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Vetter Lui ^Migentllch heißt er „Herr Wünsche". Aber wir nennen ihn nie anders als Vetter Lui — denn wir sind ver- wandt miteinander. Ich bin außerstande, die Ver wandtschaft näher zu bestimmen, oder doch nur so, wie es einst ein munterer Lausitzer getan hat: es steht fest, daß seine Grußmutter und meine Grußmutter alle beide ale Weiber gewast sein. Vetter Lui ist auch ein Lausitzer, und zwar einer vom alten Schrot und Korn. Er gehört zu den wenigen, die der Handweberei treu geblieben sind: noch heute kann man ihn hinter den traulichen Fensterbogen seines Lausitzer Häusels weben sehen, obwohl er schon hoher Sechziger ist. Außer dem Hilst er hier und da aus — und das verbindet ihn ganz besonders mit uns. Denn er nimmt meiner Mutter im Garten die schweren Arbeiten ab, die eine Frau nicht leisten kann. Und mehr als einmal sagte sie zu mir: „Vetter Lui tut seine Arbeit mit dem Herzen!" Das konnte ich in den Sommerserien selbst beobachten. Es mar noch ganz früh am Morgen — da sah ich durchs Fenster, wie er auf unsrer Wiese das Gras schnitt. Richtig feierlich ward mir dabei zumute, so andächtig tat er Zug um Zug mit seiner Sense, d^e lange, hagere Gestalt etwas vornüber geneigt. Da plötz lich bückt er sich und legt behutsam ein paar Büschel auf die Bank. Reifer Kümmel wars, wie er mir auf meine Frage dann erzählte, „'s wär doch schade drum!"... Das Rührendste an Vetter Lui ist die Geschichte seiner treuen Liebe. Er hatte in seiner Jugend ein Mädchen gern gehabt, ober sie war von einem anderen gefreit worden. Da ist Detter Lui still seines Weges allein weitergcgangen. Die anderen zwei hatten ihren Hausstand, ihre Kinder, und sie brachten es bis zur silbernen Hochzeit. Dann starb der Ehemann ... Und nun wagte sich in Vetter Lui die alte stille Flamme ans Tageslicht —und er führte seine Geliebte im grduen Haar als glücklicher Freier heim. Ja wirklich: alsglücklicher Freier! Wer einmal ein stilles häusliches Glück sehen will, der muß das alte junge Ehepaar in seinem schmucken Lausitzer Häusel besuchen. „Wir haben alle Tage Flitterwochen," sagte Vetter Lui zu einem, der ihn nach dem Befinden fragte... Soweit kannten und schätzten wir unseren Vetter Lui schon jahrelang. Bis wir in den letzten Sommerferien plötz lich eine ganz neue Seite an ihm entdeckten: Vetter Lui ist ein Dichter! Wohl merkten wir ihm hie und da schon an, daß er — wie viele Lausitzer — eine starke philosophische Ader in sich trug —, das hat die geruhige Hausmeberei so mit sich gebracht. Aber da er sehr sparsam mit Worten ist, so konnte niemand ahnen, daß er seine Gedanken ganz in der Stille in geistvollen, gewandten Versen niederschrieb. Das kam so heraus: mein Onkel, der als Ferienbesuch da war, kam mit Vetter Lui auf allerlei Zeitfragen zu sprechen, unter anderem auch auf die Bibel. Da hatte Vetter Lui zum Schluß ganz trocken gesagt: „Ich habe mir meine Ge danken auch mal zu Papiere gebracht" — und hatte einen unscheinbaren Zettel heroorgezogen mit der Überschrift: „Die Bibel" und darunter ein Gedicht, das Hand und Fuß hat. Mein Onkel grub weiter nach — und da stellte es sich her aus, daß Vetter Lui schon längst, schon jahrzehntelang, in einem grauen Heftchen seine Gedanken „zu Papiere bringt". Nicht haufenweis — nein selten, und gerade das hat ihn gewiß vor Oberflächlichkeit bewahrt. Er nimmt seine An regungen oft aus der Natur und deutet sie um ins Menschen leben. Es ist eine Freude, dabei seine klare Auffassungs gabe und seinen treffenden Mutterwitz zu beobachten. Und oft steht man geradezu verblüfft vor den Kenntnissen, die darin zutage kommen und die er sich in aller Stille erarbeitet haben muß ... So ist uns Vetter Lui in diesen Ferien zu einem inneren Erlebnis geworden: wir haben eine Freude gehabt, als ob wir einen Schatz gehoben hätten — nur noch viel tiefer. — Ich habe mir einige Perlen aus seiner kleinen Sammlung herausgeschrieben und habe ihn gefragt, ob wir sie drucken dürften. Darauf schrieb er mir mit seiner ehrwürdigen, klaren Handschrift: „Werthe Johanna! Ich danke Dir herzlich für Deinen schönen Bries. Natürlich gebe ich die Erlaubnis dazu. Wer hätte gedacht, daß ich in meinem Alter noch eine so große Freude erleben sollte! Herzlichsten Gruß Lui." Vie vibel Ist brausten jetzt die Hölle los, ist alles jetzt horribel, und sprengt herbei aus stolzem der Antichrist der Bibel sRoß Und schlägt auch die Vielwisserei durchs allerfeinste Siebe! mit sachgemäßer Diistelei die argzcrsetzte Bibel — So rus ich laut und ohne Scheu: Ich schlage meine Gniebel im Innern überzeugungstreu wie Luther auf die Bibel. Die Hoffart lacht, die Demut meint, ins Auge beißt's wie Zwiebel: Lieb nicht als Christ, Hatz deinen so lehrt die neue Bibel. sFeindl Als Leuchte auf dem Lebensweg da lehrte mich die Fibel als Stütze auch für schwanken Steg manch Sprüchlein aus der Bibel. Und ist die Welt voll Kampf und in meinem trauten Stübel sHatz, herrscht Fried und Ruh ohn Unter- das Paradies der Bibel. floß, Und fragt man mich, wie kam das so, wer machte dir's plausibel? So ruf ich laut und seelenfroh: der Christus in der Bibel! Fegt von den Körnern weg die so wird sie gleich sensibel. fSpreu, So alt sie ist, doch ewig neu bleibt die Moral der Bibel. Ob Gottes Sohn, ob Menschensohn was schert mich das Gegrübel? Hier neben Meyers Lexikon da liegt bei mir die Bibel. Vas vielen Zum Dichten nimm erstens ein heiter Gemüt, und zweitens ein Herz, das fürs Schöne erglüht, Gedanken nicht träge und auch nicht so toll, den Kops nicht zu leer und den Bauch nicht zu voll, einen Fuß, der mit Abscheu Gemeinheiten flicht, ein Äug', das von andern das Gute gern sieht... Dann nimmt man ein Wörtlein, ein passendes, an, fügt Silbe an Silbe bedächtig daran, 's gibt Große und Kleine im Silbenreich auch, symmetrisch sie ordnen, ist löblicher Brauch. Im Taklmaß zu zwei oder dreien wie jetzt, damit es das kitzltchste Ohr nicht verletzt. Kein Steinchen am Wege — das gilt unbedingt, aus daß ja dec Versfuß nicht stolpert, nicht hinkt: Daktylus, Spondeus, Trochäus, Cäsur — muß stimme» genau wie die Räder der Uhr. Am Schluß jeder Zeile vergiß nicht den Reim, das Ganze verbunden mit ethischem Leim. Bon Orthographie nimm ein Streifchen nicht schmal — ob alte, ob neue — das bleibt sich egal. Erhab'ne Gedanken, dazwischen ein Witz, das wirket frappant wie ein nächtlicher Blitz. Doch ja keinen Blitz, der die Eiche zermürbt — auf daß es am Ende den Spaß nicht verdirbt. Den Schluß nimm zuletzt und den Anfang zuvor — sonst nimmt dich der Kritiker hämisch beim Ohr. Und ist es dann fertig gemacht bis auf's Daus — dann feile und putze es tüchtig noch aus. Kein Mensch ist unfehlbar — kein Werk so korrekt, daß hinter dem Schwänze ein Pudel nicht steckt. Zum Schluß einen Kreis noch, wo gerne man lacht: so, Publikum, werden Gedichte gemacht!