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Pfingstmaien Skizze von Helene Hclbig-TrSnkner eberall im Tal läuteten die Abendglocken, als Hilde Sehrenberg in die Ferien heimkehrte. Bon den Bergen grüßte noch der Sonne letztes Leuchten und setzte den Spitzen goldene Krönlein auf. „Ein herrliches Festtagswetter?" dachte Hilde und ging mit schweren Schritten, denn sie trug mühsam ihren Koffer, den ihr niemand abgenommen, bis sie endlich an das rosenumrankte Gartenpsörtchen gelangte, das in ihr Heimatreich führte. Eine ältere Dame saß aus dem Altan vor der Haustür in einem Triumphstuhl und schaute mit leeren Augen ins Weite. Sie waren blind. Ein Schatten huschte über Hildes leicht gerötetes liebliches Antlitz. „Ach, daß sie ausstehen und mir entgegenkommen könnte," dachte sie, indem sie die Stufen emporstieg. „Mütterchen!" Schon war sie bei ihr. „Kommst Du schon, Kind?" Die alte Dame streckte die Hände nach ihrer Tochter aus, die sich liebevoll über sie beugte. „Ach Gott, ja, es sind ja Ferien, Mütterchen, Du begrcisst doch, was das heißt?" „Ich hätte Dir Berta entgegengeschickt, aber Du kennst ja die Leutenot jetzt, den ganzen Tag heut ist das Mädchen nicht gekommen." „Und Du?" Hilde hatte den Koffer obgestellt und schickte sich an, Hut und Jacke abzulegen. „Ich habe vom frühen Morgen an hier gesessen und ge- w artet." „Mütterchen, das — das ist ja furchtbar, auf wen denn, auf mich?" „Auf Dich und auf noch jemanden, Du weißt doch, daß er mir jedes Jahr die Maien abschlug und vor die Tür pflanzte, weil ich den Duft so unvergleichlich schön fand. Nun ist wieder Pfingsten, und er ist noch nicht zurückgekehrt." „Claus, ja Mütterchen, aber komm, nun wollen wir doch hineingehen, die Luft weht kühl von den Bergen her, sie könnte Dir schaden," sagte die junge Lehrerin und zog die Schultern hoch, denn auch sie fröstelte vor Müdigkeit und Abspannung. Sie versuchte, ihre Mutter emporzuheben und in das Zimmer zu geleiten. Frau Oberforstrat Sehrenberg erhob sich mühsam und unsicher. „So habe ich wieder vergeblich gewartet," sagte sie düster, während ihre Hände tastend ins Leere griffen. „Mütterchen!" „Kind, Du weißt nicht, was das heißt." Die beiden Frauen schritten behutsam durch die Glastür, die jüngere stützte sorgsam die Mutter. Drin im Haus hatte es den Anschein, als ob nirgends sorgende Hände die tausend kleinen Obliegenheiten des Tages verrichtet hätten, kein freundlicher Tisch stand für den heimkehrenden Gast bereit. Ach, und was für einen großen Hunger hatte Hilde! Aber sie ließ sich die Ferien laune dadurch nicht trüben. Nachdem sie die Mutter aus das weiche Sofa gebettet, lief sie hinaus, um sich in Küche und Speisekammer nach etwas Eßbarem umzusehen. Es dauerte gar nicht lange, so kehrte sie mit einer dampfenden Schüssel voll Suppe und einem Brett mit einfachen aber leckeren Dingen zurück, und nun saßen sich Mutter und Tochter wieder gegenüber, und Hilde bediente und umsorgte die Mutter, als wäre fie ein hilfloses Kind. Sie erzählte von ihren Erlebnissen in der großen Stadtschule und ver suchte, durch liebenswürdige Scherze die arme Blinde zu erheitern. Aber plötzlich, aus allem Erzählen Hildes heraus, brach Frau Sehrenberg in ein lautes Klagen aus. „Du mußt heimkehren, Kind, ich halte das einfach nicht mehr aus, dieses Leben allein, preisgegeben unzuverlässigen Dienstboten, einsam, hilflos, vielleicht eine Zielscheibe des Spottes." Hilde sah erschrocken zu der bedauernswerten Sprecherin hinüber. „Mütterchen! Ich—hetmkehren? Meine Arbeit aus geben, alles über Bord werfen, was mir liebgeworden, hier- her kommen — und was, was tausche ich dafür ein?" Sie schlug die Hände vors Gesicht. O ja, sie sah wohl die Not der Mutter ein, die, fremden Menschen preisgegeben, sich an die Hilfe der einzigen Tochter in naiver Rücksicht-,- losigkeit klammerte. Aber was sollte denn aus ihr werden? Hatte sie nicht nach mühsamen Kämpfen um verlorenes Glück, nach schlaflos bangen Nächten, wo sie in heißem Ringen die Hände gefaltet und den Höchsten um Kraft für ihres Geschickes Tragen angeflcht, sich diese Stellung er rungen, die ihr lieb und teuer war, und nun, nun sollte sie diese leichthin aufgeben und hierher zurückkehren, wo nie mand ihre Arbeit wollte, wo sie nur die pflegende Tochter rolle übernehmen sollte. „Mütterchen, ich nehme Dich mit mir, wir ziehen zu sammen, und ich pflege und hege Dich, soviel ich kann. Wenn ich heimkomme, gehöre ich dann ganz Dir!" sagte sie erleichtert, beglückt, einen Ausweg gesunden zu haben. Aber Frau Sehrenberg gefiel der Plan nicht. „Ich kann nicht fort hier, Du weißt doch, Hilde, ich mutz warten, bis er heimkommt." Wie eine fixe Idee schien sie diese Hoffnung zu beherrschen „Und," das junge Mädchen fühlte sich gezwungen, die Mutter einmal an die Zweifelhaftigkeit dieser Hoffnung zu gemahnen, „wenn er nun nicht heimkehren sollte, wenn, er doch — geblieben wäre." Die Wirkung dieser Worte war furchtbar. Aus dem leid- beschatteten Antlitz der alten Dame war jede Farbe gewichen. Entsetzen sprach aus den toten Augen, die Hände tasteten hilflos nach einem Halt. „Nein, nein, das — ist — unmöglich!" stammelte sie, „unmöglich!" Hilde war herzugesprungen und legte den Arm um die schwache, zierliche Gestalt. Ein banges Weh durchzog ihr Inneres, aber ihr Entschluß hatte sich gefestigt; sie sah ein, daß sie auch noch dies Opfer bringen, ihrem Berns entsagen und heimkehrsn müsse, um die Mutter zu pflegen. Draußen segelte der Mond vorüber auf den Himmels, wegen, taghell war die Nacht, so hell, daß dos milde Himmelslicht sogar, wenn auch gedämpft, durch die ge schlossenen Vorhänge schimmerte. Ein Knistern, wie wenn die Zweige eines Baumes an die Fensterscheiben streiften, machte sich von draußen hörbar. Hilde achtete nicht darauf, nur die Frau Oberforstrat hob ein paarmal den Kopf. „Hat der Wind sich erhoben, ist ein Wetter im Anzuge?" fragte sie besorgt. „Nein, Mütterchen, der Mond scheint hell." „Aber laß uns zu Bett gehen, es ist spät, und Du wirst müde sein von der Reise." Hilde geleitete sorgsam die Mutter zur Ruh« und begoir