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3. offener Brief in Sachen Stuhl. An den Ehrenvorsitzenden des Gebirgsvereins Oybin, Herrn Alerander Häasc. Oetzsch, den 14. 12. 21. Sehrgeehrter Herr! „Die nationale Richtung (der Wissenschaft) ist für die Deutschen gegen die andern, die internationale ist für die andern gegen die Deutschen", so schreiben Sie in Nr. 254921 der „Oberlausitzer Heimatzeitung" an mich. Das aber ist der fundamentale Irrtum Ihrer Gcdankengänge. Sie werfen Geschichtswissenschaft und Politik in einen Topf. Die Geschichtswissenschaft spricht ehrlich aus, was einst war, sie hat sich jeder nationalen Tendenz zu enthalten. Eie muß auch die dunklen Seiten des eigenen Volkslebens und nicht nur die Hellen in ihren^Schriften darstellcn. Ein Forscher, der an seinen Quellen willkürlich herumkorrigiert und sie tendenziös zu färben versucht, begeht eine Fälschung. Wie war es einst bei E.Häckel? Wir Deuischen haben es aber wahrlich nicht nötig, den Ruhm unserer vaterländischen Vorzeit durch Phantasien zu verstärken. Zeiten „nationaler" Wissenschaft hat es wohl in jedem Lande gegeben: In Frankreich wollte man einst den Einfluß fränkischer Clemente im französischen Blute leugnen, im slavischen Lager hob man einst die „armen und unterdrückten Böhmen" als Unschulds lämmer in den Himmel und es gab eine Zeit in Deutschland, da man die „alten Teutschen" als Idealgestallen ansah. Diese Epochen sind vorbei. Ihre Ansichten waren unhaltbar. Sie wollen mit Herrn Prof. Stuhl das Alte wieder beleben und wittern in mir einen Slavophilen, weil ich in meinem Slaven- artikel mir erlaubte, die Greuel der Christianisierung Ostelbiens als solche zu bezeichnen. Ich verweise Sie daher auf die Quelle: vilae etc. Ottonw IVlon. Oerm. Hist. 88. XU, paZ. 721—919. Wenn Sie aber in mir eine» Wendenfreund vermuten, so lassen Sie in erster Linie dabei die Toten im Grabe in Ruhe, sie können sich nicht mehr wehren. Was Michael und Abraham Frenzel in den Jahren 1628—1740 dachten und schrieben, das ist heute viel fach überholt, aber vieles ist auch noch wertvoll (ck. Prof. Müller- Löbau im Oberlausitzer Heimatkalender 1922). Daß ich nun für etwas eintrat, das Ihnen nicht paßte, genügt Ihnen, um mich mit dem Schmutz des Renegatentums zu besudeln. Ich weise Ihre Anfragen mit Entrüstung zurück. Sie schreiben als Ehrenvorsitzender des Gebirgsvereins Oybin. Ist Ihre Meinung auch die Ihres Vereins? Die Stelle wegen der Sttihl'schen Literatur lesen Sie sich bitte in meinem zweiten Briefe nochmals durch. Sie taten es bisher ungenau. Die von Ihnen erwartete „richtige Antwort" ist mir Herr Prof. Stuhl allerdings schuldig geblieben. Was meine Jugend von dreißig Jahren anlangt, über die Sie sich zu spötteln erlauben, so kann ich nur sagen: Das Übel behebt sich mit der Zeit. Dann aber vermute ich in Ihnen den Herrn, der nach Würz burg zog. Ist dies der Fall, so glaube ich, Ihren Zorn zu ver stellen. Im übrigen aber gebe ich Ihnen im allerwörtlichsten Sinne recht, wenn Sie von einer „Sttihl'schcn Erfindung" sprechen. Mit vorzüglicher Hochachtung (gez.) Wa lter Frenzel. An die Schristleituug der „Oberlausitzer Heimat-Zeitung", Reichenau. Sehr gcehr 1 er Herr Marr! In all seinen Entgegnungen geht Herr Pros. Stuhl um die Kernfrage herum, in einer wissenschaftlichen Zeitschrift seine Hypo thesen zu vertreten. Genau wie ein schwebendes mathematisches oder physikalisches Problem nicht in eine Heimatzeitung gehört, so mutz ich auch daraus dringen, daß ein historisches von dieser Tragweite in einer Fachzeitung sich der Kritik darstellt. Gegen die Tragweite der Stuhl'schen Hypothesen ist die dcr Einstein'schen und Steinach'schen nichts. Sämtliche europäische Historie wäre Unsinn, wenn Prof. Stuhl recht hätte. Ich gehe daher nicht in die Falle, die er mir mit der Darbie tung eines reichen Materials neuerdings wieder stellt, und warte mit sachlichen Erörterungen die Zeit ab, in der er in einer der zahllosen deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften seine Sachen veröffentlichen wird. Mein Ziel war, die Oberlausitzer vor dem blinde» Glauben an seine „felsenfesten Erkenntnisse" zu warnen; dies Ziel ist durch die oerschiedeneir Briefe erreicht worden. Ich werde baldigst Ihnen in Verfolg dieser Angelegenheit einen Artikel „Die Besiedelungs-Verhältnisse der Oberlausitz im ersten nachchristlichen Jahrtausend" zur Verfügung stellen. Erwirb sich sowohl mit dem hier wieder ausgetauchie» Urgermanenproblem Ostdeutschlands als auch mit den Ortsnameuschichten beschäftigen. Ob die germanischen Ortsnamen in der Südlausitz herum- „wimmeln", wird sich dann erweisen. Wenn Herr Prof. Stuhl aber von Lokalhistorikeru in abspre chende m Sinne schreibt, so wird dies wohl von den wirklichen Lokalforschcrn der Oberlausitz, zu denen ich leider nicht gehöre, zurückgewieseu werden. Jedenfalls gründet sich aus die emsige und glänzende Arbeit der deutschen Lokalforscher ein großerTeil unserer Geschichtskenntnis. Mit verbindlichstem Gruße Ihr Ihnen sehr ergebener (gez.) Wal 1 er Fre nzei. Vergessene Lausitzer Sagen Mitgeteilt von FritzLeister Der polternde Mönchsgeist In der Zcähe von Mesfersdorf sand man einst einen alten, toten Mann, Er war nur mit einem Mönchskittel angetan und hatte auch sonst keinerlei Erkennungszeichen bei sich. Wahrschein lich war es ein Pilger, der nach dem Heiligen Grabe wandern wollte und unterwegs an Entkräftung gestorben war. Die Bauern forschten deshalb nicht erst weiter nach, sondern machten ihm in einer Kirchhofsecke, an der Wand des Kirchturmes, ein Grab und legten ihn dvrt zur ewigen Ruhe. Sein Geist muß aber doch keine Ruhe im Grabe gefunden haben, denn sonderbarerweise war es seit jener Zeit auf dem Kirch hos wie auch in der Kirche nicht mehr recht geheuer. Es spukte allenthalben, ohne daß man je eine Erklärung fand. Eines Mor gens um die dritte Stunde stieg der Nachtwächter wieder auf den Turm, um den Morgen einzuläuten. Er hörte es poltern und rumoren, kümmerte sich jedoch herzlich wenig darum und ging an den Glockenstrang, um zu läuten. Er zog und zog und zog —aber die Glocken schlugen nicht. Als er lange genug gezogen hatte, wurde ihm die Sache doch zu dumm und er beschloß, ihr einmal auf den Grund zu gehen. Er nahm also seine Hellebarde, sprach sich allen Mut, den nur ein Nachtwächter haben kann, zu, und stieg polternd und schimpfend die greulich knarrende Turmtreppe hinauf. Oben angekommen, schlug er mit seiner Hellebarde die Falltür aus und — vor Schreck fiel ihm sein Spieß augenblicks wieder die Treppe hinunter — denn ein alter Mönch mit einem schrecklichen Angesicht stand plötzlich vor ihm, und ehe er noch ent- fliehen konnte, versetzte ihm der Mönch eine so gewaltige Ohr feige, daß er bewußtlos die Treppe hinuntcrpurzette. Als er wieder zur Besinnung kam, schien der Helle Tag voll lachenden Sonnen scheins schon durch die Turmfenster, und die Dorfbewohner mögen schön gelacht haben, als der Nachtwächter, der vor Schreck immer noch käseweiß war und überdies etliche Beulen, sowohl an seinem Kopfe wie an seiner Rüstung hatte, wie ein armseliger Seifen sieder am hellerlichten Tage traurig nach seinem Hanse trottete. Aus der guten alten Zeit Da die alte preußische Regierung im vorigen Jahrhundert ebensowenig mit den Steuern auskam wie die jetzige, so ist es kein Wunder, wenn sie alle möglichen Mittel ersann, um neue Steuern zu gewinnen. So schickte die Regierung einstmals eine Anfrage an alle Gemeindevorsteher und bat um Auskunft über