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Gberlauflher Helmatzeitung Nr. 20 26ö Die Oberlausitzer Reste eines ausgestorbenen Tiergeschlechts aus der Allzeit der Erdgeschichte Von Alfred Hartmann, Görlitz nicht nur in der Oberlausitz, sondern auch außer- halb ihrer Grenzen werden die ersten so mühsam hergestelltcn Schriftzeichen der A-B-C-Schlltzcn von den Müttern oftmals als „Hieroglyphen" ab- geurteilt. Mit diesem Wort bezeichnet auch heute noch der Volksmund nicht zu entziffernde Schriftzüge, obwohl das Rätsel der jahrtausende alten ägyptischen Schriftzeichen in Gelehrtenkreisen bereits über 100 Jahre gelöst ist und dieKenner die Inschriften in den Steinen der Pyramiden Ägyptens lesen und übersetzen. Die Kenntnis dieser Schriftgelehrten unserer Zeit versagt aber bei den Schriftsteinen unserer Heimat, den „Grapto- lithen". Nicht Menschenkuust und Menschenhand fügte diese Zeichen in das Gestein des heimatlichen Bodens ein. Sie stammen aus jenen fernen Zeiten der Erdgeschichte, wo der Mensch die Erde noch nicht beschritt und in ihre Geschichte auch nicht ein greifen konnte. Jene Schriftzeichen im Geschichtsbuche des Heimat bodens blieben den erdgeschichtlichen Forschern, den „Paläonto logen" und „Geologen", viele Jahre hindurch rätselhaft und heute noch entbehren manche von den Lösungen der mit den Grapto- lithen aufgegebenen Rätsel auch für sie der gewünschten Sicher heit. Wieviel mehr sind cs für alle die noch rätselhafte Zeichen, die nur als ihre Freunde und ohne alles gelehrte Rüstzeug die Heimat durchwandern und dabei nicht nur auf die Schönheit der Landschaslsformen, ihres Pflanzenkleidcs und auf ihre Bewohner achten, sondern auch auf alle die Zeichen ihr Auge einstellen, die ihnen Aufschlüsse über die Entstehung und die Vergangenheit des heimatlichen Bodens geben können. Wo findet der Heimat wanderer nun diese so wenig gekannten'Graptolithen? Vergebens wirst du sie im Oberlausitzer Granitgebiete (dem größten in Deutschland) suchen; du wirst sie auch nicht in den Sandsteinbergen der Südlausitz und auf den über die ganze Lausitz verstreuten vulkanischen Bergen finden. Dort, wo dos Felsengerüst der mittleren Lausitz untertaucht unter die eiszeit lichen Schuttmassen des Oberlausitzer Tieflandes, legen sich an den Granitsockel der Lausitz altzeitliche Gesteinsschichten an, die nicht wie der Granit aus dem Glutherde des Erdinnern empor gedrungen sind. Dieser an v rschiedenen Felsgesteinen reiche und darum für die Entwicklungsgeschichte der Heimat so ergiebige Landstreifen erstreckt sich in VVdiW-Richtung von Lauban (Ost grenze der Oberlausitz) an über Görlitz und südlich von Niesky bis über Königswartha hinaus. Die höchsten Spitzen des unter tauchenden Grundgebirges treten hier und da als Berge (z. B. Koschenberg bei Senftenberg) und Hügel lz. B. Eichbcrg bei Weißig) aus der Heide heraus. Wo von Niesky (an der Kohl- surt—Falkenberger Bahn) aus die Heide in südlicher Richtung auf das Königshainer Gebirge zu bis an die Stelle des „schwarzen Schöps", wo er aus seiner Nordrichtung nach Westen abbiegt, vordringt, dort liegt zu beiden Seiten dieses Nebenflusses der Neiße Fänkendorf; oberhalb im Flußtale schließt sich das benach barte Ullersdorf an. Es bilden diese beiden Dörfer mit den offenen und durch alte Bäume ausgezeichneten Parkanlagen ihrer beiden Güter, welche durch den Wiesengrund des Tales und seine Baum- und Strauchgruppen zu einer reizvollen land- schaftlichen Einheit verschmolzen werden, ein besonders in Niesky beachtetes Wanderziel, das von dort aus in fünf Viertelstunden, zur Hälfte auf einem d'e Kunststraße durch den Wald begleiten- den angenehmen Fußwege erreichbar ist. Aber auch Görlitzer Besucher stellen sich rege.mäßig seit alter Zeit hier ein. Sie wissen diesen stillen Winkel der Heimat am Nordfuße der Königshainer Berge, der vom Menschenstrom der Großstadt nicht berührt wird, zu schätzen und vereinigen gern den Besuch dieser beiden Wander ziele in einer Tageswanderung. Bei dem Austritte aus dem Ullersdorfer Forste überraschen den Wanderer bei dem ersten Besuche die 48 Morgen bedeckenden, aber bereits mehr oder minder verlandeten Wasserflächen des Iänkendorfer und Scheiben teiches zur Linken, des Groß- und Neuteiches zur Rechten des Weges. Doch vergessen wir in der Erinnerung an dieses schöne Stückchen Heimaterde nicht unser heutiges Ziel des Wanderns: die Graptolithen. Wir finden sie im Osten des Dorfes Iänkendorf. Hier steigt das Gelände allmählich bis zu den bis 190 m Höhe erreichenden Hügeln an, die zwischen Görlitz, Horka und Niesky für den Geologen recht ergiebig sind. Die Wege, die den Felsbodcn bei Iänkendorf anschnciden, zeigen uns schwarze Kieselschiefer und Alaunschiefer. Letztere nehmen unter den Einflüssen der Witte rung und des Lichtes eine violette Färbung an, bleichen aber ziemlich bald bis znm Hellgrau aus; nur einzelne verschwommene schwarze Flecke und Putzen zeigen dann noch die ursprüngliche Färbung an. Von dem harten und spröden Kieselschieser, welcher bei der Verwitterung nur dunkelgrau ausbleicht, unterscheiden sich diese Tonschiefer durch ihre Weichheit und ihr feinkörniges Gefüge. Auf den matsschwarzen Flächen dieser Alaunschicser fallen durch ihren starken Glanz sich deutlich abhebende Zeich nungen von gerader, gebogener, schmutziger oder spiraliger Form auf, wenn man das Glück hat, an den frischen Anschnitt eines Weges zu kommen, oder die nötige Zeit mitbringt, um in dem einzigen Ausschlüsse des Gebietes (eine kleine Grube östlich des Dorfes) mit Erfolg nach diesen „Graptolithen" suchen zu können. Für den Wanderer, der die Absicht hat, diese Reste eines aus gestorbenen Tiergeschlechts zu sammeln, empfiehlt sich eine Be sichtigung der Sammlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Görlitz, welche ausgezeichnete Stücke auf großen und kleinen Schieferplatten in reicher Zahl enthalten. Das Auge lernt dabei nicht nur auf diese zierlichen Formen sich einstellen, sondern auch die einzelnen Arten unterscheiden; nach Pietzsch*) weist die Ober lausitz bereits mehr als 12 gut unterscheidbare Arten auf. Neben diesem Erhaltungszustände als kohlige Häutchen sind Grapto lithen bei Iänkendorf als seidenglänzende, grünlichweiße Ver steinerungen beobachtet wmden; immer aber handelt es sich an diesem Fundorte um piattgedrückte Formen, an denen man nur die Achse mit einseitig oder beiderseitig angesetztcn Zellen unter scheiden kann. Am schönsten und zierlichsten, oft in voller Wölbung sind uns die Formen der Graptolithen im Kieselschiefer erhalten geblieben. Den Weg zu den besten Fundorten weist uns der schwarze Schöps. Dieses Bergkind, der eine von den beiden „Schöps"°Zwillingen des Paulsdorfer Spitzberges, wird im Nordwesten von Iänkendorf ein Gewässer der Ebene, das in breitem Tale an Quitzdorf und Sproitz vorüber auf Horscha, Mücka, Creba und Reichwalde zu immer träger dahinfließt. Östlich von Sproitz erhebt sich der tief aufgeschlossene Bnsalthügel des Kirchbcrges und an seinem Nordostfuße liegt der Kirchteich von See. An seinem Ostufcr bieten die auf den Feldern in der Nähe des kleinen Bruches zahlreichen Lesesteine gute Gelegenheit zum Sammeln von besonders schönen und mit voller Wölbung der Körperformen verkieselten Stücken. Die älteste Fundstelle ist aber nicht hier, sondern liegt in 2 km Luftlinie nordwestlich auf einem bewaldeten Hügel zwischen Horscha und Petershain, dem Bansberge. In dem oberen der beiden Kieselschieferbrüche sammelte Glockcr im Jahre 1856 die ersten Graptolithen und damit zugleich die ersten Tierreste aus den altzeiilicken Gesteinen der Oberlausitz; der untere Bruch führt den bezeichnenden Namen „Feuersteingrube". Von diesen Fundstellen weit entfernt tauchen Graptolithenschiefer im Eichberge bei Weißig in der Nähe von Königswartha mitten aus einem fast ebenen Gelände am süd lichen Rande des Oberlausitzer Urstromtales auf und liefern auch dem Wanderer jener Gegend reiches Material in ^en Alaun schiefern, weit seltner aber in den Kieselschiefern des großen Bruches. Was erzählen uns nun alle diese Graptolithensunde aus der Vergangenheit unserer Heimat? Reichen die von diesen längst ausgestorbenen Tieren auf unsere Zeit überkommenen Reste aus, um uns ein Bild von ihnen machen zu können? Die Paläonto logen sehen in den Graptolithen die Überreste von dünnen chiti- *) Pietzsch, Die geologischen Verhältnisse der Oberlausitz zwischen Görlitz, Weißenberg und Niesky. Zeitschrift der Geologischen Gesellschaft, 1L0S.