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Nr. 17 Gbsrlaufltzer Helmatzeltung 225 haft, indem er ihnen saate, sie hätten wohl zu den Feiertagen einen Onkel, wendisch ^Vuj, zu Besuch gehabt, er habe hier auch einen VVuj zu Besuch bikommen, und nun ließ er das W an der Lesemaschine anmarschieren und die kleine Gesell schaft rusen: Wrvrvwuj! Allgemeine Heiterkeit und Befriedigung! Der Erfolg blieb nicht aus: Ostern war ich in die Schule ein- getreten, kurz nachher bekam ich eine Fibel. Als ich zu den Michaeltsserien nach Hause kam, sollte ich den Eltern die Nach richt bringen, ich könnte lesen. War die Schule zu Ende, so beschäftigten wir Kinder uns im Sommer mit unseren Beeten, aus denen wir Blumen, wohl auch Gemüse, zogen. Dann wurden wohl noch mit den Knaben orthographische oder Rechenübungen vom Lehrer ge- trieben. Sonnabend nachmittag wurde von den Knaben ge zeichnet, meist nach Vorlagen kopiert, während die Mädchen in den weiblichen Handarbeiten und Geschäften des Haushaltes unterrichtet wurden. Nadelarbeiten waren damals noch kein Pflichtunterrichtsfach In den sächsischen Volksschulen, sie wurden erst durch das Dolksschulgesctz von 1873 eingesührt und bil beten ein wesentliches Verdienst dieses Gesetzes. Da Frau Höhne ost an Kopfweh zu leiden hatte, übernahm vielfach die Tochter, Fräulein Iulchen, die Unterweisung, wie sie auch bezüg lich der äußeren Ordnung in Schulhaus und Schulstube ein kräftiges Regiment unter Mitwirkung einer Arbeiterfrau, Hanne, führte. Die Söhne waren erwachsen und standen in verschiedenen Berufen: einer war Gärtner, später Anstaltsbeamter in Zwickau, ein anderer Instrumentenbauer; er hatte sich dazu entschlossen, als auch anderwärts, z. B. in der Leipziger Gepend und Provinz Sachsen, verschiedene Lehrerssöhne sich diesem Berufe zuwandten, weil wohl einzelne damit ihr Glück gemacht hatten. Große Freude und Neugier bei uns Kindern erregte der Besuch des Sohnes, der Lehrer in Oberoderwitz war und seine Braut, eine Gasthofsbesitzerstochter, seinen Eltern zusührte. Dergleichen Abwechselungen waren aber selten. Unser Der- gnügen waren die täglichen Kinderspiele. In der Mittags pause wurde aus dem großen Platze vor der Schule eifrig gespielt. Schlug dann die Uhr auf dem Rittergutsturme 1 Uhr, so strömte aus das Kommando „Herein!" alles schleunigst in die Schule. Im Winter gab es aus dem Wege von der Schule nach dem Parke eine prächtige Rodelbahn, die auf den ein fachen, mit Eisen beschlagenen Holzschlitten weidlich ausgenutzt wurde. An den Winterabenden wurde Lotto, wohl auch der Wirt und seine Gäste, um Bohnen gespielt. Eine Schulbibliothek stand nicht zur Verfügung. Dagegen besaß der Lehrer u. o. Wildenhahns volkstümliche Erzählungen, von denen ich einige Bände gelesen zu haben mich erinnere. Besonderen Eindruck machte der Besuch des Iägerschen Bethlehems in Bautzen, das alljährlich in der Adventszeit aus gebaut wurde und uns Kinder lebhaft beschäftigte, weil hier die Erzählungen der biblischen Geschichte in zahlreichen guten Holzschnitzarbeiten vorgesührt wurden. Es soll wohl später nach Amerika verkauft worden sein. Schöne Spaziergänge wurden des Sonntags unternommen. Da ging es dann nach der Wiwalze, von deren Geschichte wir uns mancherlei zu erzählen wußten. Der Berg war ursprüng lich von unfern heidnischen Vorfahren dem Gotte Wotan ge- weiht und nach Einführung des Christentums dem heiligen Michael gewidmet gewesen. Im 18. Jahrhundert hatte der Besitzer des Schmochtitzer Rittergutes die Spitze des Berges den Temritzer Bauern, die den Berg besaßen, abgepachtet und darauf ein Häuschen mit Keller gebaut. Ersteres war ver schwunden, letzterer zusammengestürzt; aber von ihm wußten wir Kinder uns allerlei Schauergeschichten zu erzählen, die wohl unserer eigenen Phantasie entsprungen waren. Eine Wanderung nach dem Czorneboh an einem Himmclfahrtstag ist mir deshalb in Erinnerung geblieben, weil man von oben die gelben Quadrate der blühenden Rapsselder in einer Fülle leuchten sah, wie dies nach dem Fallen der Rapspreise nie mehr der Fall war. Auf einem Ausflug nach Neschwitz sah ich in den Gewächshäusern des dortigen Riesch'schen Schlosses zum ersten Male Ananassrüchte in stattlicher Anzahl. Um dieselbe Zeit muß es gewesen sein, als uns Pater von einer Reise nach Thüringen Apfelsinen» eine damals in der Lausitz noch seltene Frucht, mitbrachte und erzählte, wie diese auf der Leipziger Messe, ganze Tische voll ausgestellt, billig zu haben gewesen seien. Line andere Wanderung hat sich mir unvergeßlich ein- geprägt. Sonnabend, den 20. Juni 1857, sollte der Weltunter gang stastfinden, und wir Kinder beschäftigten uns viel damit: ich war damals 7 Jahre alt. Der Tag war ruhig vergangen. Um so größer war unser«» Aufregung, als am Sonntag darauf um die Mittagsstunde furchtbare Rauchsäulen zum Himmel emporstiegen. Es handelte sich um einen Brand in dem Vor ort Seidau bei Bautzen, wo bei großer Trockenheit sich das Feuer mit rasender Schnelligkeit entwickelte. Hatte schon der Anblick der Rauchsäule einen tiefen Eindruck auf uns Kinder gemacht, so noch mehr die Erzählungen von Augenzeugen, die aus Bautzen nach Großwelka kamen: In kaum einer Stunde waren bet der außerordentlichen Dürre an die 30 Nummern mit über 50 Gebäuden niedergebrannt. Mit unheimlichem Grausen sahen wir den Schaden, als wir am Mittwoch nach mittag hinwanderten: an der Welkaer Straße war die Nord seite, an der Teichnitzer Straße die Westseite niedergebrannt. Auch die Kapplersche Mühle mit Eselstall und Scheune war ein Raub der Flammen geworden. So oft ich Schillers Worte in der Glocke: In den öden Fensterhöhlen wohnt das Grauen gehört habe, trat mir dieses Bild der Verwüstung durch Feuers- wut vor Augen. Von der politischen Bewegung der Zeit drang wenig in die dörfliche Stille: Kein Ton der aufgeregten Zeit drang noch in diese Einsamkeit. Don Veranstaltungen einer Schulfeier bei Gelegenheit der großen nationalen Schillerfeier im Jahre 1859 habe ich keine Erinnerung. Dagegen entsinne ich mich, wie die Schillerlotterie die Gemüter erregte, wohl auch durch die Nieten oder wenig wertvollen Gewinne manche Enttäuschung heroorrief. Ich verdanke ihr durch den Gewinn oder das Geschenk eines Onkels die erste Bekanntschaft mit Schillers Ge dichten in einer stattlichen Quartausgabe. Dagegen habe ich mehr Erinnerung an den italienischen Krieg. Schon der herrliche Komet von 1858 war vielsach als Vorzeichen auf einen kommenden Krieg gedeutet worden. Als ich einmal die Bautzener Nachrichten zum Gemeindeoorstand hinübertrug, saß dort ein beurlaubter Soldat, der eben den Gestellungsbefehl zum Eintreffen erhalten hatte, und sagte zu mir: Junge, es wird Krieg! Nur selten kamen Truppenteile der Bautzner Garnison zu Felddienstübungen nach Großwelka, wo sie von uns Kindern eifrig begleitet wurden. Dagegen fand die Rekrutenausbildung mehrfach auf den Dörfern statt, die dann längere Zeit Einquartierung hatten. Im Schlosse zu Großwelka war wohl die Hauptwache. Da das sächsische Heer damals noch Vorderlader hatte, war das Laden und die Hand habung des Ladestockes nicht ohne Schwierigkeit, namentlich nicht ohne gesundheitliche Schädigung, wenn letzterer die Nase traf. Ich sehe noch einzelne Soldaten am Exerzierplätze mit blutender Nase stehen. Wenig erfuhren wir von der inneren Politik. Nur einmal war ich zugegen, als ein Bautzener Kaufmann, dec die konsti tutionelle Zeitung las, deren Ausführungen gegen die Beustsche Politik wiederholte und billigte. Bon der panslavistischen Bewegung damaliger Zeit ist mir aus der Großwelkaer Zeit keine Erinnerung geblieben. Da- gegen wurden die von Schmaler herausgegebenen Lerbske Koovinze Sonnabend und Sonntag eifrig geiesem Mehr erfuhr ich davon, als ich Ostern 1863 Großwelka verließ und auf dos Bautzner Gymnasium kam, wo ich an dem wendischen Unter- richte des Diakonus Mros teilnahm. en Menschen ist nur mit Gewalt oder List etwas abzugewinnen. Mit Liebe auch, sagt man ; aber das heißt auf Sonnenschein warten und das Leben braucht kjede Minute. Goethe.