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214 Gberlaufltzer Hetmatzeltung Ar. IS Tor hinaus. „Alsbald zog", so schreibt der Chronist, „der Biertelhauptmann mit der bewaffneten Bürgerschaft auf, deren etliche mit Musketen und brennenden Lunten stets Wache hielten und alle Stunden ablöseten, als wenn der gefährlichste Feind in der Kirche wäre. Ja, als des Kapitels Torhüter nur die Schaufel und Hacke aus dem Grunde nehmen wollte, hat sowohl der sogenannte Viertelshaupt mann als die Wächter bei Donner-, Wetter- Hagelderschlagen geflucht, wo er solches anrühret, so wollten sie ihn Krumb und lahm, Arme und Beine entzweischlagen." Die Folge war, daß der Bau ruhte. Ein ganzes Jahr lang mochten die Feindseligkeiten gegangen sein. Doch wo immer Welt und Kirche sich stritten, war die Kirche die stärkere. Und so ging denn schließlich auch hier das Domstift als Sieger aus dem Kampfe hervor. Die Kirche unserer lieben Frauen wurde aufgeführt. Ein kleines Nachspiel hatte die Geschichte aber doch. Am 9. Mai 1695 in aller Frühe wurde durch die Lehrjungen des Stadtpfeifers und zwei Handlanger die Orgel aus der Liebfrauenkirche geholt und in die gegenüberliegende evan gelische Marien-Marthenkirche gebracht. Den Schlüssel zum Gotteshaus hatte man den Burschen im guten Vertrauen, daß sie nichts böses im Sinne hätten, ausgehändigt. Wo zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Jedenfalls hatte durch dieses Späßchen die Bürgerschaft auch ihre Freude an der Fehde zwischen Rat und Domstist. Doch ehe dies geschehen, hatte die Kirche schon einen anderen denkwürdigen Tag erlebt. Das war im Jahre 1508 Tetzel zog von Ort zu Ort und kehrte auch in der Frauen kirche zu Bautzen ein. In pomphaftem Zuge wurde er ein geholt. Bon allen Türmen läuteten die Glocken. Aus Dörfern und Städten strömten die Leute herzu. Dicht bei der Kirche schlug Tetzel seinen Stand auf. Doch muß sein Geschäft nicht allzugut gegangen sein, denn die anfangs mit 11 Groschen ausgebotenen Ablaßzettel gab er später mit 6 und — er ließ mit sich handeln — zuletzt gar mit einem Groschen ab. Ein Steinkreuz bezeichnet noch heute die Stelle, wo er einst stand. Im Volke heißt's das Tetzelkreuz. Die Kirche unserer lieben Frauen, ein Bauwerk ohne sonderlichen Schmuck, umgab vordem ein stille.r Gottesacker. Von ihm ist heute freilich nichts mehr zu sehen. Nur zwei, drei Grabsteine im Gemäuer, die mögen noch an ihn erinnern. Schon im Jahre 1750 gab der an der Kirche wohnende Salz händler Günther an, daß, solange er wüßte, an Sonnabenden aus dem freien Platze bei der Kirche Wagen mit Getreide, Holz, Kien und Reisig stünden, und daß mit diesen Waren dZselbst Handel getrieben würde und an Jahrmärkten aus wärtige Töpfer daselbst feil hielten^ auch würde der Platz von den Seilern zum Spinnen ihrer Bindfäden benützt. Der Liebfrauenkirchhof hörte also schon im 18. Jahrhundert auf, Kirchhof zu sein. Die Stadt ist längst über das Kirch lein hinausgewachsen. Einst zwischen Feldern und Gärten vorm Stadttor in ländlicher Stille gelegen, wird es heute umdrängt von langen Reihen vielstöckiger Mietskasernen. Wo sonst fromme Wenden aufFeldwegen und Wiesenrainen am Sonntagmorgen aus nahen Dörfern her zum Gotteshause kamen, braust nun die laute Stadt durch oielbelebte Straßen. Der einst so stille Friedhof ist heute — Wandel der Zeiten! — Ferkelmarkt. Und wo damals Tetzel Geld um Ablaß feilschte, hält man am Markttag Pflüge und Sämaschinen feil. Handel ist Handel geblieben, wenn auch die Ware sich wandelte! Sonst aber ist manches anders geworden um die Kirche zu unserer lieben Frauen. — Die Michaeliskirche. Man schreibt den 12. Oktober des Jahres 1429. Die Stadt schwebt in Angst und Bangen, dloleoto ante portao! Molesto, der gefürchtete Hussitenführer, von dem man weiß, daß er nicht Greis noch Kind verschont! Gleich wilden Tieren berennen seine Horden die Mauern. Mit 4000 Mann ist er gekommen und hat die Schlüssel der Tore gefordert. Man verweigerte sie ihm. Nun berennt er seit Tagen schon die Stadt. Pechkränze fliegen auf die Dächer, daß die Häuser in Brand aufgehen. Auf den Mauern stehen die Bürger, Männer und Frauen, und leisten verzweifelten Widerstand. Immer und immer wieder legen die Feinde die Leitern an, die Tore zu nehmen. Immer und immer wieder empfangen sie Hagel von siedendem Pech und vergifteten Pfeilen. Heulend sausen nägelstarrende Morgensterne nieder auf Schädel und Schultern. Immer ungestümer wird der An sturm, immer schwächer die Gegenwehr der Bewohner. Die Stadt ist in höchster, letzter Not. Doch sieh! was ist das? Dort am Wasserturm — ? Ja, wahrlich: Erzengel Michael schwebt hernieder und stärkt das Häuflein sich wehrender Bürger! Er ist's! Ein Wunder Gottes! Die Feinde stehen ab vom Kampf. Totenstille herrscht ringsum, Totenstille nach lautem Gebrüll der Schlacht. Die Bürger sinken aus die Knie in inbrünstigem Gebet und dankbarem Geloben. Dicht an der Stadtmauer erhebt sich heute das kleine Gotteshaus, die Michaeliskirche, die einst dem Retter Michael zum Danke errichtet wurde. Noch heute nennt man die Stelle Hussitenmauer. Mit ihren bunten Fenstern schaut die Kirche zur Spree hinab, die unten wild um steile Felsen schäumt. Der wendische Kirchhof. Mit dem wendischen Kirchhof hat es sein eigen Bewenden. Er ist ein Kirchhof ohne Gräber. Ein holpriger Weg führt aus der Stadt zu ihm hinaus. Man geht ein gut Stück an der alten Stadtmauer entlang, die im Volke die Hussiten mauer heißt, und schaut dabei hier in die Höfe alter Häuser, dort über bemooste Steine hinweg nach der Spree hinab und darüber hinweg in die Felder des flachen Landes. Zwischen verfallenem Gemäuer steht es geschrieben wie in vergilbten Blättern von vergangener Zeit, und es fehlt nicht viel, so träumt man von gewesenen Tagen. Da steht man schon auf freiem, rundem Platze. In Hufeisenform wird er von einer Zeile kleiner Häuser still beschlossen. In seiner Mitte ragt ein Kirchlein auf. Weilt man in einem wendi schen Dorfe? Nicht doch, da lies! Es steht am Straßen schild: „Wendischer Kirchhof". Man sucht nach Gräbern, doch sucht man vergebens. Wohl niemals hat man Tote hier zur Ruh gebracht. Ein „Hof" um die wendische Kirche, das und nichts anderes will der „Wendische Kirchhof" sein. Ein allerliebstes Fleckchen, dieser wendische Kirchhof! Nur wenige Schritte von der Stadt entfernt, und doch voll Ruhe und Beschaulichkeit, als läge er meilenfern von ihr. Ein stiller Ort, zum Träumen recht geschaffen! Von den Fensterstöcken der niedlichen Häuschen nicken die feinen Köpfchen von Reseden und Bethunien. Uber den trutzigen Turm der Alten Wasserkunst scheint die Sonne hell herüber und breitet goldene Tücher auf den einsamen Ort. Sonntag vormittag ist's. Hinter den bunten Kirchenfenstern tönt der Klang der Orgel. Aus offenen Türen dringt der fromme Sang der Beter. Der Wanderer ruht auf moos'gem Stein am stillem Wege und lauscht und träumt, träumt von alten Zeiten. Der Mühlknecht kommt den Eselsberg herauf. Sein Grautier schleppt schwere Lasten aus der Großen Mühle