein eigenes Gotteshaus zu besitzen" und zum Gedenken an dessen Einweihung. Die „Kirmsen" waren daselbst früher über das ganze Jahr verteilt, während sie jetzt größtenteils im Oktober und November gefeiert wer den — laut Vorschrift! Die heutige Kirmes ist nur ein ver blaßtes Abbild der früheren. Acht volle Tage währte sonst ihre Feier. War das Fest herangekommen, so versammelten sich nach beendigtem Gottesdienste alle jungen Burschen des Dorfes, zogen mit Musik von Haus zu Haus, tanzten ab wechselnd mit jedem weiblichen Familiengliede, forderten ihren Kuchen ein und zogen weiter. Am Abend war gemein schaftlicher Tanz im Dorfkretscham, woselbst die alten Tänze, die „Hühnerscharre", die „Hippelpolka", der „Brautreihn" und andere abwechselnd an die Reihe kamen. Dabei wurde fleißig gegessen, getrunken, gescherzt, gelacht und „gejuxt". Anders gestaltet sich die Kirmes in der gegenwärtigen Zeil! Den Sonntag vorher wird es der Kirchgemeinde von der Kanzel herab vermeldet, daß in acht Tagen Kirchweih fest stattfindet. Schon Freitag macht man sich zurecht zum „Kuchenbacklage", dem Sonnabend. An diesem Tage werden die sogenannten „Streesclkuchen" gebacken, die oben ein geschmiert sind, damit der „Streusel", die „Aufstreu", besser kleben kann. Gebacken wurde früher in den eigens dazu hergerichteten Backhäusern hinten im Garten, die jetzt zum Teil niedergerissen und durch Backherde im Hause selbst ersetzt sind. Für jedes Familienglied wird noch ein beson derer Kuchen gebacken. Das Gesinde bekommt sein Kirmes- gebäck zugeteilt. Kirmessonntag früh, nachdem sich alle an Kuchen und Kaffee gelabt haben und auch das Vieh besseres Futter als sonst erhalten hat, gehen sämtliche Hausgenossen bis auf die Bäuerin, welche das Essen kocht, in die Kirche. Selbstver ständlich zieht jedes seine beste Kleidung an. Nach dem Kirch gänge, um den Mittag herum, kommen die Kirmsgäste aus den benachbarten Orten. Das Mittagsgericht besteht aus Nudel- oder Reissuppe, Rindfleisch init Meerrettichlunke, Schweine- oder Kalbsbraten mit Dämpf- oder Sauerkraut, Pflaumen und anderem. Selbstgefülltes Bier spült die Bissen endlich hinunter. Auf der Gemeinde-Aue steht meistens ein Karussell, im Hausflur des Kretschams befindet sich ein „Paschtisch", auf dem alt und jung gegen einen geringen Einsatz Zucker- oder Porzellanwaren, wie Tassen, Teller und anderes mehr für den höchsten Wurf empfängt. Am Abend spielt die Dorfmusik im Kretscham. Da dreht sich alles um die „Säule", daß das Haus wackelt, und manche alte Bäuerin, mit der es schon lange nicht mehr recht vorwärts gehen wollte, fliegt heute nur so über den weiten Saal! Das macht die Musik! Kirmesmontag ist meist nur noch ein halber Feiertag. Am Vormittag werden überall leichtere Arbeiten in Haus und Hof verrichtet, worauf nachmittags dann „Feiertag" gehalien wird. Den Sonntag nach der eigentlichen Kirmes findet die „Nachkirmes" statt. Wie sich die Kirmes zu einem wirklichen Volksfest ge stalten kann, beweist ein Bericht aus dem Dorfe Rad nier itz, südlich von Görlitz. Demzufolge wurde das Kirch weihfest im Jahre 1920 folgendermaßen gefeiert: Am Sonn tag mittag sammelte sich die Jugend im Kretscham und trat V41 Uhr zum Festzuge an. Vor diesem ritten zwei Herolde, deren Schuppenpanzer im Sonnenstrahle glitzerten. Ihnen folgte unter den Marschklängen einer Musikkapelle die männliche Jugend mit Armbrüsten. Weiter sah man im Zuge zwei als Marketenderinnen verkleidete Mädchen mit den mit Reben geschmückten Weinfäßchen, die dann gegen einen freiwilligen Betrag den Inhalt verschänkten. Zwei mittelalterliche Narren trieben ihr Spiel mit alt und jung, und die Aufmerksamkeit der Kinder nahmen ein kostümier ter „Bär" und ein „Affe" in Anspruch, die von Indianern geführt wurden. Ein Polizist gab durch seine Sorge für die Ordnung nur Anlaß zur Heiterkeit. Nachdem man den an gesehensten Personen der Gemeinde ein Ständchen gebracht hatte, löste sich der Zug aus dem Festplatze auf. Nun ging es an das „Adlerschießen". Desgleichen wurden auch Lose verkauft. Karussell, Würfelbude und Glücksrad sorgten für weitere Belustigung. Am Montag fand der Umzug nochmals statt, während abends beim Einzuge Schützenkönig und Schützenkönigin gefeiert wurden. Wie hier und anderswo mit der Kirmesfeier ein „Adler- schießen" verbunden wurde, so fand im südlichen Teile der sächsischen Oberlausitz zu diesem Feste an manchen Orten ein sogenanntes „Ritterstechen" statt, welches seine Erklärung in den bäuerlichen Untertänigkeitsverhältnissen der Ver gangenheit findet und eine Verspottung der Ritter bedeutet. Wie sich ein solches in den Orten Reichenau und Tür- chau absptelt, entnehmen wir einer Schilderung aus jener Gegend: Auf der Wiese steht, von Girlanden umgeben, eine Holzfigur, die einen Ritter darstellt. Die Mädchen, denen die Augen verbunden sind, haben nun mit einer Lanze danach zu stechen. Sie müssen sich jedoch von einer männlichen Per son erst ein Stück führen lassen. Früher besorgten dies zwei Reisigmänner, das sind junge Leute, die ihre Kleider voll ständig mit grünem Tannenreisig benäht hatten; jetzt führen Hanswürste die Mädchen. Diese wollen sich aber nicht führen lassen und flüchten deshalb, und die Hanswürste müssen sie erst einfangen. Die jungen Burschen schießen indes nach dem Adler an der Stange. Abends werden dann Adlerkönig und Ritterkönigin in feierlichem Zuge, in dem sich auch verklei dete Personen befinden, eingeholt. Dabei fehlt auch nicht ein Handelsjude mit einem Sack, der in die Häuser geht und den Kuchen erbettelt. Wir fügen diesem noch einen kurzen Bericht über ein im Jahre 1883 in Oybin abgehaltenes „Ritterstechen" an, wie solches nach mehrjähriger Unterbrechung daselbst zu ge nannter Zeit wieder auflebte und von allen Heimatfreunden lebhaft begrüßt wurde. Ein solcher schreibt: Unsere er wachsene Jugend, die sich seit einigen Jahren zu einem Iugendvereine einte, hielt am 8. Oktober, dem Kirchweih- Montag, nach altem Brauch ein Ritterstechen auf einer Wiese an Dürlings Gasthof ab. Die Jugend zog in fest- lichem Zuge auf, ein Musikkorps und drei berittene und kostümierte Burgknappen voran, während einige Harlekins den Schulkindern besonderen Spaß machten. Abends wurden König und Königin eingeführt und mit einem Kränzchen das Fest beschlossen. Wie schon erwähnt, dauerte die Kirmes früher eine volle Woche. In Königshain bei Ostritz verkündete ein zum Kirchturm herausgestecktes rotes Fähnlein acht Tage lang jedem die festliche Zeit. Zur Kirmes fand damals — die Nachricht stammt aus dem Jahre 1858 — und wohl