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Nr. IS Vberlausitzer Heimatzeitung 215 Es war, als der Tischlermeister, nachmalige Schießhauswirt Trenlrler (volkstümlich „Leim" genannt) einem Frl. Apelt aus dem Niederdorfe die Hand zum Bunde fürs Leben reichte. Nicht, weniger als 28 Kutschen habe ich da gezählt. Wenn man annimmt, daß jede Kutsche mit vier Personen besetzt gewesen, so ergibt sich eine Zahl von über hundert Hochzeitsgästen. Dieselben in der Behausung der Braut unterzubringen, war ein Unding. „Scheib ler-August" vom „Sittschen Gute" ist da eingesprungen und hat nebst seiner resoluten Frau und zwei tüchtigen Kochsrauen mit seinem „Schweinernen" und „Kälbernen" und einer delikaten „Dämpftunke" ebenso das kleine Heer seiner an langer Tafel im festlichen Kleide sitzenden Festgäste zusriedengestellt, wie durch mehr wie einen Labetrunk aus seinem Keller. Welche Menge Mehl es überdies bedurfte und wieviel Pfunde Butter, Zucker, Mandeln und dergl. es erfordert hat, die ungezählte Menge von Streusel-, Zucker-, Käse- und Apfelkuchen zu erzeugen, das entzieht sich meiner Berechnung. Wer in diese süße Kuchen angelegenheit noch etwas tiefer eindringen will, den bitte ich, sich vertrauensvoll an Frau verw. Trenkler im Niederdorfe zu wenden, Ich hatte die unerwartete Freude, diese bei meinem letzten Besuche in Reickenau in guter Gesundheit anzutreffen und mit ihr über manches aus längst vergangnen Tagen plauschen zu können. Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht umhin, den lieben heimatlichen Lesern und Leserinnen ein kleines Geheimnis zu ver- raten, das ich fünfzig und mehr Jahre still in meinem Busen be wahrt habe. Ich bin an jenem festlichen Hochzeitsabend mit einer Reihe benachbarter Kinder auf dem „Sittschen Gutt" zum üblichen „Tallerleckn" g'wast.bien abrsu „sehnerg", wie'ch higang'n, wied'r heemkomm. Ne a Kuchrändl hoich vermischt, 's schöcktch ne amol! „'s Berschniern" dar villn Kutschn Hot mer o nischt eigbrocht. D' Motter hoat m'rsch verbotn und gsoit: „Haigelsjong! G'trau dr doas ne! sonst gibts anne Tracht lichte Briegl!" an meine beiden letzten in mehr heiterer, lebenbejahender Abtönung gezeichneten Sittenbilder, tzrAUÄ füge ich diesen heute noch ein heimatkundliches Blatt von mehr dunkler Färbung an, und berichte über hei- mailichen Brauch bei Tod und Sterben und Bestat tung zur letzten Ruhe. Selber hart an der Grenze der siebziger Jahre stehend, ver senkt sich doch mein Geist gern ins eigne Iugendland, wo der blaffe Tod ins eigne Haus eintrat, oder näher oder entfernter von uns sich seine Opfer erkor, und manch Einer, lebenssatt oder noch in der Blüte der Jahre stehend, ins Kühle Grab eingesenkt wurde. Wenn sich schon Erwachsene angesichts eines sie mehr oder minder berührenden Todessalles eines tiefen Eindrucks auf Herz und Gemüt kaum erwehren können, wieviel mehr fühlt sich ein ahnungsloses Kind ob solcher zerstörenden Gewalt des Todes bis in sein Innerstes gepackt. Gesundheitlich befanden sich meine um die reichliche Mitte des vorigen Jahrhunderts lebenden Landsleute kaum schlechter als der jetzige Nachwuchs. Der Fabrikbetrieb mit seinen mehr fachen Schattenseiten, wie halbtagelanges Verweilen in dunst geschwängerten Räumen, neben andern Ubelständen, setzte damals erst schüchtern ein. Die stark florierende Weberei band den Haupt teil der männlichen und weiblichen Arbeitskräfte ans Haus und an die Wohnräume mit ihren angenehmen und gesunden Lebens bedingungen. Wenn nicht gewisse Krankheiten epidemischen Cha- rakter annahmen, dann kamen die beiden damaligen Arzte, Dr. Großmann und Dr. Weikart, kaum auf ihre Rechnung. Verzeihe, lieber Leser, wenn ich vom eigentlichen Thema etwas abschweife und beide Herren, weil originelle und interessante Persönlich keiten, mit einigen Strichen kennzeichne. Großmann, in seiner kurzangebundenen, derben Art war der Typ eines Landdoktors von altem Schrot und Korn. Ein unruhiger Geist, litt es ihn selten daheim. Wenn er seine Visiten erledigt hatte, kehrte er regelrecht im Kretscham beim Trenkler-Edward ein, wo er einen „Pfiff" genehmigte und sich dann ebenso regelmäßig an dem tonfchönen Blüthnerflügel entweder in freier Phantasie oder in klassischer Musik erging. So kam es öfters vor, daß er vom Instrument weg zu einem Patienten geholt wurde. — Weikart, der viel Jüngere, dagegen ein Mann von feiner, verbindlicher Lebensart, der wegen seiner lieben Art, mit Kindern umzugehen und sie ge schickt zu behandeln, die Mütter ganz auf seiner Seite hatte. Bei seinen beruflichen Gängen durchs Dorf war er sofort auffällig durch seinen auf nervösen Störungen beruhenden unsicheren Gang und durch die stille, in sich versunkene Gewöhnung. Mit ihm ver bindet sich für mich mehr wie eine liebe und dankbare Erinne rung. Er hat mich ebenso über einen schweren Bräuneanfall wie über eine mich befallene, viel gefährlichere natürliche Blattern erkrankung hinweggebracht. Es dürfte vielen noch der im Jahre 1868 erfolgte tragische Tod des Genannten in Erinnerung sein. Einsam, wie er sein Leben hingebracht, ist er in einer stürmischen Mitternacht aus dem Leben geschieden. War in damaliger Zeit in einem Hause oder einer Familie ein Todesfall eingetreten, so war es für die Familienzugehörigen nächste Pflicht, die „Leichenfrau" oder „Leichenwäscherin" ins Haus zu bitten, die entweder allein oder mit Unterstützung einer Helferin dem Toten eine besondere Ruhstatt im Hause bereitete. Durch sie erfolgte auch die Anmeldung des Todesfalles auf der Pfarre und beim amtierenden Geistlichen, zugleich auch die Anzeige darüber, ob die verstorbene Person mit „Danksagung", „Leichen predigt", „Kollekte und Segen" oder mit „Heimholung" zu be statten sei. Den einzelnen Todesfall verkündeten dann auch die Kirchglocken der Gemeinde durch das sogenannte „Ausläuten" vormittags elf Uhr. Der Ton der kleinen Glocke kündete den Heimgang eines Kindes, der der mittleren und großen den Tod eines in mittleren und älteren Jahren Stehenden an. Bolles Geläut kündete eine Heimholung, die stattlichste Art eines Begräb nisses. Im Gegensatz zur Danksagung, die sich ohne Trauergesang, nur unter kurzer Ansprache und Einsegnung durch den Geistlichen vollzog und zur Bestattung mit Leichenpredigt, wo der aus Knaben der Kirchschule gebildete Trauerchor mit dem Kreuzträger den Leichcnkondukt auf dem Kirchplan erwartete, vollzog sich die Trauerfeier bei einer Heimholung im gewesenen Heim der ver storbenen Person. Zumeist waren es die alteingesessenen bäuer lichen Kreise, die diese bcsondere Art von Begräbnis bevorzugten. Nicht nur, da», dabei außer beiden Geistlichen der Kirchschullehrer mit den am Trauergesang beteiligten Chorschülern persönlich im Trauerhause erschien, so nahmen gleichzeitig an der ernsten Feier auch alle Lehrer des Ortes mit den oberen Knabenklaffen teil, wodurch neben der sonstigen zahlreichen Begleitung der Trauerzug ansehnlich verlängert wurde. Für mich war die erstmalige Teil nahme an einer im Oberdorfe stattgefundenen Heimholung ein über das Alltägliche hinausgehendes, heute noch lebhaft in meiner Erinnerung haftendes Erlebnis. Schon die große Zahl der aus allen Ortsteilen zusammengezogenen halbwüchsigen und älteren Knaben nahm mich ein. Von noch größerem Interesse für mich war die Gruppe der in meiner nächsten Nähe stehenden Lehrer: der Herren Köther, Schelle und Christoph. Besonders dann, wenn jedem von ihnen aus einer Weinflasche ein Ehrentrunk gereicht und außerdem jeder von einem Tablett eine Zitrone entnehmen durfte. All dies nach altehrwürdigem Gebrauch und Herkommen. — „Weiß nicht, obs anders worden in dieser neuen Zett." Für uns Knaben gab es außer dem, daß wir unmittelbar Teilnehmer solcher paradeähnlicher Bestattungen sein durften, noch einen sehr realen und profanen Hintergrund: die Entloh nung dafür in klingender Münze. Wenn nicht gleich an Ort und Stelle, wurde sie uns durch einen Beauftragten einige Tage darauf in der Schule ausgezahlt. Uber einen Silbergroschen ging sie ganz selten hinaus. Wenn das in einem Falle, wo zwanzig Pfennige als Obolus geopfert wurden, doch geschah, so wurde dann von der Schule weg mit Hopp und Sprung nach Hause gegangen und dem reichen Spender mehr wie ein Lob gesungen. In einem Falle sind wir mit einem minderen Betrage als dem üblichen honoriert worden, ohne daß unser kleines Chor sich un geberdig dazu gestellt hat. Es war just zur Zeit, als Sachsen zu Anfang der sechziger Jahre neue kupferne Fünspfenniger hatte prägen lassen. Das sehr handliche, funkelnagelneue Geldstück