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weitere: Heute früh fanden Paffanten auf der Landstraße nach N. den lebiosen Körper eines Handwerksburschen. Durch Mit glieder unserer Sanitätskolonne wurde dem anscheinend Erfro renen die erste Hilfe geleistet. Ärztlichen Bemühungen gelang es, den Verunglückten ins Leben zurückzurufen. Diese wenigen Zeilen geben ein typisches Bild von Unfällen, die durch längere Einwirkung der Kälte verursacht werden. Be sonders auffallend ist die große Müdigkeit, die den Bedrohten befällt, und gegen die anzukämpfcn eine strenge Pflicht der Selbst erhaltung ist. Gradezu gefährlich ist es, in diesem Stadium, wär- wenden Alkohol zu sich zu nehmen. Er vermehrt nicht bloß nach ganzoorübergehenderAufpeitschungkörperlicherKräftedieMüdig- keii, sondern er treibt auch das Blut an die Körperoberfläche und bewirkt so eine schnelle Abkühlung des Körpers, die aber gar nicht bemerkt wird, da das in die Haut strömende Blut vermehrte Wärmeentwicklung vortäuscht. Läßt sich ein Ermüdeter erst zum Hin'etzen und Ausruhen verleiten, so ist es um ihn geschehen; er sinkt in einen schlafähnltchen Zustand, der bald tn Bewußlosigkeit übergeht. Wie lange dieser Zustand dauern darf, um zum Tode zu führen, ist noch nicht festgestellt. Jedenfalls ist die Möglichkeit einer völligen Heilung um so näher gerückt, je eher dem Verun glückten sachkundige Hilfe geleistet wird. Es ist nicht aber erst eine Errungenschaft der Neuzeit, einem durch längere Einwirkung der Kälte bewußtlos gewordenen Manschen in zweckmäßiger Weise zu helfen, wie dies für so manchen Zweig der modernen Ersten Hilfe angenommen wird. Vor mir liegt eine Verordnung „Ihrer Lhursürstl. Durchlaucht zu Sachsen, etc. etc. Mandat, die Behandlung totscheinender Menschen bett. Ergangen cts cirtto Dresden, l i. Februar 1792". — Der Kurfürst Friedrich August muß einen vortrefflichen ärztlichen Berater gehabt haben. Alles was da gesagt ist über das vorsichtige Aufheben und Fortschaffen eines Erfrorenen, über die Anwendungen von Schnee, Eis und dergl. zwecks langsammer Herbeiführung einerWiedercrwärmung, könnte saft ebensogut von Esmarch geschrieben sein. Ständen nicht dabei auch noch Vorschriften über die weitere ärztliche Be handlung, dem damaligen Stande der Wissenschaft entsprechend in Aderlässen, Etnblasen von Lust oder Sauerstoff und Anwen dung von Tabaksrauch-Klistieren bestehend, man könnte an nehmen, die Ratschläge wären einem der modernen Leitfäden über Erste Hilfe entnommen. Wenn es bei Unfällen anderer Art die Aufgabe der ersten Hilfe sein muß, einen Bewußtlosen möglichst bald wieder zu beleben, so ist es für die Rettung Erfrorener säst umgekehrt: Möglichst langsam soll das Leben zurückkehren. Das ist bedingt durch die besondere Art des Unfalls. Die Blutzirkula- tion liegt beinahe völlig darnieder. Durch die Erstarrung der Flüssigkeiten in den äußeren Schichten des Körpers ist eine Art Zersetzung des Blutes eingetreten. Taut es wieder auf, so nimmt es eine lackartige Beschaffenheit an. Der Körper ist nun aber nicht imstande, plötzlich größere Mengen dieses krankhaft veränderten Blutes ohne Schaden zu übernehmen; es muß daher langsam in den Blutumlauf wieder eingeschaltet werden. Die glasartig hart und spröde gewordenen Glieder erfordern die größte Vorsicht beim Transport eines Erfrorenen, nur gar zu leicht könnte bei forscher Behandlung eins der steifen Glieder abbrcchen. Aus dem oben Gesagten ergibt sich ohne weiteres, daß es völlig vermehrt wäre, einen durch Fräst bewußtlos gewordenen Menschen zwecks schneller Wiedererwärmung in ein warmes Zimmer, in ein erwärmtes Bett oder etwa gar in ein heißes Bad bringen zu wollen. Wir müssen uns hier vielmehr praktische Beobachtungen zunutze machen. Wenn der Obst- oder Gemüsehändler das Pech hat. de» Transport seiner Feldfrüchte vom Frost überrascht zu sehen, so bringt er die hart und steif gewordenen Sachen auch nicht in die warme Stube, sondern er wirst sie ins kalte Wasser. Wir können bald die Eiskruste sehen, mit der sich die Apfel, Apfel sinen oder Kartoffeln überziehen. Das Wasser kühlt sich schnell ab. Der Volksmund sagt: „Das Wasser zieht den Frost aus!" Ebensolche Wirkung hat der Schnee, und jedermann ist es ja be- könnt, daß man Gliedmaßen, die zu erfrieren drohen, nicht rettet, indem man sie an den warmen Ofen hält, sondern dadurch, daß man sie kräftig mit Schnee reibt. Damit sind wir auch zur Be handlung Erfrorener gelangt: Möglichst vorsichtig ist der Körper (durch Aufschneiden der Kleider) zu entkleiden, in einem kalten — aber doch heizbaren — Raume aus eine weiche Unterlage zu betten und bis auf Nase und Mund in Schnee einzuhüllen. Ist kein Schnee vorhanden, so verwende man eiskalte, nasse Tücher. Mit dem Schnee oder den nassen Tüchern ist der Körper solange zu reiben, bis sich durch leichte Rötung der Haut ein Beginn der Wärmerückkehr bemerkbar macht. Dann sind der Schnee oder die nassen Tücher durch trockene Tücher zu ersetzen, die aber noch immer kalt sein sollen; auch wird das Reiben mit Bürsten von Vorteil sein. Haben die Glieder ihre natürliche Biegsamkeit wiedererlangt ohne daß gleichzeitig die Bewußtlosigkeit schwand, so kann inan alle diejenigen Anwendungen machen, die im allge- meinen zur Wiederbelebung Ohnmächtiger vorgeschrieben sind. Als wichtigste dieser Maßnahmen kann die Einleitung künstlicher Atmung gelten. Und eins soll man sich besonders merken: Nie verabreiche man den Kranken wärmende oder sonst belebende Ge tränke. ehe er nicht bei vollem Bewußtsein ist, beim Versagen der Schiucktätigkeit könnte ein Erstickungsfall eintreten. — Je weiter die Behandlung schreitet, desto mehr dürfen Zimmer und Bett erwärmt werden. Es ist ganz selbstverständlich, daß die hier geschilderten Maß nahmen nur den Charakter einer ersten Hilfe tragen sollen. Ein Schreckenstag Radebergs Bon Fr. Beruh. Etörzner er von den verehrten Lesern im Sommer 1714 durch Radeberg gewandert wäre, der hätte ein Bild de« Jammers geschaut, rauchende Schutt- und Trümmer haufen zur Rechten und zur Linken, dazu weinende und klagende Menschen, die all ihr Hab und Gut in wenigen Stunden verloren hatten. — Am 13. Juli 1714 war der größte Teil der Stadt ein Raub der Flammen geworden. Nur „die Pastoratswohnung, das Pirnaische Torhaus, vier an dieses stoßende kleine Häuser und einige Gebäude der Pirnaer und der Dresdner Dorstadt waren verschont geblieben." — Der 13 Juli war in jener Zeit der zweite Landesbußtag, und zahl, reich hatten sich die Radeberger zum Dormittogsgottesdtenste eingefunden. Draußen lag es schwül über dem Land. Drückend heiß brannte die Sonne vom wolkenlosen Himmel nieder. Ein glutheißer Tag! Line drückende Schwüle war auch im altehr würdigen Gotteshause. Nur gedämpft drang dir draußen flutende Lichtfülle durch die matten Fensterscheiben. Da bestieg der Ober- Pfarrer v. Siegtsmund Richter *), ein sittenstrenger Herr, die Kanzel und hielt die Bußtagspredigt. Seine Worte schlugen in die Herzen der andächtig lauschenden Zuhörer ein und rüttelten die schlummernden Gewissen aus. v. Richter hielt eine strenge Strafpredigt, glaubte er doch, Grund zu haben, die gute Stadt Radeberg mit Sodom und Gomorrha vergleichen zu müssen. Wohl mancher schlug seine Augen beschämt zu Boden, da er den strengen Blick des Eiferers nicht aushalten konnte. „Ihr werdet es erfahren, Gott wird noch mit Donner und Blitz darein schlagen. Amen!" Das waren die Schlußworte des Buß- Predigers, die er mit besonders starker Stimme sprach, und zum Nachdruck schlug er noch gewaltig mit der Jaust aus den Rand der Kanzel, sodaß manches erschreckt ausblickte. Solch eine ernste Bußpredigt hatten die Radeberger noch nicht vernommen. Ties- erschüttert verließen st« daher das Gotteshaus und dachten den ganzen Tag über die ja nur gutgemeinten Worte ihres Seel sorgers nach. Trafen sich nachmittags Nachbarn, Freunde und Bekannte, dann bildete die Bußtagspredigt von vormittags den allgemeinen Gesprächsstoff. Als der Tag sich neigte und es Abend werden wollte, da türmten fich rings am Horizonte dunkle Wetterwolken unheil- kündend auf. Einzelne Blitze zuckten. Immer höher stieg das drohende Gewölk, und schneller als sonst wurde es heute dunkel. Um 8 Uhr lag bereits tiefste Finsternis über der Stadt. Grelle Blitz« beleuchteten auf Augenblicke die engen Gaffeu, unauf-