Volltext Seite (XML)
er habe nicht richtig geschnürt und müsse es noch einmal machen. Und der andre Schuh ist auch nicht in Ordnung. „Soll ihn doch ausziehn, will mal nachsehen," meint er. „Soll ihn selber ausziehn," lacht sie. Und richtig, er kniet sich hin, zieht unter sortwä hrendem Gequassel das kleine, hohe Stieleichen aus und untersucht es. Auch den Strumpf. „Natürlich," sagt er und streichelt zärtlich das Füßchen, „natürlich, ganz naß. Wollen ihn ausziehn und trocknen." Aber da macht sie nicht mit. „Nischt, Kleener," sagt sie. „Stiefel anziehn, Marsch." Gustl murmelt was von Krankwerden u. dergl., folgt aber und zieht das Sliefelchen wieder an. °/<I1 zeigt die Uhr. Das Mädchen will zahlen. „Ah, nickt doch, noch viel Zelt, hat jeden Tag Verspätung," wehrt der Gustl. „Dann rasch noch einen Kognak!" ruft sie übermütig. Wie flink da unser Gustl lausen kann! Gar nicht zum Wiederkennen, der alte „Süßhahn". Jetzt kommen ein paar Relsende. Gustl wirst ihnen einen langen, strengen Blick zu. „Unoersckäwt, grade heute!" brummt er. Nun ists zu Ende mit dem Schäkern. Er hätte gewiß noch einen Kuß erobert. Ganz sicher. „Abwarten", knurrt der Gustl, als die Gäste Bier bestellen. Widerwillig geht er an den Bierhahn und füllt die vier Gläser. Da reißt ein Eisenbahner die Tür auf und schreit: „Abfahrt nach Dresden." Gleichzeitig donnert der Zug herein. Die Reisend n stürzen an den Sckankiisch, werfen ihre Scheine hin, nehmen ein paar hastige Scklucke von dem Bier und lausen hinaus zum Zuge. Als Gustl nach der Sosaecke schaut, ist die Maid verschwunden. Bor Schrecken bleibt ihm der Mund offen stehen. Er springt so schnell er kann hinaus aui den Bahnsteig und rennt gerade seiner Miene in die Arme. Eben dampft der Zug ab. Am Fenster eines Abteils steht die Jungfer und wirst.ihm eine Kußhand nach der andern zu. Der Geprellte und der Kavalier ringen in ihm. Aber nur einen Augenblick. Dann siegt seine angeborene Galanterie. Er erwidert die Küsse und achtet nicht aus seine daneben- stehende Frau. Erst als der Zug davon ist, kommt er „zu Verstände". Drinnen in der Gaststube gibt es ein scharfes Verhör. Als gewissenhafter Geschäftsmann hat er die verkauften Getränke gebucht. Kusse macht seine Frau. Uber 50 Mark fehlen am Bestände. Die ^Miene tut einen Schwur: „Dich alten Süß- Hahn kann ich nie mehr allein lösten." IMMIIIIINIIIIIIlllttlMNIUMWIUIIIlUIIINIIUUNIUIirUUIMIIIIIIIIINIIIIMINNIIIIINUIIMUIIM Lausitzer Schnurren Was dieSpießitzer vondenMießitzernerzähsen Von W. Otto Ullinann - Dresden ist eine alte Geschichte, daß sich nicht alle Nachbarn MW gut vertragen. Aber wie die Spießitzer mit den Mießitzern umgehen, das geht denn doch zu weit. Die Spießitzer bilden sich nämlich wirklich ein, sie seien Großstädter, seit sie ihrer zehntausend geworden, und wollen sich lustig machen über die sechshundert Mießitzer, als ob Mießitz keine sächsische Stadt wäre und der Mießitzer Markt.platz nicht doppelt so groß als der Spießltzer. Das muß anders werden! Und wenn ich bloß zwei oder drei finde, die mit mir fühlen, will ich einen Verein gründen zur Ehrenrettung der Mießitzer. Aber ich bin gewiß, daß sich Tausende melden würden, wenn sie nur wüßten, was alles die Spießitzer von den Mießitzern erzählen. Da will ich denn ein paar Beispiele bringen: WiedieMießitzereinenneuenBürgermeisterwählen Die Mießitzer wählen selten einen neuen Bürgermeister. Aber wenn sie es tun, gehen sie genau vor, denn es ist nickt leicht, einem so großen Gemeinwesen oorzustehen. Einen Fremden mögen nun die Mießitzer nicht. Da müssen sich daun alle einheimischen Männer zur Wahl stellen. An einem Sonntag vormittag sammeln sie sich am Mießitzer Rathaus. An dem lehnt vom Dach herab schräg auf den Markt ein mächtiger Balken. Die Kandidaten steigen über die Bodentreppe hinauf aufs Dach, und nun rutscht einer nach dem andern auf dem Balken herab auf den Markt. Da weiß jeder seine Pflicht, da schrickt keiner zurück, auch wenn sich auf der steilen Bahn Hindernisse in den Weg stellen. Es gilt das Wohl von Mießitz. Im Sonderstübchen des Ratskellers aber wartet der Doktor. Und jeder, der seine Niederfahrt vollbracht, stellt sich ihm vor, denn wer die Kraft hat, das Meiste zu ertragen für die All- gemeinheit, ohne mit der Wimper zu zucken, wer den größten Holzsplitter mitbkingt im Gebein, ist fortan von Mießitz der Bürgermeister. Warum dieMießitzer so wenig Steuern zahlen Vom Steuerzahlen sind die Mießitzer niemals Freunde ge» wesen. Vielmehr waren sie immer recht zufrieden, wenn sich eine löbliche Stadtverwaltung möglichst wenig aus ihre Steuer kraft stützte. Und so haben denn die Mießitzer Sladtoäter von Stadtwegen sich durch den Kopf gehen losten, wo wohl Geld zu holen sei, ohne den geschätzten Bürgern zu nahe zu treten. Nun müssen die Mießitzer Sladtoäter über den Markt oehen, wenn sie zur Sitzung ins Rathaus wollen. Und der Markt ist wirklich sehr groß. Und der große Markt ist mir Tausenden von holprichten Steinwürseln gepflastert. Und zwischen den Stein würfeln glänzt fette Mießitzer Erde in dicken, schwarzen Streifen. Und wenn das Frühjahr kommt, sproßt aus diesen schwarzen Streifen lichtgrünes Gras. Und das Gras wächst und wächst in den Sommer hinein und verdeckt endlich die holprichten Steinwüriel, bis der gepflasterte Mießitzer Marktplatz eine schöne grüne Sommerwiese ist. Das alles hat nun auch ein Hochweiser Mießitzer Swdtvater gesehen und vor einer löblichen Ratsversammlung klüglich auseinandergesetzt uns beleuchtet, woraus solche Ratsversammlung beschloß und anordnete, all jährlich rechtzeitig im Amtsblatt auszuschreiben und darnach zu halten: „Die Grasnutzung auf dem Mießitzer Markt soll für das lausende Jahr am Sonntag Rogate nach Schluß des Gottes dienstes im Ratskeller an den Meistbietenden verpachtet werden." Und nun behaupten die Spießitzer, es zögen nur deswegen sovtele Leute nach Mießitz, weil sie wegen des reichen Ertrags der Grasnutzung auf dem Maikte saft steuerfrei säßen. Wie die Mießitz er ein en Donners tag hab en wollen Mit der hohen Staatsbehörde haben die Mießitzer immer in gutem Einvernehmen gelebt, bis solche eines Tages für ihre berechtigten Wünsche kein Ohr mehr hatte. Einmal in der Woche strömen die Bauern und Häusler aus der ganzen weiten Umliegenschast nach Spießitz zu Markte. Und die Spießitzer nennen ihren Donnerstag einen goldenen Tag, weil er Markt tag ist und weil die Bauersleute nicht nur ihre Schweine und Körner, Butter, Grünzeug und Eier zu Markte bringen, sondern weil sie das gelöste Geld wiederum in ihren Schuh» und Kleidergesckäflen, in Spezerei- und Kramläden und Gemischt warenhandlungen und nickt zuletzt auch in ihren Gasthäusern zurückzulosten pflegen. Also die Spießitzer sind voll des Lobes gewesen über ihren Donnerstag. Da haben denn die Mießitzer gedacht, daß es nur Rechts sei, wenn sie auch einen so einträglichen Markttag hätten. Ein löblicher Siadtrat von Mießitz hat sich darum an eine hohe Staatsbehörde gewandt und untertänigst gebeten, eine hohe Behörde wolle von Rechtswegen der Stadt Mießitz einen Donners tag verleihen. Nun ist aber von besagter hoher Behörde der merkwürdige Bescheid eingegangen, eine hohe Behörde könne sich wohl der Einsicht nicht verschließen, daß die Mießitzer — wie die Spießitzer — eines Donnerstags bedürften, doch könne die Einführung eines zweiten Donnerstags wegen offensichtlich verwirrender Folgen nicht stattgegeben werden, zumal einzig von Mießitz, nicht aber von Spießitz oder anderen löblichen Stadtverwal tungen dahingehend beantragt worden sei.