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gewesen, denn sie hatte sie still gemacht. Nur der Still« findet Zeit, in sich zu leben. Und wer gelernt hat, die Augen zu senken, der ist auf die Spur des Lebenszweckes gekommen. Den zu finden oder ihm wenigstens nahe zu kommen, ist die einzige Mühe, um die es wert ist, zu leben. Still war sie geworden, voll zarter Rücksicht gegen ihre Mitmenschen, und doch kehrte sie gegen diese meist eine rauhe, bärbeißige Stimme heraus. Das war eben ihre Rücksicht. Ihre geheimnisvolle Gabe, dem Bolbsltamm der Lausitz nur selten eigen, war den Dörflern natürlich nicht verborgen geblieben. „Sie hat Anzeichen," hieß es, womit man meinte, der Tod gibt ihr ein Zeichen, wenn er in der Rühe einkehren will. Erst lachte der Zweifel hinter ihr her, dann lief ibr die Neugierde ins Haus. Die kam aber bei Gustls Verschlossenheit nicht auf ihre Rechnung. Da versteckte sich bald die Furcht vor ihrem Kommen. Jeden, den ein Halbwegs ernster mitleidsvoller Blick ihrer Augen traf, hielten die Leute iür dem Tode Versalien. Darum mußte sie ihre Augen Härten wie ihre Worte. Just, wo sie daher ost rücksichtslos erschien, war sie am rücksichtsvollsten. Ls war Hochsommer. Im Hose stand ein vollbeladener Erntewagen. Die reifen Garben strahlten würzigen Dust bis in die Stube, in der die greise Mutier am geöffneten Fenster saß. Sie rollte immer wieder den Foden von dem Knäuel Erinnerung aus. So saß sie, bis die Dämmerung die Natur in Ecklas hüllte. Auch sie ward davon umsponnen. Wo blieb aber Gustl? Die Greisin harrte und harrte, aber die Tochter kam nicht. Da zog ein fernes Ahnen durch der Alten Herz. „Wie Gott will," sprachen leise ihre Lippen und ihre Hände falteten sich zum Gebete. Ganz leise drehte sich die Tür in den Angeln, und Gustl trat geräuschlos herein. Aber der Mutter Herz fühlte, was den Ohren verborgen war. „Gustl." „Ja, Mutter." Durch die wenigen Worte drang der ganze Kummer einer lieben Seele, die den Abschied nahe sieht, an der Mutter Herz Aber hinein konnte er nicht, kenn der Engel des Friedens stand vor dem Eingänge. Der ließ die Greisin also reden: „Gustl, sorg' dick nicht! Was du gesehen hast, sehe ich auch in mir. Meine Zeit ist um, und sie war köstlich, denn sie ist Mühe und Arbeit gewesen. Mach mir den Abschied nicht schwer! Wir zwei sehen uns schon wieder." Gustl kniete erschüttert nieder und barg da? tränenschwere Gesicht in der Mutter Eckoß. Da legte die Greisin ihre zittern den Hände auf der Weinenden Kopf und gab ihr leise den letzten Segen. So verharrten sie beide lange. Die Hände wurden schwerer und schwerer. Einmal ging ein leiser Ruck durch der Alten Körper. Da legte Gustl sonst die kalten Hände der Toten zu sammen und stand auf. Die ganze Nacht saß sie der Entschlummerten gegenüber, und der Tod ließ sich ins Gesicht schauen. Darob versiegte der Lebenden Tränenquell und mochte ihr Herz still und froh. Sie hatte gelernt, über das hinauszuschauen, was die Menschen Tod nennen, und wußte, der Tod ist ein Tor in neues Leben. Das liegt düster und drohend vor dem, der von stetem Umschauen blind geworden ist und seine Füße mit dem Blei eitler Wünsche beschwert hat, aber goldene Türme strahlen dem entgegen, der im getrosten Vorgehen das Auge der Seele schärfte, daß er hindurchsieht durch das dunkle Tor. In jener Nacht hat das alte Mädchen den Wert ihres Schicksals erkannt. Die heiße Glut eines Sommertoges flimmerte auf den Dächern des Dörfleins. Durch die schwere Luft spann der Sommer lautlos still silberne Fäden. Die schwammen seidig durch das heiße Flimmern und sangen ein heißes Lied von kahlen Feldern und bunten Wäldern. Mitten durch die Hitze des Sommernachmittags zog schon das Dorahnen künftigen Vergehens. An dem „Neumhos" — min, so heißt er gar nicht mehr, sckon seit zwanzig Jahren nicht mehr; Färber heißt der gegen- wältige Besitzer und das Gut darum der „Neum-Färberhoi", an den also lehnt sich auf der Feldsette ein kleines, einstöckige» Holzhüttlein. Die kleinen Schiebefenslerchen gucken verträumt aus die Kornpuppen hinaus. Dos Dachstroh hängt dem Häus lein weit über die Stirn.' In dem kleinen Borgärtchen nicken volle Sonnenrosen auf hohen Stengeln wie im Schlafe. Auf einem Fenstersims liegt eine schwarzweiße Katze und blinzelt mit kleinen Augen in die Sonne. Das Ganze liegt da wie ein Traum. Und noch jemand träumt in die warme Ernteluft hinein mit müden, versonnenen Augen, die kaum noch empfänglich sind für die bunten Dinge der Welt. Dos ist ein altes, ge bücktes Weiblein, das auf einer Bank an der Haustür sitzt, die Hände lässig in dem Schoße. Die Zeit der Saat ist vorbei. Die Ernte hat begonnen. Die Sonnenstrahlen wärmen die falten reiche Haut der Alten. Die Sonnenrosen läuten ihr »in Lied vor. Das hat keine Worte, aber ein inniges, süßes Klingen. Da tobt die Jugend mit dem Schulranzen an dem kleinen Auszugshäuechen vorüber. Aber die Augen des alten Weibleins folgen ihr nickt, sie schauen weit in endlose Fernen. „Die Zeichen-Gust," rufen einige halblaut und stoßen sich mit dem Ellbogen an. „Laßt sie schlaien!" beschwichtigt einer. „Dolf, sie hat ja die Augen auf," spricht ein kleines Mädchen verwundert. Der Angeredete meint altklug: „Das macht sie immer so, hat meine Mutter gesagt. Sie schläft mit offenen Augen." Lin anderer tat ganz geheimnisvoll: „Sie fleht ober dabei mehr als alle anderen Leu»'." „Woher denn?" „Das hat meine Mutter gesagt.". Die Jugend war wieder außer Hörweite, war's auch immer gewesen für das Weiblein aus der Sonnenseite. Erst wie sich das Kätzchen vom Fensterbrett schlich, sich aus der Bank dehnte und streckte, um sich schließlich aus der Alten Schoß zu betten, besann die sich aus die Umgebung. Nur allmählich begriff sie die Wirklichkeit, denn die Gedanken mußten einen weiten Weg zurückgehen, bis sie eins waren mit dem alten, müden Leib. Sie blieb aber still auf ihrem Plätzlein sitzen. Was sollte sie weiter beginnen. Hier draußen konnte sie dem Summen der Birnen lauschen, die sich bei den Leokoyen zu Gaste luden; hier konnte sie dem Zuge der Wolken folgen, hier war das Reich ihrer Träume. Als hinter den blauvioletten Bergen die goldene Sonne zur Rüste gegangen war, als am Abendhimmel Zinnen und Türme einer hochgebauten Stadt im goldenen Scheine der ge« schwundenen Sonne glühten, setzte sich das Weibletn hinter den Ofen zur Dämmerstunde. Die Finsternis hängte die Fenster zu, und in dem Stübchen wob die Einsamkeit still ihre Fäden. Die Greisin fühlte, wie ein tiefer, heiliger Frieden in ihr Einzug hielt. Ihr ward so leicht, als könne sie Wolken gleich entschweben. Das Bewußtsein des alten hinfälligen Körperleins war ganz entschwunden. Ihr Auge sah in schöne, mattblaue Farben, die in dünnen Schleiern vor ihr wogten. Hinter ihnen schimmerte es goldig durch wie Strahlen einer Sonne. Da teilte sich der glänzende Schleier. Etwas Seltsames, Niegeschautes, schwebte vor ihr. Es war ein Kops mit silbernen Flügeln zu beiden Seiten. Er trug ihre Züge und doch auch wieder nicht. Es waren weder die Züge ihrer Jugend, noch die ihres Alters und dennoch ihre eigenen; aber verklärt von himmlischem Glanze strahlten sie in der Schöne der uferlosen Ewigkeit. Das herrliche Bild schwand allmählich in die Ferne. Die graue Wirklichkeit trat in ihr Recht. Da entkleidete sich die Greisin und suchte fhr Lager auf. Zwei Tage lag sie, die Hände gefaltet, in den Augen himm lischen Glanz. Am Morgen des dritten Tages lag nur noch ein kalter Leib auf Erden. Sein Bewohner war durch das Tor des Freundes Tod in ein neues Leben geschritten.