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Oybiner Waldtheater. Urausführung Hermann und Thusnelda. Oybin, 20. August. Die Görlitzer Dichterin Else von Wissel sollte mit ihrem Schauspiel »Hermann und Thus- nelda" aus der Oybiner Waldbühnebereitsamoergangenen Sonn tag zu Wort kommen. Der Wettergott hatte jedoch sämtliche Schleusen geöffnet, und so mußte die Uraufführung des Werkes auf den gestrigen Freitag verschoben worden. Die Handschrift des Dramas hatte vor Her Inangriffnahme der Proben dem Berichterstatter Vorgelegen. Der Eindruck der Dichtung auf den Leser war nicht ungünstig. Obwohl man sich nicht verhehlen konnte, daß dem Werke gewisse, des Näheren noch zu erörternde Mängel anhaftcn, hatte man anderseits die Möglichkeit, manchem guten Gedanken der Verfasserin in Muße nachzugehen, manche dichterische Schönheit mit ästhetischer Befriedi gung in Ruhe zu genießen. Und nach beendigter Durchsicht des Werkes war man der Ansicht, daß es wahrscheinlich einen recht hübschen Erfolg zu verzeichnen haben würde. Es ist anders gekommen und zwar, wie leider betont werden muß, wohl weniger ausschließlich deshalb, weil das Stück bei der Aufführung nicht den beim Lesen gehegten Erwartungen entsprochen hak, sondern im Gegenteil infolge einer im ganzen recht mangelhaften Wiedergabe. Tatsächlich ist an der Dichtung mancherlei auszusetzen. Iwei Episoden aus dem Leben des Cheruskerführers Hermann und seiner Gattin sind bereits dramatisch verwertet: einmal in Kleists »Hermannsschlacht", die andere in Karl Grammnnns Oper „Thus nelda und der Triuniphzug des Gerinanicus". Was von dem Leben der Beiden übrig bleibt, hat die Dichterin, teils in zeitlicher Um gruppierung, teils in willkürlicher Abweichung von den geschichtlichen Tatsachen, als Stoff für ihr Drama verwendet. Hermanns Ermordung erfolgte im Jahre 2l, zwölf Jahre nach der Schlacht im Teutoburger Walde. Es lag somit von vornherein die Gefahr vor, daß das Werk einen mehr erzählenden, epischen als dramatischen Charakter erhielt. Die Verfasserin hat sie nicht zu bannen vermocht. Und bei aller Breite der Szenen sind sie über das Skizzenha,te nicht immer hinausgewachsen. Zum Teil — z. B. bei der Sinnesänderung Hermanns betreffs des von Thusnelda dem Germanlcus verpfändeten Worts — entbehren sie der inneren Begründung Weiter schmälern schwache Aktschlüsse, längere Monologe oder begebnislose Zwiesprache die dramatische Wirkung. Der vaterländisch-begeisterte Schwung, den die Dichtung im ganzen atmet, erfährt eine Dämpfung durch gewisse Zugeständnisse an den Zeitgeist unserer Tage. Trotz alledem wäre es aber durchaus verfehlt, über dem Werke glatt den Stab zu brechen. Den dichterischen Gehalt anzuerkennen, ist eine Pflicht der Gerechtigkeit. Bei der intensiven Arbeitsleistung, die heutzptage von jedem, der geistige oder materielle Werte schafft, gefordert werden muß, mag es für den Mimen Unbequemlichkeiten mit sich bringen, wenn er sich neue umfangreiche Rollen aneignen soll. Aber wo es sich nicht um mechanische Handlangerarbeit, sondern um die Kunst handel«, sollten noch immer Lust und Liebe die Fittiche zu großen Talen sein. Im vorliegendrn Falle war aber anscheinend weder das eine noch das andere vorhanden. Bis zu einem gewissen Grade muß textliche Sicherheit gefordert werden können. Urd wenn durch die Unacht samkeit eines Einzelnen höchst peinliche Pausen verschuldet werden, so ist das eben nicht in der Ordnung. Wenn ferner im Drama mehr Menschen als heutzutage üblich eines unnatürlichen Todes sterben, so braucht der nicht so ungeschickt wie im Kasperle-Theater heibcigeführt zu werden, daß die Wirkung auf das Publikum dementsprechend ausfällt. So sehr sich einige Künstler mit Eva Gühne als Thusnelda an der Spitze für die Dichterin und ihr Werk cinsctzten, so wenig entsprachen andere den Anforderungen, die wir an die Mitglieder des Waldtheaters zu stellen gewöhnt und berechtigt sind. Viclsant consulas . . . Die elfte Spielzeit scheint, trotzdem der bisherige erste Held sich bereits verabschiedet hat, noch mit einer Anzahl bedeutungsvoller Auf führungen absckließen zu sollen. Am 24. August sand das erste Gast- spiel der Frau Josephine Braun vom Bolkstheater in München statt, bei welcher Gelegenheit Ludwig Anzengrubers unverwüstlicher „.Pfarrer vonKirchfeld" einen abermaligen tiefgehenden Erfolg erzielte. Um es kurz zu machen: die in Oybin privatim bereits be kannte Dame ist die Tochter des verdienstvollen Waldtheater-Mit glieds Cölestine Andröe-Huvart und hat von der Mutter in vollem Umfange all die künstlerischen Mittel in „erblicher Belastung" in die Wiege gelegt bekommen, auf die sich der Rus der letzteren gründet. Frau Braun ist eine Menschcndarstellertn von hervorragen den Fähigkeiten. Ein prachtvoll biegsames Organ, tiefe verinnerlichte Erfassung der gestellten Aufgaben, wunderbare Harmonie zwischen Wort, Augenspiel, Gesichtsausdruck und Geste runden die Darbie tung zu einer Gesamtleistung von ragender Größe. Daß die Künst lerin auch das Idiom meisterlich beherrscht, versieht sich am Rande. Auch im übrigen war die Aufführung dem Besten, was je da draußen geboten worden ist, an die Seite zu stellen Neu ist in diesem Jahre Josef Swoboda in der Titelrolle. Er übertrifft in Bezug auf unbedingte Beherrschung der Aufgabe hinsichtlich des Wortlauts die meisten seiner Porgänger und ist auch bezüglich geistiger Durch- dringung der Rolle in allen Einzelheiten unbeschränkter Anerkennung würdig. Vortreffliches gaben ferner Martin Thiel (Einödpfarrer) und Ludwig Schmidt-Pauly (Schulmeister zu Altötting): befriedigend war auch Eduard Pötter (Graf Finsterberg). Die sonstige Besetzung der wichtigen Rollen war die schon oft gewürdigte. Das gutbesetzte „Haus" machte seinem inneren Miterleben durch dröhnenden Beifall Lust und rief zum Schluß Frau Braun energisch an die Rampe. Am 25. August gastierte Frau Braun als Horlacherlies in desselben Verfassers heiterer Erbschleicherkomödie „DerG' wissens- wurm." Der künstlerische Erfolg war wiederum außerordentlich und trug der Künstlerin abermals begeisterten Hervorruf ein. Sie zeigte diesmal, daß sie auch auf dem Gebiete des wurzelechten Humors Meisterhaftes zu bieten weiß. Einer solchen Künstlerin lauschen zu dürfen, ist reiner und ungetrübter Genuß. Auch im übrigen war die Aufführung wieder hervorragend gut Die Mimen waren mit Lust und Liebe bei der Sache, was leider in den letzten Wochen nicht immer behauptet werden konnte. An Stelle Walter Brandts hatte Josef Swoboda die Rolle des Wastl übernommen und führte seine Aufgabe in durchaus befriedigender Weise durch Ec ist ein denkender Künstler und könnte hinsichtlich der gewissenhaften Ein arbeitung in den Texi einer Dichtung manchem gewohnheitsmäßigen hilflosen „Schwimmer" zum Vorbild dienen. Die Besuchsziffer überstieg das für einen Werktag übliche Maß ganz erheblich: nur störten ganze Scharen durch beträchtliches Zuspät- konimen die Stimmung wiederholt empfindlich. Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, aber — Könige gibt es nicht mehr. Goldenes Bühnenjubiläum von Cölestine AndrSe-Hnvart. Zu einer bedeutsamen Huldigung für eins der anhänglichsten und verdienstvollsten BUHnenmitglicdcr gestaltete sich die am Freitag, 26. August, in neuer Einstudierung herausgebrachte Aufführung von Kail Schönherrs gewaltiger Tragödie „Glaube und Heimat". Handelte es sich doch um nichts Geringeres als um das 50jährige Künstterjubiläum der Frau Cölestine AndrSc-Huoart, die einen beträchtlichen Teil dieses halben Jahrhunderts — 10 Sommer — mit vorbildlicher Treue dem Verbände des Oybiner Waldtheatcrs anaehört und sich während dieser Zeit in Zittau und Oybin einen außerordentlich stattlichen Kreis von Freunden und aufrichtigen Ver ehrern ihrer Kunst erworben hat. Frau Huoart ist eine Künstlerin ersten Ranges, und cs konnte in der Tat als eine günstige Bor- bedeutung angesehen werden, daß sie vor 50 Jahren gerade an Goethes Geburtstag, dem 28 August 1871, ihre Bühnenlaufbahn antrat. Im Geiste der klassischen Darstellungskunst hat sie ihren hohen Berus aufgefaßt, ohne deshalb in die althergebrachten starren Ausdruckssormen zu verfallen. Sie Hai vielmehr ein offenes Auge auch für die Entwickelung der neuzeitlichen Kunstrichtungen gehabt und immer das Beste davon sich zu eigen gemacht. Bei dieser Gelegenheit muß auch ganz besonders daran erinnert werden, daß die Jubilarin sich noch nie hat vergeblich bitten lassen, w.nn es sich darum handelte, ihre Kunst und ihre unerschöpfliche Arbeits kraft für gemeinnützige Zwecke in Anspruch zu nehmen. In selbst loser und uneigennütziger Weise hat sie noch immer jedem der artigen Ruse Folge geleistet. Die Festaufsührung wurde mit einer sinnigen und einer ge schmackvoll angeordnetcn Ehrung für die beliebte Künstlerin einge leitet Nach dem ersten Glockenzeichen betrat ein feierlicher Zug festlich gekleideter reizender junger Damen, die mit einer unüber sehbaren Menge herrlicher Blumenspenden und köstlicher Ehren gaben beladen waren, die Bühne und nahm dort im Halbkreis Aufstellung. Dann wurde die offenbar vollständig überraschte Jubi larin von ihrer jüngeren Berufsgenossin, der ausgezeichneten Heroine Eva Gühne, in die Mitte dieses leuchtenden Blumcn- und Iugendfriihlings geführt. Fräulein Gühne sprach im Gewände der Muse der dramatiscken Darstellungskunst u it wundervollem Ausdruck das ooin Berichterstatter verfaßte Festgedicht. Besonders bemerkt wurde es, daß wie aus das Stichwort die Sonne auf einen Augenblick das leichte Gewölk durchbrach und erst die Muse, dann die Jubilarin in einen goldenen Strahl tauchte. Mit der Über reichung eines schönen Ehrenkranzes sand diese Huldigung ihren Abschluß, und dann brach orkanartig der Beifall der stattlichen Menge im Zuschauerraum los. Vergeblich bemühte sich die gefeierte Künstlerin, einige Worte des Dankes zu sprechen. Die Ergriffenheit