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Geologische Wanderungen in die Südostlausitz Von Curt MUHlberger, Zittau II. Der Tschauwald er Tschauwald, ein von der Touristik in den letzten Jahren vielbesuchter Flecken Erde, dehnt sich von Reichenau-Dorn- Hennersdorf bis an die Wittig in Böhmen hin. Er er innert in vielen Teilen an die Mark, nicht nur die Kiefern und die Heide, auch der Sand, der sozusagen den Violinschlüssel zur „Heidesinfonie" bildet, ist reichlich vorhanden. Mit dem Sande nun wollen wir uns auch ein wenig beschäftigen, da er ja die Grundfarbe zu dem Heidebild ist. Die steinernen Leitern Norddeutschlands verraten uns, daß sie geprägt worden sind in derZeit, da mächtige Gletscher von Skan dinavien gen Süden zogen, da Mammutherden unsere Gegenden durchpilgerten und der Mensch mit notdürftigen Mitteln um das Dasein kämpfte. — Ein solcher Gletscherarm reichte auch bis in die Gegend von Reichenau. Von Osten her wurde ihm Halt ge boten durch die Basaltkuppen, die heute die Höhenzüge des Tschau- waldes bilden, im Süden lagerten derHohwald und Gickelsberg vor; auf diese Art stauten sich hier die Eismässen. Jedoch änderte sich bald darauf wieder das Bild, die Erdachse veränderte sich, unser Planet nahm eine andere Stellung zur Sonne ein, das Eis schmolz, es bildete sich ein mächtiger Stausee, der Schlamm ab setzte, den man „Bänderton" nennt und z. B. in der Preibisch- Ziegelei abgebaut wird. Das von der Wanderung der Gletscher mitgebrachte stark abgerundete nordische Material wie: schwedische Granite, Porphyre, Quarzite, vor allem aber Feuerstein (der eine kristallinische Varietät des Quarzes darstellt, dessen ursprüngliche Lagerstätte in Form von Knollen und Platten in der weißen Kreide Rügens und andernorts ist) durchschwärmen den Geschiebelehm. Nach Rückgang der ungeheuren Schmelzwassermassen drangen von den Höhen des Isergebirges neue Gletscher vor, die allerdings nichtdieDimensionenbesaßenwiedievorhergegangenenffiebrachten scharfkantige Kieselschieser, Granite, Basalte und Porphyre teils in Form von Sand, teils in kompakterer Form mit, die in der Gegend des heutigen Tschauwaldes abgelagert wurden. Auch muß sich in dieser Zeit ein Stausee gebildet haben, denn auch ersedimen- tierte eine Art „Bänderton". Belege hierfür finden wir in der Preibisch-Sandgrube links der Chaussee Reichenau-Friedland, hart an der Landesgrenze bei der Waldschenke, hier haben wir folgendes Profil: zu unterst: altdiluviale Tone und Schotter mit abgerundetem, fast ausschließlich nordischemMaterial (die wenigen Äasaltbrocken rühren von dem Basalt des Tschauwaldes her, die bei dem Nagen der Gletscher sich abgelöst haben). Hierauf folgt eine Schicht „alldiluvialen Bändertons", der aus der Zeit des Staubeckens stammt, sodann folgt Schotter aus Gesteinsvorkomm nissen des Isergebirges, eine Schicht „jungdiluvialen Bänder tons", der von dem kleinen Stauteich der Isergebirgsgletschcr herrührt, und obenauf liegen Sandschichten. Wollen wir uns über die Ursachen der Tektonik des Tschau waldes informieren, so müssen wir uns in das Tal der Wittig bemühen. (Eines der Überbleibsel idealer Gebirgsflußtäler, jedoch scheint die Romantik desselben durch ein Elektrizitätswerk und vor allem neue Wehr- und Kanalanlagen sehr gefährdet.) Hohe Felswände beschreiben hier dem Flusse seinen Lauf. Diese Felsen find Untergrund dessen, weswegen wir uns hierher begeben: der Geologe bezeichnet das Gestein „deformierten (durch Gebirgs druck schiefrig gewordenen) Isergebirgsgranit". Auch bis faust große rötliche Feldspateinsprenglinge charakterisieren dasselbe. Der obere Steinberg bei Kunnersdorf, der Buchberg, die Hügel des Tschauwaldes bilden eine Reihe Vulkane, die sich bis in die Gegend von Hirschfelde verfolgen läßt; sie entstammen einem ge meinsamen Magmaherde, was die Gleichheit ihrer Mineral zusammensetzung und Struktur beweisen: sie sind als „Feldspat nephelinbasalte" zu betrachten. Diese Basalte enthalten des öfteren Einschlüsse von dem oben beschriebenen Isergebirgsgranit, die bei dem Durchbruch des Basaltes durch das Granitplateau mitgerifsen wurden. DasMärchenland in unserem Baterlande liegt ein kleines Reich, in dem die Zwerge Hausen. Man weiß nicht recht, ob es im berggekrönten Bayernland, im tannenbcwaldeten Thüringen, am burgenbewehrten Rhein oder im sagen- durchwobenen Riesengebirge zu finden ist. Manchs be haupten, es liege versteckt mitten in der roten, bienendurchsummten Heide und andere wieder wollen es, von Deichen und Dämmen geschützt, an der Küste des Friesenlandes gelegen wissen. Fast ein jeder Stamm beansprucht es für sich, aber gesehen haben es nur ganz wenige Menschen. Denn rings ist es von einer eintönig grauen Mauer umschlossen, die heißt Alltag, und nur selten vermag es einer, auf der Leiter des Märchenglaubens an ihr emporzuklimmen. Droben aber pfeift ein eisiger Wind, der mit dem kalten Hauche der Wirklichkeit jedem den Kopf abreißt, der nicht in seiner Seele zuvor das heilige Märchenfeuer gefunden hat. Und dieses Feuer ruht in den Augen, — auch nicht in allen Menschen erkennbar, glänzt es darinnen tief und geheimnisvoll, wie der Wasserspiegel eines alten Brunnens, in dem seit alten Jahren ein unschätzbarer Ring von magischen Zauberkräften ruhen soll. Alle, die aus Neu gier oder um ihres eitlen Ruhmes willen die Malier übersteigen wollen, finden dabei den Tod: sie zerschellen am Alltag oder stürzen in den tiefen Graben des Unglaubens, der auf der anderen Seite das zweite Bollwerk des Märchenlandes bildet. Nur wer das Tor findet, das unter Geröll undBrombeerranken verborgen irgend wo unsichtbar in die Quadersteine eingelassen ist, gelangt auf einer kleinen Zugbrücke sicher hinüber. Aber auch das ist nicht leicht, denn das Tor öffnet sich nicht jedem, vor allem in unseren Tagen. So finden nur ganz, ganz selten Menschen den Weg hinein, denn noch eine Bedingung ist dabei: sie müssen reinen Herzens sein und einen tiefen, starken Märchenglauben haben. Und ohne Hoffnung auf Gewinn muß es geschehen, und kommt doch einmal einer mit der Hoffnung auf irdische Güter ins Märchenreich, nur weil er ein Sonntagskind ist und unter besonderen Umständen geboren, so sehen wohl seine Augen alle die Zwerge und Gnomen, Elfen und Feen, allein sie erschließen sich ihm nicht und tun so, als ob der Fremde garnicht vorhanden sei. Nun war einmal ein kleines Mädchen, das war nach einer heftigen Krankheit erblindet. Und weil die kleine Tugendreich früher die Kühe gehütet hatte und nun gar keine Arbeit mehr recht tun konnte, saß sie den ganzen Tag über in der Sonne am Rande derMatte, wosie dasLäuten der Kuhglocken hören und am stärkeren oder abschwellenden Klange jedes Tier erkennen konnte. Sie spielte dann mit Steinen und streichelte die Blumen, sie hörte dem Singen der Vöglein und dem Zirpen und Summen von Grillen und Bienen zu. Als sie eines Tages um die Mittagszeit Hunger verspürte, kroch sie ein paar Schritte dahin, wo sie am Fuße eines Perges zwischen großen Steinblöcken und Felsgeröll viele hohe Brom beersträucher mit herrlichen, reifen Beeren wußte, um sich an ihnen zu laben. Immer tiefer und tiefer drang sie in die Hecke ein und schließlich berührte ihr Händchen den nackten Fels. Da lief ein Zittern und ein Beben durch den ganzen Berg und plötzlich fühlte sich Tugendreich an der Hand gefaßt und eilig sortgezogen und ihre Schritte klangen, wie wenn man durch ein hallendes Tor und dann über eine hölzerne Brücke geht. Dann wurde der Boden wieder weich und als sie mit beiden Tüßen darauf stand, da wurde es wie durch ein Wunder hell um sie. Wie ein Schleier fiel es von ihren Augen: sie sah wieder den blauen Himmel und die leuchtende Sonne, sie sah eine weite Wiese mit den wunderbarsten, eigen artigsten Blumen und große Bäume, über und über mit den schönsten Früchten bedeckt. Und neben ihr stand ein kleiner Zwerg, der hielt ihre Hand und blickte sie freundlich an. „Wo bin ich denn?" fragte das Mädchen und bedeckte mit der Hand die Augen, weil alles um sie gleißte und blendete. „Du bist im Märchenlande," antwortete der Zwerg „und seit hundert Jahren der erste Mensch, der uns wieder besucht. Hätte ich nicht gerade die Zugbrücke ausgebeffert, so würdest du am Ende den Weg garnicht gesunden haben!"