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mit seinem hohen Turm und seiner kunstgeschichtlich ganz besonders berühmten Freitreppe, die durch ihren geräumigen Altan, ihr vom Böhmenkönig Matthias Corvinus gestiftetes Stadtwappen und durch ihre mit Schwert und Wage und mit »»verhülltem Gesicht dargestellte, frei auf einer prächtigen korinthischen Säule sich erhebende Frau Justitia zu den voll endetsten Meisterwerken der deutschen Renaissance zählt. Am Reiterstandbild Kaiser Wilhelm I. vorbei und über den Obermarkt weiter wandernd, gelangten wir durch das Reichenbacher Tor zum Kaisertrutz, dem heute alsHaupt- wache und Zeughaus dienenden Überrest und einstigen Kern punkt der Mittelalterlichen Stadlbesestigung, der seinen Namen der Tatsache verdankt, daß im dreißigjährigen Kriege sich die kaiserlichen Truppen an ihm vergeblich zerrannt haben und infolgedessen kläglich abziehen mußten. Nun wandten wir uns nach dem Norden der Stadt, dem „Heiligen Grabe" zu. Darunter ist eine Siistunq des ehemaligen Görlitzer Bürgermeisters Georg Emerich (1422— 1507) zu verstehen, die dieser gottesfürchtige und mit großen irdischen Reichtümern gesegnete Mann hat erbauen lassen, nachdem er zweimal die heiligen Ställen in Jerusalem be sucht hatte. Dabei war er von einem Maler und einem Bild hauer vegleiretgewesen.dieinseinemAustragealleinIerusalem damals gezeigten Andenken an Christi Leiden und Sterben abmessen und aufs genaueste sich einprägen mußten. Während die Görlitzer Haupiktrche (in der Nähe der Neiße gelegen) den Ort des Palastes des Pontius Pilatus bedeuten soll, sind die ungejähc 700 Meter westlich davon unter dem Namen des Heiligen Grabes errichteten Baulichkeilen als Ort der Kreuzigung und Grablegung gedacht. Heut ist derZusammen- hang der beiden geweihten Stätten infolge der dazwischen entstandenen Straßenzüge etwas undeutlich geworden. Doch sind noch 2 kleine Kapellensäulen am Wege erhalten, die die beiden Stellen anzeigen, wo Christus unter der Last des Kreuzes zusammengevrochen ist, sowie ein kleines Häuschen mir Doppelgievel, das die Wohnung des unbarmherzigen Ahasoerus bedeutet. Als wir an Ort und Stelle waren, wurde uns von der jugendlichen Führerin erklärt, daß die 3 großen Linden vor dem Kirchlein des heiligen Grabes die Steilung der 3 Kreuze aus Golgatha bezeichnen, während sie uns im Innern der zweistöckigen Kirche allerhand Er innerungen vorsührte, wie das Richlzimmec des Hohen Rates mit dem Gelükaslen, aus dem Judas seine 30 Silberlinge erhalten hat — den Saa>, wo das Osterlamm gegessen wurde — den Spieltisch der Kriegsknechte, aus dem sie um des Heilands Rock gewürfelt Huven — die durch ein vergittertes kleines Bauwerk angedeulete Stelle, wo der Leichnam des Herrn gewaschen und gesalbt worden ist — und endlich das Grabgewölbe selbst in einem mit kuppelartigem Turm ge krönten, abseits liegenden besonderen Gebäude, an dem auch die steinernen Sitze der Grabeswächier und der Auferstehungs engel, die Eindrücke der hohenpriesterlichen Siegel und die Spezereigesaße der 3 Marien nicht jehlten. Das ganze nicht allzugrotze Grundstück ist von Wiesenflächen und Gebüsch gruppen durchsetzt, während Erinnerungen an den Stifter und seine Familie an manchen Stellen die Einheitlichkeit des Eindrucks eher stören als heben. Als Andenken an den Besuch dieses immerhin recht interessanten Ortes kauften wir uns fast jedes einen aus Zinn gegossenen Silberling, dessen beiderseitige hebräische Inschriften „Das heilige Jerusalem" und „Ein Schekel Israels" bedeuteten. Nunmehr lenkten wir unsre Schritte zur doppeltürmigen ö Schiffe nebeneinander enthaltenden Petersktrche, auf deren steilem Kupferdache ein spitzes Dachreiterchen keck gen Himmel ragt. Während wir an der Südseite dieses ehr würdigen Gotteshauses vorübergingen, erzählten uns zwei Görlitzer Straßenjungen, getreulich einander ablösend, in leierndem Tone eine Schauergeschichte von einem Dachdecker, der einst von der bedeutenden Höhe des Dachfirstes herab gestürzt, und bezeichneten ganz genau die Stelle, wo der Körper des Unglücklichen auf das Straßenpflaster auf geschlagen sei. Als sie auch noch die Zahl der Orgelpfeifen, das Gewicht der 7 Glocken und einige andere Angaben über die Kirche heruntergeschnurrt hatten, stellten sie sich, ein Dank geld erwartend, vor unsre Schar. Wer dächte dabei nicht an die neapolitanischen Lazzaroni oder an die Bakschisch heischende morgeniändische Jugend! Den Kirchberg hinunter ging es nun über die aus Stein und Eisen erbaute neue Neitzebrücke und dann am jenseitigen östlichen Ufer stromaufwärts, ein prächtiges Stadtbild zur Rechten, durch verschiedene kleine Gäßchen und zuletzt durch buschreiche Anlagen hinaus zur Oberlausitzer Ruhmes- Halle. Diese ist dem Andenken der Errichtung des Deutschen Reiches gewidmet und durch einmütiges Zusammenwirken der preußischen und sächsischen Oberlausitz erstanden und er schließt jedem Besucher unentgeltlich die Schätze ihrer reichen heimatgeschichtlichen Sammlungen. Ein Bau, dessen sich keineResidenzstadt zu schämen brauchte, ragt sie, architektonisch aufs reichste ausgeschmückt und von einer 42 Meter hohen Obcrlichrkuppel gekrönt, empor als ein Sinnbild bürger licher Kraft und Tüchtigkeit. Die Hauptinschrtst der Stirn seite lautet: Den Gründern des deutschen Reiches die dankbare Oberlausitz. Ist man die breite Treppe hinangesliegen und durch den Säulenvorbau hindurchgeschritlen und öffnet die mächtigen Flügeltüren, jo ist man überrascht und überwältigt von oer Großartigkeit der den Mutelraum einnehmenden eigentlichen Rahmeshalle. Marmorstujen führen zum Doppelstandbild der beiden Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III. empor, das feine Beleuchtung von oben her empfängt, während ringsum Hermenvüsten der bedeutenderen deutschen Bundesfürsten, an vorderster Stelle die beiden sächsischen Könige Johann und Albert,ausgestellt sind.Bon all dem andern retchenSchrnuck der Halle feien nur zwei Marmorreltefs erwähnt, die in wunderbarer Weichheit und edler Kraft den Auszug in den Krieg und die Heimkehr darstellen. Wir teilten uns nun in mehrere Gruppen, um die in den Seilenraumen des Unter-, Mittel- und Obergeschosses ent- hcUlenen Sammlungen getrennt zu besichtigen. Aus der Fülle des Geschauten einzelnes heroorht.ben zu wollen,wäre müßiges Beginnen; was die betreffenden Lausiger Vereine und Ge- selftchaften in der Pflege der Altertumskunde und der Heimat- llchen Vorgeschichte.berKunst und des Kunstgewerbes geleistet Haven, das ist hier übersichtlich zusammengestellt und ver- dlent höchstes Lob. Auch Elnzelperfonen und Behörden haben sich als mächtige Förderer des hier in die reizvollste Er scheinung tretenden Gedankens der Gemeinnützigkeit be- wiesen. Auch besteht die Aoficht, die jetzt im Erdgeschoß unter- gev-achten, wegen ungünstiger Beleuchtung vielfach nicht recht zur Geltung kommenden volkskundlichen Schätze in besonders zu errichtende, zweckentsprechende kleinere Bauten üoeizuführell und so allmählich ein Heimatmuseum grok- zügigster Art entstehen zu lassen. Als wir des Schönen genug in uns ausgenommen hatten, verließen wir den Prachtbau wieder und wanderten in Gottes freier Natur an der Neiße weiter nach Süden.