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Am Birkteich Roman aus dem Lausitzer Volksleben 1 von Richard Blasius 1. Kapitel weißen Fäuste des Frostriesen ballten sich drohend am Himmel und deckten mit gierigem Geiz der Sonne warmes Gold. Sein naßkalter Atem jagte wild und ungestüm über die Stoppel, hielt dann unter Heulen und Johlen ein Zwiegespräch mit den hohen Pappeln, die aber nur verdrießlich knarrten, und stürzte sich endlich auf die silbernen Stämme der schlanken Birken. „Ihr müßt sterben/' flüsterte er hämisch den goldenen Blättern zu, die erschauernd zu Boden sinken wollten. Da faßte sie der stürmische Übermut, raste in wildem Wirbel mit ihnen dahin und riß sie mit sich in tollem Reigen, bis sie ermattet zu Boden sanken. Totentanz! Felix Schirmer, der neue Schulmeister von Autal, saß an der von buntem Weinlaub umrankten Hinterwand des kleinen Schulgebäudes und sah dem Schwinden des fahlen Herbsttages nach. Aber in seinem jungen Herzen saß der Frühling und läutete mit den rotmeißen Blütenknospen, die von den Menschen den Namen „brennende Liebe" be kommen haben, daß ihm der kecke Räuber Herbst nichts an haben konnte, wie gewaltsam er in seinen Siebcnmeilen- stieseln auch durch das Land wuchtete. Schirmer, ein Dreißigjähriger, hatte erst vor drei Wochen seinen Einzug im Dörfchen gehalten. Die Dörfler hatten sich schnell an ihn, der selbst ein Landkind war, gewöhnt, und so schien es, als hinge ihm der Himmel voll Geigen. Noch dazu, da ihm die Liebe auf ihnen ihr Lied sang. Bereits am zweiten Tage nach seiner Ankunft war ihm ein Menschenkind begegnet, dessen Schönheit sein junges Herz in Banden geschlagen hatte. „Das Mädl vom Birkhof ist es," hatten ihm die Leute gesagt. Aber so vorsichtig und scheinbar interesselos er seiner Meinung nach auch seine weiteren Fragen gestellt hatte, bald mar er doch gewahr geworden, daß seine Stimmung nicht verborgen geblieben war. „Stroh in Stiefeln und Liebe im Herzen gucken überall heraus" hotte die alte Mutter Siedergesagt,die seine einsacheIunggesellenwirtschasi betreuen half. Und gleich war ihm auch begreiflich geworden, daß am Heilern Himmel schon Gewölk aufzog, denn man begann bereits, ihm in den Ohren zu liegen und Andeu tungen aller Art zu machen, die den Birkhof mit seinen Bewohnern durchaus nicht in gutes Licht stellten. Auch hier schon der mißgünstige Sturm, der neidische Herbstwind. Nein, nur der Kampf um das Erstehen des Lenzes. Der Mai siegt immer. Felix Schirmer stand auf, strich das braune Gelock aus der Stirne, das der Sturm zerzauste, und blickte mit Hellen Augen in das Land hinaus. In seinen offenen Zügen lag Entschlossenheit und Mut, sich das Glück zu zimmern, mit eigener Hand, unbekümmert um engherzige Vorurteile selbstgerechter Pharisäer. Aus dem Kamme der Hügelkette, den die Landstraße vom nächsten Städtchen her schneidet, lehnte ein Wanderer an einem Ebereschenbaume. Er mochte ein starker Fünfziger sein. Auf Haar und Bart begann der Herbst silbernen Reif zu legen. Da« Gesicht war braun gebrannt und wies harte, markige Linien auf wie ein Dürerscher Holzschnitt. Die sprachen von Ringen und Kämpfen mit den unerbittlichen Lebensmächten. Aber das weiche, samtne Glänzen der braunen Augen milderte die Härte des faltenreichen Antlitzes. Jetzt schauten sie mit einem Ausdrucke wehmütigen Glückes hinunter ins Tal. Heimat! Das goldne Wort begrüßte den Heimkehrenden mit schmeichelndem Klange. Die frischgestürzten, braunen Acker schollen sandten ihm den würzigen Duft ihrer Fruchtbarkeit. Die Birkenwälder im Tal lockten mit heitrem Silberblick. Und dort unten, an dem Hellen Bande der Au, das sich durch Birken- und Erlengebüsch hinschlängelte, lag Autal. Die Augen des Heimgekehrten liebkosten das Fleckchen Erde, wie der Sohn die müden Hände des alten Mütter leins streichelt. Auf niedrigem Hügelgelände zerstreut lagen die weit läufigen Gehöfte, stolz und selbstbewußt, während sich die kleinen Fachwerkhäuschen mit ihren bunten Fensterläden schüchtern an beiden Seiten der Au aneinanderdrückten. Langsam schritt er talwärts, bog von der Landstraße ab, und wegkundige Füße führten ihn auf schmalen Fußpfaden quer über grüne Wiesengründe. Das blauviolette, kraft strotzende Kraut harrte des Schnittes, und überall waren fleißige Hände dabei, das Brot der Armen, die segensvolle Knolle der Erdbirne zu ernten. Hart neben sich, hinter spärlichem Haselnußgesträuch, ge wahrte er zwei, Knecht und Magd, die sich eifrig bückten, der Erde Gaben zu sammeln. Er verlangsamte seine Schritte noch mehr. Was würden sie ihm zu sagen haben, die ersten Leute von Autal? Am Wege schüttete der Knecht einen schweren Korb voll Crdbirnen auf den Bretterwagen. Dünne, feuchte Haar strähne klebten an der schweißtriefenden Stirn, die mit Ackerkrumen bedeckt war. Aus dem derbknochigen Bauern gesicht starrten stachlige Stoppeln und machten die Züge mit den schmalen, zusammengekniffenen Lippen verdrossen und griesgrämig. Das typische Gesicht des alternden Tage löhners, der im Zurückschauen nur Tage voll Mühe und Arbeit für fremde Hände sieht! Ein Ackergaul! Der blaue Kittel fuhr an allen Ecken und Enden aus einander. Ihn und den steifen Lederhosen haftete ebenso wie den halbhohen Stiefeln eine dicke Kruste Ackererde an. Einige fünfzig Jahre mochte der Mann wohl zählen. Daneben trug eine Magd, die auch nicht mehr in der ersten Jugendblüte stand, große Hausen der dürren Stengel und Blätter, das Kräutich, zusammen. „Guten Abend!" grüßte des Wandrers tiefe Stimme. Das verdrossene Gesicht des Knechtes schaute gleichgültig Uber den Wagenrand, während sich dem halbgeöffneten Munde einige Laute entrangen. Die Magd dagegen trat näher, „'n Obend och," entgegnete sie den Gruß und beguckte sich voll Neugier den Fremden, dessen Augen über die belebten Felder liefen, während er in ernstes Sinnen verloren dem Dorfe zuschritt. Es dunkelte schon, als er in die niedrige, verqualmte Wirtsstube der Schenke trat, in der nur eine Handvoll Gäste saßen. Ohne diese zu beachten, ließ er sich vom Wirt ein Stübchen anweisen, und die vier, fünf Autaler blieben völlig im Ungewissen über seine Person. Daß es Heinrich Pfeiffer war, der vor fünfundzwanzig Jahren verschollene Bruder der Birkteicherin, konnte natür lich niemand vermuten, wie man auch hin und herriet.