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Der zensurierte Festzug. An der tschechischen Grenze, Ende August. in Norddöhmen sind heute schon Museums- WDW» stücke. Nicht lange mehr, und es ist deins dieser M-MLW seltenen Exemplare aus Böhmens deutscher Zett mehr ouszufinden. Denn dle Tschechen stürzen sich auf sie wie Sammler aus Marken. Wie könnte es auch anoers sein zu einer Zeit, wo in Nordböhmen Tag um Tag schwindet, was deutsch gewesen und wo vor nicht allzulanger Zeit erst ein Blatt verboten wurde, weil es sich „deutschböhmtsches" Tageblatt nannte. Heute zeigt sich deutlich drüben, wer ein ausrechtes deutsches Rückgrat hat. Leipa kann den Ruhm für sich in Anspruch nehmen. Es wagte kürzlich ein Heimatfest. Es ist ein allerliebstes Städt chen. Die letzten Köpfe des Kummergebirges schauen eben noch in die Straßen herein. So zwischen Berg und See hat sich hier das deutsche Gemüt unverfälscht erhalten. Wer jetzt einmal dort gewesen Ist, wird's wissen. Ja, die Lrlpaer meinen es heute noch herzlicher denn zuvor mit jedem, der „aus dem Reiche" zu ihnen kommt, seitdem ihnen der „böse Nachbar" den Wert alles dessen, was deutsch ist, vor Augen führt. Propaganda brauchten sie für ihr Fest kaum zu machen. Dafür sorgten die Tschechen. Denn noch ehe sich die Leipaer Schützenbrüder darüber einig waren, ob sie überhaupt ein Heimat, fest veranstalteten, fing man in Prag an, davon zu schreien. Ein nationalsozialistisches Blatt fand eine derartig unverfrorene „Provozierung" durch die Deutschen geradezu empörend und zog alle Register seines chauvinistischen Instruments, die Re gierung scharf zu machen. Es hatte Erfolg. Der in deutschen Kreisen bestens bekannte Duxer Bezirkshauptmann Taschke wurde für die Festtage von amtswegen dahin versetzt, um jede „großdeutsche Propaganda" zu verhindern. 120 auswärtige Gendarmen stellte man ihm schubfertig zur Seite. Einige Überraschung — und insofern hatten auch die Tschechen zum Gelingen des deutschen Heimatfestes in Leipa beigetragen — brachte das Fahnenoerbot. Reichenberg hatte es eben abgelegt, nun war es für Leipa gut genug. Als am Festmorgen das Städtchen im Schmuck von Tannengewinden und Laubkränzen erwachte, hingen aus den Fenstern Läufer, Bettvorleger, bunte Sardinen, Tücher und andere saubere Sachen. Womit man in Reichenberg nur schüchterne Versuche gemacht hatte, hier tat man es unentwegt. Die tschechischen Gendarmen, die durch die Gaffen patrouillierten, Auslug zu halten, wo sich etwa eine Fahne heroorwoge, sahen einander verdutzt an. Sie wußten nicht ob sie brummen oder lachen sollten. Manche waren klug und taten das letztere. Den Glanzpunkt jedoch bildete derFestzug. Das pflegt bei Festen und zwar in der Regel der Fall zu sein, hier aber war er es in besonderem Matze. Er war zensuriert. Überhaupt war so ziemlich die ganze Veranstaltung dem Zensor untertan, und nur das schöne Sommerwetter hatte man freigegeben. Datz man eine Zeitung zensuriert, gewiß, das ist nichts seltenes, aber einen ganzen Festzug? Und doch tat man es, und zwar genau in derselben Weise, als ob er ein alldeutsches Blatt wäre. Also: Bezirkshauptmann und Schützenvorstand mieten eine Droschke und fahren in der Stadt herum, um die einzelnen Wagengruppen einer Prüfung zu unterziehen. Bei der Gruppe „Völkische Arbeit" — einer an sich heiklen Geschichte in Böhmen — setzt der Zensor denn auch den Stift an. Es gibt arge Striche. Auch an anderen Gruppen. Und wie nun endlich der Festzug durch die Straßen zieht, ist's einem, als blättere man in einem zensurierten Blatte. Überall Löcher im Text, überall die Bemerkung „Zensuriert", dies letztere zur Weisung an die Gendarmen zu besonderer Achtsamkeit. Ganz zusammengestrichen worden war der Kinderfestzug am zweiten Tage. Grund: ein solcher Festzug hat bereits statt gefunden. Da gab es denn auch die Affäre. Wie könnte eine deutsche Veranstaltung in Tschechien denn auch ohne Affäre sein! Also der Festzug ist verboten und sein Führer Meyer ruft den Kindern, die mit weitzen Kleidchen und roten Backen sich der Stunde entgegenfreuen, zu: „Kinder, geht nach Hause und erzählt Euern Eltern, was die Tschechen mit Euch treiben!" Sofern sich Herr Meyer auf den ersten Teil seiner Rede beschränkt hätte, würde alles gut gegangen sein, was darüber war, das war jedoch vom Übel. Zwei Gendarmen erklärten den politischen Verbrecher für verhaftet und führten ihn zur Wache. Inzwischen findet sich der Abg. Heller am „Festplatz' ein und frägt den Bezirkshauptmann, warum der Kinderfestzug verboten sei. „Es hat schon einer stattgefunden." „Ich gratuliere Ihnen, Herr Bezirkshauptmann, zu Ihrem Erfolg." „Ich danke schön." Am Abend wurde Herr Meyer aus der Haft entlassen, und der Dezirkshauptmann fuhr nach Dux zurück mit dem Bewußtsein, die Ehre der tschechischen Nation hochgehalten zu haben. Viele Deutsche in Leipa sind ihm aufrichtig dankbar, weil er, wie sie meinen, Michel die Mütze ein Stück weite» gelüftet Hot. Otto Flösset. WMaSrühherbst! — Die Felder abgemäht, an den Bäumen in dem dunklen Laubgewirr manch falbes Blatt. Aus den Rainen fehlt die üppige Fülle der Blumen, ein letztes Blatt schmückt den Rasen. Die Natur KDWg beginnt müde zu werden. Überall ein Vergehen, Welken, Scheiden und Verklingen, überleuchtet vom warmen Sonnenschein, umspielt von trunkenen Schmetter lingen. — Auf blankem Schtenengleis, an Feldern, Wiesen und Wald vorbei, vorüber an schmucken Städten, traulichen Dörfern fährt die Eisenbahn. In einem Abteil dritter Klaffe sitzt eine junge Frau mit ihrem dreijährigen blonden Kind. Sie fahren in die Stadt, die die Frau als Mädchen verlassen hat. Sechzehn Jahre sind dos her, eine lange Zeit! — Fest gebannt blickt die Frau aus das Stadtbild, das in nicht mehr weiter Ferne klar vor ihr liegt. Hetmattraut grüßt es zu ihr herüber. Die Kirchtürme, der altersgraue Dohlenturm, wie ist ihr das alles noch so bekannt. — Immer näher rückt das Ziel, nun hält der Zug. Frau und Kind steigen aus, sie werden von lieben Verwandten herzlich begrüßt. Im offenen Wagen fahren sie durch die Stadt. Da ist manches noch alt und bekannt und vieles neu und fremd. Der Wagen hält vor dem Haus ihrer Großeltern. Das Ist noch unverändert in seiner schlichten Traulichkeit. Wie damals, jubelt es leise im Herzen der jungen Frau. Das ist ein glückliches Wiedersehn, wenn wir gleich wieder heimisch sind an alten, lieben Stätten. — Im Hausflur steht die Großmutter und eiwartet Enkeltochter und Urenkelchen. Auch sie haben sich sechzehn Jahre lang nicht gesehen. Das ist für ein Menschenleben eine gute Spanne Zeit. Sie macht das Alter gebrechlicher, stiller und langsamer und der Jugend nimmt sie von ihrem Glanz und ihrer Frische, sie macht sie reifer und ernst. Sechzehn Jahre, die gestalten und verändern, die nehmen und geben. — Doch als Großmutter und Enkelkind ein bewegtes Wiedersehn feiern, merken sie, daß sie noch die alten sind, denn sie haben sich lieb behalten und Liebe steht über all dem Wandel. Wie segnend ruht Großmutters welke Hand auf dem blonden Köpfchen des Urenkels. Nun gibt es zu erzählen und zu fragen. Still und glücklich begrüßt die Enkelin die alten, lieben Sachen im Grobelternhaus, die sie noch so gut kennt. Es steht alles noch am alten Platz — wie einst! denkt sie fröhlich und ihr ist wie einem Wanderer, der Heimweh gehabt hat und der es sich stillen kann. — In Großmutters schönem Garten ist es auch noch so ganz wie damals. Nur ein bißchen breitästiger sind die Bäume geworden, nur ein bißchen verwilderter die Hecken, nut ein bißchen morscher Bank und Zaun. Dort, im