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die Zusammenstellung aller Gerate, die früher zur Erzeugung der Leinwand in den Dörfern rings um Herrnhut im Ge brauche waren. Bon Flachsbreche und Hechel bis zu Treib rad und Handwebstuhl ist alles in wunderschön erhaltenen Gegenständen vertreten. Während noch unsere Augen von der Fülle des Vorhandenen festgehalten wurden, rief man unfern Führer hinaus. Eine Schar von 27 Pfadfindern aus Dresden war unangemeldet noch eingetroffen und bat uns, die wir vorher bestellt hatten, um Aufnahme in den gemein schaftlichen Schlafraum. Da an Matratzen und Decken kein Mangel war, gaben wir gern die erbetene Erlaubnis, und friedlich verbrachten wir im Schutze der leise auf und ab marschierenden Pfadfinderwache die Frühlingsnacht im Turnsaale des Brüderhauses. Zuvor war uns noch die seltene Gelegenheit geboten, im Kirchensaale einer Tausfeier beiwohnen zu können. Pünktlich hatten wir uns eingestellt und auf den bequemen Bänken Platz genommen. Man reichte uns eine Anzahl so genannter Liturgicbücher, die bei der heiligen Handlung von der mitanwesenden Gemeine benutzt werden. Bor uns saß die gesamte Herrnhuter Schuljugend. Bald erschien, während die Orgel ein Vorspiel ertönen ließ, der Ortsgeistliche im weißen Talar, der nur bei der Taufe und bei der Abend mahlsfeier von ihm getragen wird. Rechts und links vom Geistlichen saßen auf einer erhöhten Bank die Paten und die Eltern des Kindes. Erst nach einer biblischen Ansprache und nachdem die Schulkinder gemeinsam dem Geistlichen eine Reihe auf das Sakrament bezüglicher Fragen nach dem Liturgienbuch beantwortet hatte», wurde auch der Täufling hereingebracht und nun vom Vater über die silberne Taufi schüssel gehalten, die auf einem altarähnlichen Tische stand. Während die Paten und die gleichfalls anwesende Mutter ihre Hände über das Kind breiteten, erfolgte die Benetzung mit Wasser und die Namengebung, woraus das Kind sofort wieder hinausgetragen wurde. Einige kurze Gesänge been deten die eindrucksvolle und außerordentlich würdigeFeier, die durch die Anwesenheit der Kinderschar und einer größe ren Anzahl von Erwachsenen auch äußerlich als eine bedeut same gekennzeichnet wurde. Hocherfreut darüber, daß wir hatten dabei Zeuge sein können, verließen wir das Gottes haus, verzehrten in den Quartieren unser Abendbrot und begaben uns zur Ruhe. Am Morgen des folgenden Tages gingen mir zunächst ohne Reisegepäck durch den Herrschastsgarten und am Herrn huter Schlittschuhteich, sowie an dem waldgeschützten Wasser- und Luftbad vorüber nach dem Denkstein. So bezeichnet man jene Stelle, wo am 17.Iuni 1722 der erste Baum zum Anbau von Herrnhut gefällt wurde. Sic ist durch einen unter hochstämmigen Buchen ruhenden Granitwürfel mit eiserner Inschriftplatte kenntlich gemacht. Außer dem geschichtlichen Vermerk lesen wir daran die Bibelstelle Psalm 84, 4: „Der Vogel hat ein Haus gefunden und die Schwalbe ihr Nest." Uber den Hcngstbcrg, der ebenso wie der Heinrichs berg mit zahlreichen Spazierwegen und Ruheplätzchcn aus gestattet ist, kehrten wir in der Nähe der im neuzeitlichen Sonderstil und in ruhigster Umgebung errichteten Ortsschule nach Herrnhut selbst zurück, um nun das Reisegepäck auf- znnehmen und dem völkerkundlichen Museum an der Bahnhofstraße einen Besuch abzustatten. In einem zweck mäßig eingerichteten Gebäude sind hier aus den Missions stationen sämtlicher Erdteile, die die Brlldergemeine seit 1732 gegründet und unterhalten hat, Gegenstände von Kultur- und religionsgeschichtlichem, sowie von naturwissenschastli- chem Werts aufbewahrt. Im unteren Stockwerk ist die alte, im oberen die neue Welt vertreten. Auf der Treppe lag ein großer Eskimoschlitten an der Wand, die dazu gehörigen Zughunde waren gerade zum Ausstopfen versendet worden. Überhaupt ist namentlich die Gruppe, die sich auf die nörd lichsten bewohnten Länder der Erde, auf Grönland und Lab rador, bezieht, ganz hervorragend durch ihre Reichhaltigkeit und Vollständigkeit. Doch auch alle anderen Missionsgebiete (Südafrika, Tibet, Australien, Suriname, Westindien, Moskitoküste usw.) haben an Waffen, Kleidungsstücken, Hausgerät, Photographien, Pflanzen, Tieren und Minera- lien derart viel geliefert, daß umfassende Bilder der dortigen Verhältnisse dargestellt werden. Als die Pfadfinder von gestern abend uns im Besuche des Museums ablösten, marschierten wir bis zum Bahnhofe, hielten Frühstücksrast und fuhren dann in der Wandervogel klasse bis nach Großschweidnitz, nm von hier aus über La- walde und Streitfeld uns den Bautzener Bergen zu nähern. Frühlingsfahrl zu Vater Kalauch Städter. Ties keuchend und krauchend schleppte die treue Lokomotive den stark besetzten Zug durchs Lunewalder Tal. „Mittelcunewalde!" tönt es ans des Schaffner« Munde. Heisa, nun geht's ins Freie, in den köstlichen Duft der Heimat- lichen Nadelwälder. Die Sonne meint es gut, fast zu gut. Doch ein frischer Windhauch lindert die Hitze. Auf steinigem Wege geht es hinauf Bieleboh! — Was zum Dieleboh? Na, seit wann wohnt denn Vater Kalauch auf dem Dieleboh ? — Ja, mein Lieber, du muht wissen, erst schaut man sich den Lzorneboh so ungefähr einmal oou drüben an, macht aus dem alten Wendenberge des „weißen Gottes" eine kurze Rast, um dann durchs Lunewalder Tal zurück, zu seinem Zeit- und Altersgenossen, dem Berge des „schwarzen Gottes", hinaus- zusteigen. Wie zwei mächtige Säulen, die noch den letzten un- sichtbaren Dogen eines verfallenen Gebäudes aus uralter Zeit trage», stehen sich Lzorneboh und Bieleboh gegenüber. Und dazwischen, im Tale, liegt friedlich und lang an den Bergketten dahingestreckt, Cunewalde. Dort, östlich vom Lzorneboh, neben dem Steinberg und Ziegel- berg, ragt stolz der Hochstein empor. Da, westlich, lugt zwischen dem Lzorneboh und dem Frühlingsberge der Döhlener Berg hervor. Bei der „Blauen Kugel", aus der lustiger Singsang schallt, vorüber an dem schönen Kriegerdenkmal von l870/7t, verläßt der Weg das Dorf. Zwischen den tausendfach grünen Fluren steigt er allmählich hinan. Bon weitem schon grüßt von mäßiger Höhe das rote Dach des Erholungsheims. Don vielen wird es ausgesucht und mancher hat erst jetzt gemerkt, daß die frische reine Lust in den Hetmatdergen nicht schlechter als die Seeluft ist. Wie schade, daß die« mancher erst in der jetzigen Not ent- decken mußte. Etwas steiler wird nun der Ausstieg und der Schweiß stellt sich auf Stirn und Nacken ein. Bor mir wandern ein paar Jungen von 8-10 Jahren. Bald habe ich sie eingebolt und erkenne, daß es ein paar echte Lausitzer Eprößlinge sind. Auch ihre Unterhaltung läßt mich darüber nicht im Zweifel. Sie scheinen noch nicht aus dem Lzorneboh gewesen zu sein oder seit langer Zeit zum letzten Male. „Wu moag ack blutz d'r Lzornrbuh sinn?" hörte ich den einen fragen. „Dunnerwatt'r is doas oab'r steil", rollte der andere. „Kumm ock, m'r giehn dan Moanne nach, m'r war n wühl boale ub m