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Wie Steine reden können In der Gruft geliebt zu sein, Ist der schönste Leichenstein. as dem Frauenkirchhof zu Zittau steht ein Denkmal, dessen Entstehung eine eigenartige Geschichte aus. zuweisen hat. Es befindet sich rechts von der Frauen kirche aus einer Anhöhe, von wo aus es hoch über andere Leichensteine herausragt. Eine Traueresche läßt ihre Zweige schützend über dieses ebenso sinnreiche, wie künstlerisch ausgesührte Monument herab- hängen und würde es ganz beschatten und in ihre Arme nehmen, wenn sie nicht von der ordnenden Hand des Friedhofmetsters zurückgeschnitten würde. Trotz seines Alters ist das früher gewiß blendend weiße Gestein nur wenig verwittert, es hebt sich noch hell leuchtend vom blauen Himmel ab. Bon künstlerischer Bildhauerhand dreiteilig entworfen, weist die Dordersette drei Namen einer Familie Scholze aus Olbersdorf auf. Und diese sind links: Johann Toitfried Scholze, weil. Mühlenbesttzer in Hainewalde und Olbersdorf, geb. den 23. Juli 1808 in Kittlitz bei Löbau, gest. den 7. Juni 1865. Rechts ist der Name seiner später verstorbenen Gattin an gebracht und die ganze Seite mit frommen Bersen ihr gewidmet, in der Mitte der Name ihrer einzigen Tochter, die als ver heiratete Frau bei ihren Eltern verstorben ist, darunter Brrse, die den Trauernden Trost zusprechcn. Unter dem Namen des Mühlenbesitzers lesen wir: Wann wird die letzte Stunde schlagen? Das soll der Mensch sich täglich fragen. Gott hat die Seinen nie verlassen, Er weiß, was ihnen frommt und nützt. Am Grabe muß der Mensch sich fassen, Der Vater Hilst, er wacht und schützt. Ganz unten am Fuße des Denkmals ist in der Mitte quer herüber der Pers etngemeiselt, der oben angeführt sicht. Das Wort von der überdauernden, menschlichen Liebe, das gleichsam als Überschrift dieser kleinen Skizze gelten kann. — Zwei Schmetterlinge, die ihre Schwingen entfalten, ver- sinnbildlichen das bekannte Symbol der Auferstehung. Uber allem aber erhebt sich als Abschluß die Gestalt des Heilandes, die mit der rechten Hand gen Himmel weist und in der linken ein Bibelbuch mit dem Kreuzeszeichen trägt. Zwei Engel schweben rechts und links neben der Lhristusfigur und schauen anbetend zu ihr empor. — Die Hinterwand des Denkmals zeigt aus der einen Seite die Namen der fünf Kinder, die in Hainewalde beerdigt liegen, und auf der andern Seite den Namen der Mutter des Mühlen besitzers. Dazwischen steht eine Engelsgestalt, die aus dem einen Arme ein Schäflein trägt und in der andern Hand einen Palmenzweig hält. — Wie vielsagend ist dieser schöne Leichenstein. — Von wie- viel Freud und Leid könnte er erzählen. Wie mahnend und erhebend dringen die darauf angebrachten Verse an unser Ohr. Möchten sie doch ein Echo in unseren Herzen erwecken! Werden die Figuren nicht lebendig und zu Wegweisern hinüber in die Ewigkeit? Aber nicht nur der kalte, tote Stein redet, nein, auch der schönste Leichenstein, der sich in der dankbaren Liebe offenbart, kann hier reden. So lasten wir uns noch etliches davon erzählen. Johann Gottfried Scholze, im Dolksmunde „der Scholze- müller aus Olbersdorf" genannt, war ein gut bekannte- Original. Er besaß früher eine Mühle in Hainewalde, wo er sich einen Arm zerquetschte und seitdem war er einarmig. Trotzdem trug er seine Getreide- und Mehlsäcke noch wie jeder andere und brachte sie auch allein ganz geschickt auf die Achsel. So trug er auch die Lasten des Lebens stark und mutig mit dem starken Arm des Glaubens und des Gottvertrauens. Er kam fast zu jedem Gottesdienst nach Oybin In die Kirche. Dieser fand ja nur alle 14 Tage statt, weil er mit Lückendors abwechselte, was ja wohl heute noch so ist. Scholzemüller hatte seinen Stand links neben der Kanzel in der Mitte der Niederempore. Do hatte er sein Sonntagsgewand an, Im Winter erschien er im großen, molligen Pelze. Außer dem Kirchgang brauchte er seine Sonntagskleider wenig. Er lies immer in seiner mehlbestaubten Müllertracht herum: Lederpantoffeln und kurze Jacke. Selbst wenn er Sonnabends nachmittag einen Gang nach Zittau besdrgte, eilte er nur im Müllergewand aus dem Hinterweghose nach der Stadt. Er war ein Mann von schnellen Entschlüssen. Das Außere konnte ihn nicht davon abhalten, wenn er etwas vor hatte. Er wollte nicht mehr scheinen, als er war. Alles war echt an ihm und wahrhaftig. Möchten sich das solche zu Herzen nehmen, die die Menschen nur nach dem Äußeren be- urteilen, wie es jetzt Sitte ist. — In diesem, seinem Müllerkostüm ist er auch eines Tages nach Dresden gefahren, um sich dort eirf Denkmal für sich und die Seinen bei einem dortigen Bildhauer zu bestellen. Letzterer hatte erst gar kein Vertrauen zu dem Besteller. Seine teure Arbeit wollte er doch nicht an einen zahlungs unfähigen Betrüger verschwenden. Zum Glück besann er sich aber darauf, daß in seinem Hause ein junger Mann wohnte, der aus dem Orte stammte, wo der Besteller des wertvollen Objektes her sein wollte. Dieser würde die Wahrheit feststellen können, so hoffte der Bildhauer. Er verstand, sich heimlich zu erkundigen, ohne daß es der Scholzemüller merkt«. Als der Mißtrauische erfuhr, daß es wirklich der reiche Scholzemüller aus Olbersdorf sei, der sicher bezahlen könne und es auch tun würde, war er zufrieden. Weiß, wie sein Gewand, ist dann auch sein Denkmal geworden. — Wer in einfacher Kleidung und barfuß zu ihm kam, der gefiel ihm, und er sprach lieber mit ihm, als mit einem, „der staatlich aufzog", wie der Lausitzer sich ausdrückt. — Im Sommer schlug einmal der Blitz in ein Haus in Oybin und es brannte ab. Wie damals üblich, ging der Abgebrannte in den Dörfern der Umgegend zu den wohlhabenden Leuten und bat um eine kleine Unterstützung. Ec war auch beim Scholzemüller, welcher ihm einen Taler gab. Als er sich dann bei Kindern, die von Oybin kamen, um Brot bei ihm zu holen, erkundigte, sagte er: „Ich hätte Ihm gern mehr gegeben, wenn aber einer in einem Vorhemde! und blanken Stiefeln zu mir als Bettler kommt, das gefällt mir nicht." — Die Kinder gingen trotz des weiten Weges sehr gern nach Olbersdorf zum Scholzemüller Brot holen. Sie mögen sich auch obiges Gespräch gemerkt Haden, denn sie gingen dann immer barfuß zu ihm. Und solche hatte der Scholzemüller gern. Mit denen war ec sehr gut. Er schenkte ihnen manchmal 10 oder 20 Pfennige. Zu Weihnachten bekamen sie auch noch mehr zu einem Wachsstöckel, die manchmal dann so schön waren, daß es die Kinder zum Verbrennen „reute". Ein Knabe hat sich solche vom Scholzemüller sogar so lange ausgehoben, bis sie dann seine eigenen Kinder verbrannten. O Bescheidenheit und Sparsamkeit, wann wirst du wieder im Volke erwachen? Alle Leute, die das Brot beim Scholzemüller holten, er- hielten vor jedem Feste einen halben Dorskuchen, den er sogar demjenigen aushob, der aus irgend einem Grunde verhindert war, zur rechten Zeit zu kommen. Auch jeder andere, der eine Kleinigkeit bei ihm kaufte, z. D. ein Mäßet Mehl und der- gleichen, erhielt ein halbes Viertel Kuchen. Daß dieses viele aus Sachsen und Böhmen benutzten, ist begreiflich. Der Scholzemüller hatte infolgedessen tagelang vor dem Feste Kuchen zu backen — nur zum Verschenken. Das waren nicht nur dir guten, alten Zeiten, sondern gute Menschen brachten gute Zeiten. Auch viele gute Stiftungen für Arme hat der Scholzemüller hinterlassen. Wer Liebe säet, der wird auch Liebe ernten. Wir wollen ihm zu seinem nun bald wiederkehrenden Geburtslage ein still Gedenken weihen und so wird auch der schönste Leichenstein bet ihm nicht fehlen