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Gberlauscher Heimatzeltung Am Birkteich Romcin aus dem Lausitzer Volksleben 3 von Richard Blasius 4. Kapitel Es war am andern Vormittage. Dom Kirchturm herüber brummten zehn dumpfe Glncken- schläqe, da lehnte am Stamme einer fast entlaubten Birke am Teiche die Bäuerin und schaute unverwandt nach dem Dorfe. Sie darrte ihres Bruders. Im Hause hatte sie es nicht mehr ausgehalten vor Ungeduld und banger Erwartung. Sie mußte allein mit ihm sein bei diesem ersten Zusammen treffen. Gut, daß die neugierigen Augen des Gesindes vom Kartoffelacker gebannt wurden. Sobald vom Dorfe her ein schwarzer Punkt in schnecken- haftcr Langsamkeit auf die Landstraße zukroch, faßte ihr die kalte Angst noch dem Herzen, und ihre knöcherne Hand umklammerte ihren Hals, daß sie kaum zu atmen vermochte. Da, ihr schiens, als Klopse ihr Herz bis weit hinauf an den Hals, da kroch es schneckengleich herüber aus die Land straße ging schneller und schneller, bog gar auf den Feldweg ein. Jetzt erkannte sie den Fleischer aus dem Nachbardorse, der übrigens vorüberging, ohne sie zu sehen. Wieder ein Punkt dort drüben! Trotz der gleichen Lang samkeit näherte er sich in der Empfindung der Wartenden mit eilender Hast, denn diesmal war crs. Sie wollte ihm entgegengehen, aber plötzlich kam eine Furcht vor dem Alleinsein mit ihm über sie, die ihren Füßen den Dienst versagte. Naher und näher kam er. Jetzt konnte sie bereits sein bärtiges Antlitz erkennen. Und die Angst fiel von ihr mit oufalmender Erlösung, wie mit einem Zauberschlag gebannt, als seine Augen die ihren trafen. „Schwester!" Sein Arm legte sich leise um ihre Schultern und zog die noch schwach Zitternde an seine Brust. „Heinrich, Bruder!" Sie legte den Kopf an seine Brust, und ihren Augen ent strömten befreiende Tränen. Ihr Herz fühlte, daß cs end lich wieder einmal geborgen sei in dem sichern Arm starker Mannestreue. Jetzt erst merkte sie, daß sie nur ein schwaches Weib gewesen war, oll die Jahre hindurch nur von ihrem Stolz aufrecht gehalten der Härte der Welt gegenüber. Die steinern? Masks war von ihr gefallen. Wortlos standen sie da. Als Heinrich den Schritt langsam dem Hofe zulenkte, ohne die Umschlingung zu lösen, flackerte noch einmal eine jähe Angst in ihren Augen auf, die des Bruders Herz so gleich erkannte. Fester zog er sie an sich. „Geschehenes ist begraben," sagte er leise und strich ihr begütigend über die Hand. Geschehenes! Agnes fuhr das Wort wie schneidender Stahl durch die Seele, und über ihr Gesicht legte sich wieder der harte Schein des Stolzes. Wie hatte sie nur einen Augenblick lang denken können, der Bürde ledig zu werden, die ihr dos Leben aus den Rücken geladen hotte. Aufrecht, mit entschlossenen Zügen, schritt sie an der Seite des Bruders durch das Lwsior. ganz die Birkhosbäuerin. Nr. 5 Heinrich ging in Sinnen verloren neben ihr hin. Fünf undzwanzig Jahre, seit er die Luft der Heimat nicht mehr geatmet hatte. Und was lag alles hinter ihm, in diesen Jahren des Mühens und Schaffens unter fremden, gleich gültigen Menschen. Gedankenschwer hob er den Kopf. Was war das? Konnte die Zeit ihren Laus rückwärts fließen machen? Da stand seine Schwester vor ihm im blühenden Lenzesalter, wie er ihr Bild noch im Herzen trug. Nur feiner war es, wie von einem reinem Acker durchdrungen, der ihm den Stempel von Zartheit und Milde aufgediückt halte. Ja, das war sie. das Auge voll heiterer Iugendunschuld, wie er sie jahrelang an seiner Seite zu sehen gewohnt ge wesen war. Dor seinem Auge hotte später lange, ach so lange ein anderes Bild gestanden, getrübt durch häßliche Schatten. Die zog ein" sanfte Hand hinweg, dieselbe, die sich jetzt schüchtern in die seine legte. „Onkel." ..Kind." Er zog sie leise an sich und küßte sie auf die Stirn. Agnes seufzte auf. Eine eifersüchtige Flutwelle griff ihr heiß ans Herz. Dem Kinde würde seine Liebe gellen, die für sie verloren war. Sie aber würde dazwischen stehen, an der Stirn das Brandmal. Heinrich stand traumverloren neben dem Mädchen, bis ihn der Schwester Seufzer weckte. Da ergriff er ihre Hand, und selbdritt stiegen sie die Treppe hinauf, den eigentlichen Wohnräumen zu. Warm umschloß die Hand des Heim- gekehiten der Schwester Rechte, aber sie fühlte nur die Wärme des Mitleids, das zu heischen ihr Stolz nicht zugab. Das große Zimmer hatte wenig von bäuerlichem Charakter auszuweisen. Es glich mehr einem gediegenen, bürgerlichen Raume voll einsacherDornehmheit. Ein großer, ovaler Tisch, darüber eine große, bronzene Hängelampe, stand in derMitte. An der einen Wand ein Sosa mit dunkelgrünem Plüschbezug, hocklehnige, schwere Stühle mit Schnitzweik, ein dunkler, großer Schrank mit malten Metallbeschlägen zeugten von einem gewissen Schönheitssinn der Bewohner. Den Fuß boden bedeckte in seiner ganzen Fläche ein blaugrüner Smyrnateppich. Auf einem offenen Förster-Piano lagen Notenblätter zerstreut, Chopck, Mendelssohn, Schubert. Wie sie behaglich am Tisch? saßen und das Wohlgefallen aus Heinrichs Augen aus Lenas Gesicht strahlte, weckte es in ihrem Herzen das Zutrauen zu dem weltmllden Manne. Dos wurde die Brücke, auf der bald die Worte hinüber- und herüberliefen. Auch Agnes ward mitteilsam, und die Worte sprangen leichtfüßig zwischen den dreien einher. Zu leicht. Das merkten nur die Geschwister, aber nicht die, um deretwillen sie so anders sprachen, als ihr Herz. Die Schatten der Erinnerung waren noch nicht gewichen. Heinrich sprach nur wenig über sein vergangenes Leben. Daß es zu Anfang schwere Lehrjahre gewesen waren, blickte wohl manchmal zwischen seinen Worten hindurch, aber er legte sich Zügel an, um das verzehrende Heimweh nicht zu v rraten, das zu überwinden ihm nie gelungen war. Es hatte eisernen Fleißes und eines genügsamen Magens bedurft, um, da er nun einmal dem Zuge in die Stadt gefolgt war, als Neuling nicht unterzugehen, n'cht hinabzusinken in das Elend so vieler Existenzen, deren Kräfte sich als zu schwach erwiesen im grausamen, unerbittlichen Kamps ums Dasein des schmachvollen Lohnsklaoentums.