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Familienkunde, Gesellschaftskunde, Heimatkunde (Anmerkung der Schriftleitung: Unter diesem Titel hat der Archivar der Zentralstelle für deutsche Personen- und Familien geschichte in Leipzig unter den Flugschriften für Familiengeschichte ein Heftchen erscheinen lassen, das außerordentlich wertvoll ist und in weitesten Kreisen bekannt zu werden verdient.) ist auffallend, in dem letzten Jahrzehnt gewinnt IMM das Interesse an Familiengeschichte mehr und mehr an Boden, besonders in den letzten Jahren. Biel- leicht liegen die Ursachen dafür begründet in den allgemeinen wirtschaftlichen und politischen Der- hältnissen unserer Tage. Wohin wir schauen: um uns Zersetzung, Zerfall, geistige Not, Schatten. Da wendet sich der Einzelne ab von der rauhen Außenseite des Tages, die wenig Tröstliches für die Gegenwart, wenig Erfreu liches für die Zukunft zu geben vermag, und kehrt sich mit innerem Drange Frieden suchend dem Einzigen zu, was ihm bleibt im verheerenden Sturm der Zeit, dem letzten Port im wild aufpeitschenden Meere: dem wärmen den Herd, dem schützenden Heim, seiner Familie. Gar mancher, der sonst nach außen stürmte, kehrt jetzt, reich an Enttäuschungen, still ein in Heimat und Haus. Es sind ihrer nicht wenige, die heute über „Stamm bäumen" sitzen, darunter Leute, die noch gestern kaum Sinn hatten für derartige Sachen. Früher freilich meinte man, Geschlechterkunde — oder wie man wissenschaftlich dafür sagt Genealogie — das sei nur etwas für den Adel, der auf ein altes, glänzendes, bodenständiges Geschlecht zurück schauen könne. Heute kann man sehr mit Recht von einer „bürgerlichen Genealogie" sprechen, denn manche der großen genealogischen Gesellschaften setzen sich zu vier Fünfteln, ja zu neun Zenteln aus dem weiteren Bürgertum zusammen. Was ist Genealogie? Der Archivar Dr. Friedrich Wecken nennt Genealogie „die Lehre vom Werden und Sein einzelner Personen, ihrer Bor- und Nachfahren und ihrer ganzen Familien, sowie von deren Betätigung im Rahmen der menschlichen Gesellschaft." In dieser Definition ist schon angedeutet, daß man verschiedene Arten der Genealogie unterscheiden kann und zwar eine engere Genealogie und eine weitere Genealogie, die von einer allgemeinen Genealogie wieder zusammengefaßt werden. Die engere Genealogie beschränkt sich auf Festhaltung von Personal- und Datenangaben, die weitere Genealogie berücksichtigt dazu noch „die ganze Stellung und Betätigung der Personenkreise, Familien und des Geschlechts", die allgemeine Genealogie schafft die vergleichende Betrachtung und Auswertung des Abstammungsausbaues und des ge- ellschaftlichen Seins und Wirkens der menschlichen Ge- chlechter oder ihrer Verwandtschaftsreihen zu einer be- onderen, ins Gebiet der Gesellschaftswissenschaft zählenden Wissenschaft. Man könnte demnach die engere Genealogie als Stammkunde, die weitere Genealogie als Familien kunde und die allgemeine Genealogie als Geschlechter kunde bezeichnen. Die Aufzeichnungen, die man sich über seine Familie oder sein Geschlecht macht, können in verschiedenen Formen geschehen. Der Laie spricht gewöhnlich von einem Stamm baum. Dieser Ausdruck ist indessen nur zutreffend, sofern es sich um eine bildliche Darstellung handelt, bei welcher tatsächlich ein Baum zur Abbildung gelangt. In allen anderen Fällen handelt es sich um Stamm- und Nach fahrentafeln, um Ahnentafeln oder um Berwandtschasts- tafeln. Die Stamm- und Nachfahrentafel führt von einer bestimmten Persönlichkeit aus der Vergangenheit zur Gegenwart, die Ahnentafel umgekehrt in die Vergangen heit zurück, und die Berwandtschaftstafel ist eine Ver einigung beider. Von großem Wert für jeden, der sich eine solche Tafel anlegen will, ist, daß diese mindestens enthalten muß: 1. Namen, 2. Hauptdaten, z. B. Ort und Zeit der Geburt, der Vermählung, des Todes, 3. Angaben über Beruf und Stand, bei den angeheirateten Frauen auch Namen und Stand ihrer Eltern, 4. Angabe der Konfession. Notwendig ist auch anzugeben, ob die angeführten Personen aus erster, zweiter oder dritter Ehe stammen, endlich möchten auch die totgeborenen oder ganz jung gestorbenen Kinder Auf nahme finden. Dabei sind folgende Zeichen, die zugleich der Abkürzung und Übersichtlichkeit dienen, allgemein im Gebrauch: * --- geboren, ----- getauft, O verlobt, oo vermählt,)(---- geschieden, ch ---- gestorben, xx --- gefallen, XX an Verwundung gestorben, i ! ----- begraben. Endlich bedeuten H) männliches, O weibliches, un bekanntes Geschlecht, doch kommen diese Zeichen nur in Anwendung, wo durch Fehlen von Vornamen das Ge schlecht nicht ohne weiteres ersichtlich ist. Natürlich wird man sich kaum mit der Aufstellung lediglich dieser Tafeln begnügen, die allein tote Namen und Zahlen enthalten. Vielmehr wünscht man lebhaft, möglichst viel über seine Vorfahren, über deren Beruf, Charakter, Lebensweise, Eigenart u. a. m. zu erfahren, und hier beginnt nun die weitere Genealogie, die Familien- Kunde. Es liegt in der Natur der Sache, daß die For schungen hierüber sich äußerst schmierig gestalten und daß es in der Regel große Mühe macht, etwas über einen Vorfahren in Erfahrung zu bringen, der etwa vor 300 oder 400 Jahren lebte, — sofern er nicht eine bedeutende Persönlichkeit ist, die an sich schon in der Weltgeschichte festgehalten worden ist. Schritt für Schritt muß man langsam rückwärts schreiten, von Geschlecht zu Geschlecht. Mitunter reißt plötzlich der Faden ab, und man ist auf dem toten Punkte angelangt. Dann muß man ernst suchen, ob man den Faden an einer anderen Stelle auffinden und anknüpfen kann. Jedoch ist nur auf dem Wege strengsten Wahrhcitssuchens und scharfer Kritik wertvolles zu erreichen. Oft ist man, ungeduldig und müde alles scheinbar aussichts losen Suchens, leicht gewillt, mit Vermutungen und Trug schlüssen weiter zu bauen und Brücken zu schlagen. Man hüte sich davor! Denn dadurch wird die ganze Aufzeichnung, die eine streng wissenschaftliche Arbeit sein soll, unwahr scheinlich und wertlos. Das führt zur Frage: Wo liegt der Wert solcher genealogischen Forschungen? Ist es nicht von Wert für Jeden, zu wissen, wie nicht nur die Vorfahren des eigenen Geschlechts, sondern auch die Ahnfrauen der weiteren Verwandtschaft mit Gutem und Bösem in ihm fortleben? Er fühlt sich- als Glied einer langen Reihe von Ahnen gleichen Bluts, zu denen er in Pietät zurückschaut. In dieser Richtung liegen viele erziehliche Momente für die Bildung von Herz und Gemüt der Vertreter der gegenwärtigen Generation, die nur zu leicht geneigt sind, in falscher Überhebung des eigenen Ichs das Alte und Vergangene zu übersehen. Über den Menschen