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Dr. Hermann Knothe Ium 100. Geburtstag Von Dr. Martin Jäckel m 9. Oktober 1821, im Todesjahre Napoleons, wurde dem Hirschfelder Diakonus Karl Friedrich Knothe sein einziger Sohn Hermann geboren, der für unsere Heimatforschung eine so große Be deutung gewinnen sollte. Die eifrige Pflege unsrer Lausitzer Geschichte ist hauptsächlich durch ihn angeregt, und kaum kann man Studien machen über die älteste Zeit, ohne auf seine Vorarbeiten zu stoßen. Biele alteHirschfelder und Zittauer Familien sowie zahlreiche ältere Forscher seines Dresdner und Görlitzer Bekanntenkreises erinnern sich noch gern des kleinen gelehrten Mannes mit dem liebenswürdigen Wesen und dem klaren bestimmten Auf- treten. Sein Bild zeigt eine ausgeprägte Stirn, ein ener gisches Kinn, ernst prüfende Augen. Ein rastlos Strebender, der seine große Schaffenskraft unermüdlich ausnützen konnte bis ins höchste Alter. Sein Lebensgang führt uns durch die behagliche Zeit unsrer Großväter mit ihrer biederen Ehrbarkeit, in die Zeit des Überganges vom Kienspan zur Petroleumlampe, von der Silhouette zur Photographie, von der plaudernden Spinnstube zur sausenden Fabrik, von der gelben Post kutsche zur Eisenbahn. Wie ungetrübt war das Gedächtnis unsrer Großmütter noch an die Tage der eignen Groß mütter, und ihr Singen und Sagen wußte längst versunkene Zeiten lebendig zu erhalten. Heimatliebe und deutsche Romantik, Lokalpatriotismus und erwachende Geschichts forschung regten damals schon die Landgeistlichen immer mehr zur Pflege der Ortsgeschichte an, und so bewahrt noch heut das Hirschfelder Pfarrarchiv ein Foliobuch voll Denk würdigkeiten, in denen Knothes Vater einen ersten Versuch machte, die Geschichte Hirschfeldes zu überliefern. Und wie ähneln sich auch Vater und Sohn in ihrer energischen kleinen Gelehrtenhandschrist! Nicht zuletzt wird den empfänglichen Knaben der romantische 5wuch berührt haben, der über dem ! uralten, burgartigen Gemäuer der Hirschfelder Pfarre liegt, einem ehemaligen Vorposten der Iohanniterritter. Den Hauptanstoß zum eignen Forschen gab aber der Rechtsstreit zwischen Hirschfelde und Zittau über die Führung des Stadttitels. Der Vater hatte den begabten Knaben freilich zunächst nicht zum Historiker bestimmt. Nach dem Besuch des Gym nasiums zu Zittau 1832—40 studierte er in Leipzig Theoloaie, nicht aus Neigung, sondern auf Wunsch seiner Eltern. Als er bereits nach 7 Semestern sein Examen bestanden hatte, holte er in einem halben Jahre in Leipzig, Halle und Berlin noch manche Studien andrer Art nach. Der einjährige Aufenthalt in Hirschfelde 1844 förderte wesentlich seine hiesigen Forschungen für die Chronik. In den Jahren 1845—55 war er anfangs als Hauslehrer tätig, sogar auch in der französischen Schweiz, dann unterrichtete er in Dresden an mehreren Mädchenschulen sowie in englischen, russischen und polnischen Familien der Fremdenkolonie. Damals be stand er sein Doktorexamen, zu dessen 50jährigem Jubiläum ihn 1901 die Universität Jena beglückwünschte. Das Dresdner Leben sowie seine zunehmende Reizbarkeit der Atmungsorgane und derStimme verleideten ihm noch mehr das einsame Dorfpastorenleben, und um so lieber nahm er 1855 eine Anstellung an der vereinigten Gymnasial- und Realschulanstalt in Zittau an, als er hier seine eben ver ¬ witwete Mutter zu sich nehmen konnte. Sein Vater hatte auf einem Amtsgange in der Dunkelheit am Schlagbaum der Görlitzerstraße eins schwere Schädelverletzung erlitten und endete damit jäh eine vorbildlich treue, 35 jährige Amtstätigkeit. Noch heut ehrt eine Knothe-Stiftung für arme Witwen sein Andenken, und sein Grab am Eingang der Pfarre verdient wahrlich liebevolle Pflege. Die sechs Jahre in Zittau benützte nun sein Sohn zu eifriger Arbeit in den Archiven, bis er 1861 vom Kriegs ministerium als Professor ans Kadettenkorps berufen wurde. An Dresden fesselte ihn nicht nur sein alter Freundeskreis, sondern vor allem der große Urkundenschatz des Haupt staatsarchivs. Nur das Jahr 1866 unterbrach seine Arbeiten jäh, als er mit seinen Kadetten fliehen mußte nach Prag, Wien und Liebenau bei Graz. Seitdem lebte er seinen Dresdner Studien ungestört, trat 1880 in den Ruhestand, und selbst das höchst ehrenvolle Anerbieten des Gesamt ministeriums, das Direktorium des Hauptstaatsarchivs zu übernehmen, konnte ihn von dem fest abgegrenzten Arbeits gebiet der Oberlausitzer Geschichte nicht ablenken. Un verheiratet lebte er in seinem bescheidenen Gelehrtenheim in der Zirkusstraße 36 Jahre lang, wo ich als Sekundaner ihn besuchen durfte. Kam er doch noch gern in unser Hirsch felder Pfarrhaus, kostete von dem Marunkenbauw, den er selbst gepflanzt hatte, und belebte alle Winkel mit seinen Erinnerungen. Mit meinem Vater traf er fast regelmäßig in der Oberlausitzer Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz zusammen, deren eifrigster Mitarbeiter am Lausitzischen Magazin Knothe war, durch Preisarbeiten mehrfach aus gezeichnet. 1897 wählte ihn die Kgl. Sächs. Kommission für Geschichte als Vertreter der Lausitzer Geschichte zu ihrem Mitglied?, und am 80. Geburtstage erhielt er den Titel eines Geheimen Hofrates. Frisch blieb er durch seine jährlichen Reisen nach der Schweiz, Tirol und Italien. Nur die letzten Jahre wurden ihm schwer getrübt, da er 1898 beim Verlassen der Elek trischen Bahn von einem Fleischerwagen überfahren wurde und seitdem lahm ging. Eine Influenza raffte am 8. Februar I 1903 den unermüdlichen Forscher im Alter von 82 Jahren dahin. Auf dem Annenfriedhof in Dresden ist seine letzte Ruhestätte. Schon die Zahl seiner Abhandlungen läßt seine Verdienste -ahnen. 131 Titel führt Prof. Dr. Iecht im ausführlichen, ehrenvollen Nachruf der Oberlausitzer Gesellschaft der Wissen schaften auf, die auch etwa 600 Briese von ihm besitzt. Die vielen kritischen Besprechungen und dieumfangreiche Privat korrespondenz nahmen ihn noch außerdem stark in Anspruch. Knothes erste Arbeiten sind seinem Heimatort gewidmet: Die Iohanniterkommende zu Hirschselde, das älteste Schöppenbuch zu Hirschfelde, Geschichte des Fleckens Hirschfelde*) Geschichte der Dörfer Rohnau, Rosenthal und Scharre bei Hirschfelde. Wie wenige ahnen, was für ein unsagbarer Fleiß und mühseliges Quellenstudium schon in diesen Werken aufgespeichert ist! Um so niehr verstehen wir, wenn Knothe im Vorwort zu seinem Hauptwerk „Geschichte des Oberlausitzer Adels und seiner Güter" be merkt, es sei das Ergebnis 20 jährigen Forschens, und er habe Hunderttausende von Notizen aus unzähligen Urkunden zusammengetragen. Der 1. Teil gibt ein sehr anschauliches Kulturbild des Lebens auf den alten Adelssitzen, der 2. Teil ist ein wichtiges Nachschlagewerk über 200 Lausitzer Adels familien, und der 3.Teil versucht zum erstenmal eine grund legende historische Geographie unsrer Oberlausitz.