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Är. 4 Hberlauslhsv Helmatzeitung 2m Dorfe kein freundliches Wort, nur höhnische Augen und unflätige Beschimpfungen. Im Hause ein ewig Lärmen und Fluchen. Streit hats zwar keinen gegeben, denn sie hat nach dem ersten Jahre nur das Notwendigste mit dem Manne gesprochen. Endlich hatte ihn ein Fluch erstickt, grad als er „Gott verdamm mich" schreien wollte, er kam aber nur bis „Gott oer....", da wars auch schon geschehen, nicht daß ihn Gott verdammt hätte, aber gestraft hatte er ihn doch sehr schnell. Die Dörfler wußten es dem Pfarrer aus hundert Melodien in die Ohren zu flüstern: „Der hat wohl sterben müssen. Sie hals ihm danach getrieben." So kam es, daß sich dieser verordnete Diener der göttlichen Alliebe am Grabe nicht versagen zu können glaubte, an diese Gerüchte zu rühren. Seit der Zeit hatte kein Auge die Witwe weder in der Kirche noch im Dorfe gesehen. Das Gut lag eine Viertel stunde abseits des Dorfes. Gut, daß sie einen Schatz in ihrer Einsamkeit besaß, wie sie ihn sich nicht besser denken konnte. Dieser Schatz war. der heilkräftige Balsam, den ihr das Schicksal in die liefen Wunden träufelte. Der Birkhof konnte das zweifelhafte Geschenk, die Gunst der öffentlichen Meinung, wohl entbehren, barg er doch ein Glücksjuwel in sich. Lena hieß der Sonnenschein des Birkhofes. Lena, das einzige Kind aus der stürmischen Ehe, erst kurz nach des Vaters Tod geboren. Kein Wunder, daß die Bäuerin mit abgöttischer Liebe an dem Mädchen hing, mußte sie ihr doch Entschädigung für so vieles bringen. Aber der Tausch war gut. Für das elende Kupfer, das ihr die Menge vorenthalten, hatte sie das edle Gold einer reinen Menschenseele be kommen. Neunzehn Jahre war Lena alt, ein schlankes Mägdlein, gesund und munter wie ein Fisch im Wasser, mit einem Herzen wie der klare Spiegel des Birkteichs. Der Einsiedlerin vom Birkhof war es infolge der etwas abgelegenen Lage des Gutes gelungen, wenn auch unter großer Sorge und Mühe, ihr Kind vor den Einflüsterungen der Dörfler zu bewahren. Sechs Jahr lang hatten Haus lehrer und dann der Rektor des nahen Städtchens das Kind mit den fragwürdigen Ergebnissen europäischer Kultur be kannt gemacht. Zum Glück war Lena seit zwei Fahren eifrig beflissen, so viel unnötigen Ballast wie nur möglich über Bord zu werfen und dafür die Geheimnisse von Küche und Keller zu ergründen. Doch bei ihrem Kinde waren der Bäuerin Gedanken jetzt wohl kaum, wozu sonst die trüben Wolken auf der Stirn? In derHand zerknitterte sie in innerer Erregung einen Brief. Also heim war er, heim nach fünfundzwanzig Jahren. Als er ging, stand die Sonne ihres Ledens noch im fröh lichen Vormittage und jetzt, da er wieder kam, stieg sie schon lange vom Zenith herab. Gewiß, die Bäuerin freute sich der Heimkehr des Bruders. Aber in ihrem Herzen klopfte auch ein zitterndes Bangen. Wenn sie sich auch der Schuld ledig fühlte, die ihr die Schmähsucht der Menge nachzischelte, daran trug sie doch die Schuld, daß ihr Bruder einer aus Kains Geschlecht ge worden war, und — noch ein „Schuldig" stand gar schmerz haft in ihrer Seele eingebrannt. Würde ihr jetzt nach einem Vierteljahrhundert immer noch der Argwohn entgegenflimmern, wie damals? Sie glaubte an keine Änderung, wie sehnlich sie diese auch er hoffte! Warum war er nicht sofort zu ihr gekommen? Warum verleugnete er so die Bande des Blutes? O, sie fühlte den Grund. Zeit hatte er ihr geben wollen, daß sie mit sich ins Reine kam, wie sie den empfangen sollte, der durch sie heimatlos geworden war. Heimatlos, durch sie, ja, ja, aber nicht so, wie er es gedacht und — noch dachte. Beklommen ausseuszend fuhr sie sich über die gefurchte Stirn, glättete das Papier und las die wenigen Worte, sie wußte nicht, zum wievielten Male. Morgen wollte er kommen. Und heute? Warum nicht heute? Das wars, was ihr nicht aus dem Kopfe wollte und ihr brennend heiß auf die Seele fiel. In dieser Stunde fühlte sie, wie das Schicksal hart und unerbittlich seine Schuld einkassiert, sie lernte die Wahrheit des Bibelwortes kennen „Wahrlich, du sollst nicht herauskommen, bis du alles bezahlt hast." Ihr Antlitz heiterte sich nicht einmal auf, als die Treppe unter schnellen, leisen Füßen knirschte und Lena eintrat. Ohne der Mutter sorgenvolle Züge zu sehen, trat das Mäochen an die Kommode und begann, darin zu suchen. Uber der ganzen Gestalt lag jungfräuliche Weihe. Der länglich schmale Kopf mit dem braunen, seidigen Haar war ein Erbstück der Mutter, desgleichen die samtnen, braunen Augen, die voll warmen Sonnenscheins glänzten. Aber nicht in heißer, gieriger Sommerglut, die der Jugend kein Frühltngsglllck mehr gönnt, sondern in stillem, milden Maienleuchien. Auch die sanfte, weiche Knospe des träume rischen Lippenpaares stand noch unter dem Zeichen desLenzes. Die ganze friedvolle Schönheit eines klaren Frühlings morgens lagerte hier auf einem Menschenantlitz. Da, als der Mutter ein banger Seufzer entfuhr, wandte sich Lena erschrocken nach ihr und fühlte mit Befremden das liebe Augenpaar mit sichtbarem Kummer auf sich ruhen. „Mutter." Der Ton legte sich so schmeichelnd und weich an der Be sorgten Ohr, daß er sogar die bangen Schläge des unruhigen Herzens dämmte, die ungestüm das wehe Lied von Leid und Schmerz begleiteten. Da schlang Lena ihre Arme um der Mutter Hals, lehnte die Wange an die ihre, und noch einmal klang es in liebender Besorgnis: „Mutter." Bebende Worte rangen sich jetzt von der Mutter zaghaften Lippen und bekamen nur ganz allmählich einen ruhigeren Klang; da erfuhr Lenchen von der Wiederkunft des Oheims, der so lange die Heimat gemieden. Doch das Warum zu erzählen, fehlte der Mut, machte ihr doch Lena das Ver schweigen so leicht. Schon seit Jahren hatte das Mädchen etwas von einem Geheimnis gefühlt, das auf dem Birkhof lastete, worüber die Mutter nicht zu sprechen vermochte. Ader das feine Taktgefühl verschloß ihr die Lippen zu der Frage nach den heimlichen Gedankengängen der Mutter. Der Bäuerin Augen sahen in das Weite, starr und regungslos, als könnten sie durch die Wand bis hinüber in die Häuser des Dorfes dringen, als melde ihr ein plötz liches Hellsehen den zukünftigen Kampf, der jetzt auflodern sollte um ein Phantom, dem der Menschen niedrige Ge dankenwelt ein Leben über fünfundzwanzig Jahre hinaus geschaffen hatte. , (Fortsetzung folgt.)