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Förster, selbst weihnachtlich gestimmt, hatte es dem Buben, wie voriges Jahr, erlaubt, wußte er doch, daß Frau Born in aller Not ein rechtschaffenes, ehrliches Weib geblieben war. Ganz bestimmt, Borns sollten ihren Baum haben. Freude strahlend war Peter heimgekehrt. Der Christbaumschmuck, die blauen, grünen und goldenen Kugeln, die Lichterdillen, die Gold- und Silbersträhnen und der weiße Engel von der Spitze wurde von Jahr zu Jahr aukgehobev. Die Lichter freilich waren bis aus ein paar kärgliche Stümpslein herab gebrannt. Aber da würde schon noch Rat werden. Das war ja das Schöne, das Peters Herz das Hoffen nie verlor. Der Morgen des Heiligen Abend« im Jahre 1876 war früh um 7 Uhr noch ganz dunkel. Da kam die Mutter und weckte ihren Jungen mit sansicm Steeicheln: „Peter, steh aus! Mußt in die Stadt, 's ist Zeit!" Und Peter sprang aus, fuhr in die Hosen, holte am Brunnen frisch Wasser und wusch sich schnell und mutig. Draußen fiel ein leiser Schnee. Das gefiel ihm. Da gab's ein schönes Marschieren. Solch Weihnachtswetter gehörte ihm einmal zu rechter Weihnachtsstimmung. Den dünnen Gerstenkaffee hatten Mutter und Sohn bald getrunken. Mit einigen guten Ratschlägen — munter aus- zuschreiten, sich nicht aufzuhalten und ja das Waschgrld, 1 Taler 7 Groschen, heiwzubringen — nahm der Knabe seinen Wäschekorb auf die Schulter und ging mit hoffnungsvollem Sinn nach der Stadt. Dos Dorf wachte erst langsam aus. Bei Melzers klingelte die Ladentür. Im Laden war noch Licht. Die Schaufenster hatte der Kausmann fein geschmückt, und ein Ruprecht lies schnurstracks über die blanke Scheibe. Die Bach kam von der Höhe und murmelte ganz zufrieden, weil fie tausend Schneeflocken auf einmal verschlucken konnte. Das war über haupt rin interessantes Spiel, was Flocken und Wellen mit einander trieben: aber Peter durfte doch nicht verweilen. Hätte er einen Zweipfenniger gehabt, so wäre er wohl am Bach entlang gelaufen, um von Demnitzens Gasthof aus mit dem alten Salzer überzufahren. So Halle er keinen Heller und mußte bis in die Neustadt hinein, um dann über die AugustusbrÜcke zu gehen. Ls war freilich ein Umweg. Doch der hatte auch seine Reize. Wie die große Stadt in dem winterlichen Frühlicht hinter den Kiefern- und Birkenbüschen von Blasewitz immer näher rückte, wie die Frauenkirche eine mächtige Pelzhaube aufhatte, und wie die Schneiflocken alle die stolzen Türme neckten, das machte ihm doch einen Heiden- spaß. Zudem wurden die Gärten und Weinberge, die an seiner rechten Seite über den Mordgrund zur Heide hinaus stiegen, auch immer märchenhafter in ihrem neuen Wirttrrkleide. Die Zeit zu verkürzen, probierte er die Weihnachteliedrr, erst pfeifend, dann singend, der Korb rückte dann und wann von der linken aus die rechte Schulter, auch überlegte er, was wohl sür den Taler und die sieben Groschen, die er heute er halten würde, alles zu kaufen sei. Da waren schon „Antons" vorbei und das Waldscklötzchen, da ging es bereits über die breite Brücke, an der Wache vorüber bis auf den Neumarkt, wo Finanzrats wohnten. Munter stieg er die zwei Treppen hoch in dem Haus, das noch ganz duster war. Auf sein Klingeln öffnete die Haus- magd und war recht erfreut, als sie den Buben mit der Wäsche sah. Er folgte dem Mädchen durch den großen Borsaal mit den seinen Ktrschbaummöveln in die Küche. Hier bekam er einen Tops Kaffee. Der war gut. Dos verstand er, und «in Stück Stollen, das war noch besser und schmeckte ihm vorzüglich. Während er aß und trank, räumte Anna die Wäsche in einen mächtigen Sckrank und stellte ihm dann wieder den Korb hin. „Und die Wäsche kostet 1 Taler 7 Groschen, hat die Mutter gesagt," klang es jetzt fast schüchtern von Peters Mund. „Io, ist schon gut, Peter. Finanzrats sind jetzt nicht zu Hause, sie machen Weibnachtsetnkäuse. Ich brina euch das Geld mit der nächsten Wäsche," entgegnete da» Mädchen. Eie ahnte wohl nicht, welchen Schmer- fie damit dem braven Jungen bereitete. Da fror es dem guten Peter ein bißchen im Herzen. 1 Taler 7 Groschen! Das wäre so schön gewesen! Lichter, ein Biertelchen Bohnenkaffee, etwas Fleisch für den Feiertag und einen schönen Stollen. O weh! Nun war's um ein früh- liches Weihnachten geschehen. Ob er es dem Mädchen noch einmal sagte? Nein. Nein. Nein. Lr biß sich auf die Lippen. Die Leute brauchten nicht zu wissen, wie arm sie zu Hause wären, und eilig fast nahm er Mütze und Korb, wünschte fröhliche Weihnachten und lief davon. Da stand er aus dem Markt. Die gute alte Frauenkirche sah ihn gar freundlich an, und der Dr. Martin Luther stand so ernst da. Und ihm war es doch so bang, daß «hm fast die Tränen in die Augen stiegen. Nun mußte er auch den weiten Weg zurück und konnte wieder nicht überfahren, aber eine Freude wollte er sich machen: Die Weihnachtsstadt wollte er sehen. So ging er zuerst in die Frauenstraße. Gleich neben Klepper- dein war ein kleiner Bäcker, der hotte um Weihnachten immer Hänsel und Gretel und das Hexenhäusel ausgestellt. Das gefiel ihm so sehr. Das sah er sich an. Dann ging er die Schöfler- gaffe vor nach dem Allmarkt, wo der Striezelmarkt die schönsten Weihnachtssachen zum Kaufe aurbot. O, da wurde man ja gar nicht fertig mit Sehen: Die Pfefferkuchenbuden aus Puls- nitz, die Buden mit Spielsachen aus dem Erzgebirge, die Männer mit den Brummkreiseln und den Mäuschen, die fortliefen und herkamen, je nachdem wie der Mann den Faden zog, die Pfloumenruprechte, der Christbaumschmuck, so schön im Glitzer glanz, wie man ihn kaum denken konnte, und die Knaben und Mädchen mit dem leuchtenden Gold- und Silberhaar! Ach, das war alles so schön, so schön ... wie in einem Märchenland. Bom Krevzkirchiurm schlug es 11 Uhr. Oho! Peter, da ist es Zeit. Die Mutter wird aus dich war ten! Und er eilte, nicht rechts und links mehr sehend, die Schloß straße hinab, durch das Georgentor, denselben Weg heim, den er gekommen war, aber nicht mit demselben Herzen. Der Zeiger der Loschwitzer Kirchturmuhr rückte sckon bedenk lich nahe auf 2 Uhr, als Peter heiwkehtte, Mutter Born hatte ihren Jungen nicht kennen müssen, wenn sie ihm nicht gleich am Gesicht abgelesen hätte, daß er kein Geld nach Hause brachte. Es durchfuhr die arme Frau ein leiser Schreck. Sie dachte an den Heiligen Abend. Wie gern hätte fie heute und morgen ihren Kindern eine kleine Freude gemacht. Nun konnte sie beim besten Willen nicht. Ls fehlt« am Nötigsten im Hause. Borgen? Nein. Das tat fie nicht. Sie kannte die Sorgen zu gut, die vom Borgen kommen. Das würde wieder einmal ein recht trauriges Weihnachten werden. Peter mußte, nachdem er ein gewärmtes Süpplein gegessen, nochmals in die Schule zum Singen. Der Herr Kantor hatte geschickt. Punkt 3 Uhr war Peter zur Stelle. Christkindleins Bergfahrt sollte noch einmal geprobt werden. Mitten im Liede ging ein freudiges, zufriedenes Lächeln über des Herrn Kan- tors Züge und beim Taktieren ruhten seine freundlichen Augen mit besonderem Wohlgefallen auf seinem Peter Born. Lin tüchtiger Sänger war er ja alle Zeit und ein lieber Kerl oben- drein: aber daß er gerade jetzt so kräftig und so andächtig sang, mußte doch seine Bewandtnis haben: „So durchsährt zur Weihnachtszeit Jesus Christ und sein Geleit Tal und Berge, Flur und Wald, Weit ringsum sein Lob erschallt! Weihnachtsgaben bringt er dar, Fröhlich jauchzt der Kinder Schor Ihrem Christkindlein entgegen, Das da Glück bringt allerwegen." Bei dieser Stelle war dem Peter ein Gedanke gekommen, und eine Hoffnung war erblüht: Sie würden zu Hause doch noch Weihnachten feiern! Um 4 Uhr entließ der Kantor seine jugendlichen Sänger, die wild ouseinanderstoben, ging es doch dem heiligen Christ entgegen.