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weitz nicht einmal, was Volkskunst ist. „Volkskunst ist jene Kunst, die selbst von dem Geringsten aus dem Volke ver standen wird. Was Volkskunst ist, bestimmt das Volk selbst." Ein gutes Stück Volkskunst geben die Weihnachtskrippen. Unsre Lausitz darf sich glücklich preisen, daß sie mit zu jenen Landen des Deutschen Reiches gehört, wo die Weihnachts- Krippenkunst zu Hause ist. So manch« Krippe bietet wahre Prachtleistungen der Volkskunst, die allgemeinere Würdigung verdienten, als dos leider der Fall ist. Ls gibt Dörfer in der Lausitz, wo ohne Weihnachtskrippe kein Weihnachten denkbar ist. Ich sehe hierbei ab von den Krippen in den Kirchen; ich meine die Krippen — Krippel genannt —, die in den Wohnungen der Familien alljährlich in den Abenden der Dezembertage entstehen, still und sackt, mit viel Liebe erdacht und geformt. Wer das Glück genossen hat, einen Vater zu besitzen, der im Kreise der Seinen die Weihnachtszeit einleitete mit dem Aul. bauen des Krippels, wird diese Weihestunden zeitlebens nicht vergrssen. Nicht jede Weihnachtskrippe darf Anspruch ans den Namen Kunst erheben. Wenn aber das Wesen der Kunst der Ausdruck der inneren Empfindung ist, so darf man wohl fast in jeder Krippe eine Betätigung der Volkskunst sehen. Die Krippen bauer sind eine Zunst für sich. Ls steckt so mancher Volks künstler darunter. Wie ein Baumeister überdenkt er das Ganze. Das Krippel ist ihm eine Welt. Wie der Künstler seinem Werke seine Seele einhaucht, so der Krippsnbauer. Hier gibt er sein eigenes Ick. Er baut sein Krippel nach seiner Emp findung, nach seiner Erfindung. Und merkwürdig, der einfache Mann aus dem Volke versteht die oft so ungelenken Gebilde der Weihnachtskrippe ohne weiteres, mag der Baukünstler seiner Phantasie noch so sehr die Zügel haben schießen lassen. Wer nur je einmal Zeuge davon gewesen ist, mit welcher Andacht Leute aus dem Volke stundenlang vor der Krippe stehen können, der weitz, welche Gemütserregungen sie ans- lösen, der wird zvgeben, dah selbst in den einsacken Weih nachtskrippen ein gut Teil echter, wahrer Volkskunst enthalten ist. Solch ein echter Krippenbauer ist eng verwachsen mit seiner Kunst. Er denkt nicht etwa erst kurz vor Weihnachten an seine Krippe. Das ganze Jahr über hat er sie im Kopfe. Geht er im Sommer durch den Wald, so beobachtet er Rinden und Moose, ob fie etwa für seine Krippe laugen. Aus Krippen figuren spannt er beständig, und er scheut weder weite Wege noch Kosten, um sie zu erlagen. So mancher Krippenbauer hat recht klein angesangcn. An fangs beanspruchte seine Krippe nur ein dürftiges Eckbretichcn im Winkel der Stube. Jahr für Jahr hat er seine Krippe vergrößert, bis sie endlich di« halb« Stube oussiillte. Aus dem Boden stehen ganze Körb« mit getrocknetem Moos und seltenen Arten Rinden. Ohne diese beiden Dinge bauen unsere Lau sitzer ihre Krippe nicht. Die Angehörigen der Familie nehmen Anteil an dem „Krippel", das der Vater oder der Sohn zu» sammensetzen wird. Die Mutter räumt willig die Stube, um für dos Werk Platz zu schaffen, und die Familiengliedcr finden sich mit der Einschränkung des ohnehin Knappen Raumes gern ab. Sobald die Abende zeitiger einsetzen, beginnt der Krippen bauer seine Arbeit. Es gibt solche, die säst olles selbst Herstellen, was sie zur Krippe benötigen, nicht nur den Stall zu Bethlehem, den Ölberg oder gar die Stadt Jerusalem, nein, selbst die Figuren. Daß dazu viele Stunden nötig sind, ist verständlich. „Lin Steckenpferd mutz der Mensch haben." Das Krippen bauen ist just nicht der schlechteste Sport. Wenn andere zu Biere und Tanz eilen, dann fitzt der Krippenbouer daheim hinter dem Tische und schnitzelt, hobelt, leimt, klopft und bastelt. Glück selige Ktnderaugcn schauen zu, und mancher geschickte Junge darf mit Hand ans Werk legen. Das sind Weihestunden in der Familie. Sic ziehen selbst die Alten in ihren Zauberbann. Der Künstler aber fühlt sich, seine Kraft und sein Können geben das Höchste her. Die Krippe aufzubauen, ist wirklich eine Kunst. Die Krip- pcudünstler suchen sich in edlem Wettbewerb gegenseitig zu Übertreffen. Jeder will sie schön und eigenartig aufbauen, jeder sie nach seinem Geschmack und seinem Können ausschmücken. Der Leimtapf kommt wochenlang nicht zur Ruhe. Zum Krippen, bauer taugt nicht der erste beste, wenn er etwas rechtes schaffen will. Er muß geschickte Hände und gutes Augenmaß Haden. Er muß gewissermaßen ein Universalgenie sein, zumal, wenn er seinen Ehrgeiz darein setzt, möglichst alles selbst zu schaffen oder wenn er vermeiden muß, Kosten zu machen. Ls genügt also nicht, daß er den Baumeister spielt, um Tempel, Stadt, Stall usw. aufzusühren. Er muß auch Berg? und Täler, Höhen und Schluchten, Grotten und Gärten anlegen können. Da dos Gelände ober auch mit allerhand Pflanzen ausgestottet werden muß, muß er auch gärtnerisches Geschick besitzen. Es ist ost er staunlich, wie anmutig so manche Kripprnlandichaft angelegt ist. Letzten Endes mutz er sogar Maler und Bildhauer sein. Ich habe Krippen gesehen, bei denen der Erbauer nicht nur Erhäschen, Esel, Kamele, die Hirten, Engel usw. selber gemalt, sondern selbst den HImergrund eigenhändig gezeichnet hatte. Indessen ist es schon bester, sich den letzteren von einem Be rufsmaler ankertigen zu lassen, da er leicht bei ungelenker Aus führung störend wirken kann. Aber es gibt auch in unsrer Lausitz und den böhmischen Grenzgebieten Krippenbauer, die sich einzelne Figuren mit Glück selbst geschnitzt haben. Daß sie ihre Menschen und Tiere selbst bemalen und bekleiden, kommt schon häufiger vor, und mancher bastelt und schneidert recht hübsche Gewänder. Wenn man all die Ausgaben über, denkt, die solch ein Kkippendauer zu lösen Hot, angesangen vom Herrichten des Fundaments bis zur fertigen Ausstellung der Gebäude, Pflanzen, Tiere und Menschen, so mutz man schon Achtung vor seinem Können haben. Es ist ost eine Freude, zu beobachten, wie natürlich und anmutig, sinnig und lebendig der Künstler seine Gedanken zu verkörpern versteht. Der echte Krippenbauer will jedes Jahr neu schaffen. Die Ansäng« waren zumeist winzig, vielleicht gor ungeschickt. Mit dem Erfolge kommt nach und nach dos Verständnis, Jedes Jahr schafft er einen Teil dazu, und oftmals bat seine Schöpfung so an Aus dehnung gewonnen, daß dazu nicht mehr di« ursprünglich mit Beschlag belegte Ecke genügte, sondern eine ganze Stube aus geräumt werden mutzte. Es ist ost rührend, wie willig sich die Familie in die Beschränkung fügt. Der Krippendauer liebt auch die Abwechslung. Es gibt solche, die Jahr für Jahr ihre Krippe noch völlig verändertem Plane umbauen. Gerade diese fortdauernde Umgruppierung macht ihnen Freude. Sie sind im Erfinden neuer Ideen unermüdlich. Sie wollen nicht mecha- nisch, sondern schöpferisch tätig sein. Wochenlang sitzen sie nach des Tages Arbeit daheim und bästeln. Ihre Arbeit gewährt ihnen Befriedigung, der Familie aber Freude und Glück. Ist die Krippe ieittg, so bringt sie erst recht Weihnachtsstimmung in die Familie. Selbst wenn olle Jahre dieselbe Krippe ent steht, so wird sie von Alt und Jung mit derselben Freude be- grüßt. Das Auge des Beschauers entdeckt immer wieder neue Eigenheiten und Schönheiten und mag sie nicht misten zur Weihnachtszeit. Drüben auf böhmischer Seite gibt cs auch bewegliche Krippen- Manche davon sind von bedeutendem Umfange und genieße» weithin Rus. Noch heute gehe ich gern aus die Klippenschau, wie ich es einst als Kind getan. Noch heute klingen mir die leisen Klänge der Spieldose im Ohr, die ich in der Jugendzeit gehört, wenn die Krippenmännlcin langsam ihres Weges zogen und dahin wallten zum Stalle nach Bethlehem. Die Phantasie des Kindes und des einfachen Mannes stützt sich nicht an ge schichtliche Unmöglichkeiten, die der Krippenbauer anwendet. Der Krippenkünstler nimmt es nun einmal mit der geschicht lichen Treue nicht so genau. Er scheut sich nicht vor Anachro nismen. Ist es denn auch gar so schlimm, wenn er die römischen Soldaten aurrüstet mit Schietzgewehren.wennKanonenund anderes Schictzgerät von den Burgen im heiligen Lande herabschauen? Ist der Krippenbaukk nicht ein Dichter, der sich dergleichen Freiheiten erlauben darf? Die Hauptsache ist, daß diese Um- Wertung in die Gegenwart aus den schlichte« Beschauer nicht