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ns Gbsrlauflhov Helmatzeitung Ae.iL Was wollte er eigentlich? Fliehen? Wirr blickte er um sich. Weshalb fliehen? Um weiter zuleben in Lug und Trug. Fliehen? Ja, ja, aber fort, ganz fort, nichts mehr sehen und hören von dieser Welt. Tot, tot, das einzige, was ihm übrig blieb, das einzige, was Ruhe und Frieden gab. Da warf er Bündel, Hut und Stock weit von sich, stürzte empor, und in langen Sätzen rannte er querfeldein. Er hörte nichts von dem erschrockenen Rufen und Schreien hinter sich. Er dachte nichts als das Eine. Selma stürzte hinter ihm drein, bis ihr die Kräfte ver sagten, während Christian immer weiter lief, dem Birk teiche zu. Er stand vor dem Gebüsch. Sein Atem keuchte. Die Beine zitterten. Wie ein Trunkener stolperte er zwischen den Bäumen hin. Vor dem Wasser stand er still. Ein sekundenlanges Zögern! Die Furcht vor dem Was dann! Sekunden nur, aber ein verfehltes Leben zog an ihm vorüber, Jahre, Jahre. Es mußte sein. Ein stöhnender Schrei, ein Satz. Die Wasser schlugen tosend empor. Langsam glättete sich der Spiegel. 17. Kapitel. Wenige Tage waren seitdem verflossen. Der Tod des Birkhofknechtes hatte weiter kein Aufsehen gemacht, um so ruhiger würde die ganze unliebsame An gelegenheit abgewickelt werden, da er sie eigenmächtig ver einfacht hatte. Im Birkhof saßen Lena, Felix und Heinrich am Kranken bett und freuten sich über die schnelle Wendung zum Guten, die der Mutter die Krankheit genommen hatte. Mit dem Schwinden des Alpes, der fünfundzwanzig Jahre auf ihr gelastet, waren auch ihre Lebensgeister wieder neu gestärkt erwacht. Es waren ruhigfriedliche Stunden voll ernsten Glückes, die von den vier Menschen hier durchlebt wurden. Und was der Kranken die Zeit, die sie hier tatenlos ver bringen mußte, viel schneller vorbeigleiten ließ, waren die Krankenbesuche. Scheu und zaghaft waren einzelne Dorfbewohner auf die Kunde von ihrer Besserung nach dem Birkhof gekommen, hatten mit verlegenen Mienen und wortkarger Zunge am Krankenbett gesessen, und übten trotzdem aus das Befinden der Bäurin eine bessre Wirkung aus als alle Arznei. Das Kainszeichen war von ihr genommen. Der Bruder hatte seine Heimat wiedergefunden. Ein friedlicher Lebensabend strahlte mit mildem Sonnenglanze den Geschwistern entgegen. Und vor ihnen stand die Jugend mit verschlungenen Händen, und ihre Augen strahlten voll jungen Glückes und froher Lebensfreude. Ende. „Ui-ui!" Bon 3. Alfred Berger m bekannten Zotteltrab einer besetzten Droschke kommt die Frauensteiner Straße herab ein vierrädriger Tafel wagen, von einem müde dareinschauenden Schimmel gezogen. „Ui-ui, — ui —ui, — ui!" Kurze, barsche Ausmunterungsrufe hört man die Straße ent lang schallen, und der jedesmalige Rus ist unvermeidlich mit einem kurz-n, scharfen, ruckartigen Anziehen der Zügel ver bunden. Mechanisch, vollkommen teilnahmlos ruckt das Pferde dulderhaupt mit und die Ohren bammeln ruhig nur nach vorn über. Warum soll der Schimmel auch seine Ohren spannend nach hinten legen — heut« schon lange nicht mehr, — srüher ja. Da horchte dys elastische Ohr auf den Zuruf seines Herrn und bäumte sich, in seiner Pserdeehre berechtigt verletzt, wenn es beim Trabe mit vollem Wagen auch noch den überflüssigen Zuruf: „Ui —ui" hörte; und der Zuruf kam mit solcher Be- stimmtheit, wie Tag und Nacht, Sommer und Winter wech selnd wiederkchren. Aber heute; es konnte noch so hoffend nach hinten lauschen, es blieb dabet: „Ut —ui." Der Kutscher, gleichzeitig der Fuhrweiksbesitzer, ist ein mittel großer Mann in den vierziger Jahren. Schwarze, stetig hin- über und herüber blitzende, beinahe stechende Augen, in krause Falten gezogene Stirn und ein nach allen erdenklichen Gegenden hinstrahlendcr, wild wuchernder Schnauzbart bilden insgesamt ein unheimlich bärbeißiges Gesicht. Aber sonst ein ganz harm loser Erdenbürger. Ui —ui, — ui—ui! Die kräftigen Beine, rechts baumeln sie seitwärts vom Wagen herunter in die Lust, stecken in halbhohen Schaftstiefeln. Den Körper deckt eine lange Schürze, die srüher wohl mal eine blaue gewesen sein mag, Heute erinnert ihr „graues" Alter tatsächlich an grauer Vergangenheit herrlicher, besserer Tage. Während nun die eine Hand den Zügel regiert, schwingt die andere den kurzen Peitschenstiel drohend, aber schwingt und droht nur, schlägt aber nicht zu. Und das weiß unser alter Grauschimmel, wenigstens vermute ich dies au» dem ewig gleichmäßigen Trabe und den immer nur nach vorn bammeln den Ohren zu behaupten. Ui—ut, — ui-ui! Ja, unser merkwürdiger Fuhrmann Martens! Er schwingt sein Peitschenrohr eben nur, weil ein Kutscher eine Peitsche haben muß, um ein richtig gehender Kutscher zu sein, und das weiß das Roß. Das ganze Gespann, mit Mann und Roß und Wagen, deckt eine Schicht seinen Mehlstaubes, der den Säcken aus dem Wagen entweicht. Bolle, pralle Säcke sind dies nun keineswegs, nein, nein, nur leere Säcke sind es, die unser sonderbarer Fuhrmann geladen hat. Diese holt er, leer wie sie sind, überall zusammen und macht durch Bereitung von Futtermitteln aus dem rest- ltchen Mehlstaub erst mal unfern durch hervorragende Unrein- ltchkeit ausgezeichneten Haustieren und dann damit uns selbst fette Tage. „Ui —ui, — ui—ui, — ui! ui —ui!" Diesmal kam der gewohnte Aufmunterungszurus aber nicht vom braven Martens, und trotzdem bammeln die Pserdeohren gewohnheitsmäßig nach vorn, auch diese Art der Rufe bot nichts Neues. Mir schien fast, al» zuckle es belustigt um das breite Pferdemaul. Die jetzigen Töne waren keine solchen, die sich einer rauhen Fuhrmannskehle dumpf rollend entringen. Das waren diesmal jugendliche Stimmen in allen höheren Ton- arten, die dem Rosselenker lachend den im ganzen Städtchen gut bekannten Rus nachzuahmen versuchten. Bald pflanzte sich der Ruf fort, und aus den verschiedensten versteckten und un- versteckten Gegenden kommt nun der typische Rus: „Ui —ui, — ui —ui, — ui —ut, — ui —ui!" Dieses Scherzo zwang auch mir ein belustigendes Lächeln auf, erstarb aber bald in meinen Zügen, als ich die schwarzen Augen des Ui-rufenden weißbestäubten Fuhrmanns nach den Rich tungen der meist unbekannten jugendlichen Ruser rollen sah, und in den unheimlichen Walroßbart grimme Worte sich ver- lieren hörte, die mit einer Schmeichelei auch nicht im aller entferntesten etwas gemein hatten, und dann natürlich: „Ui —ui, — ui —ui." Weiter rollt das wunderliche Wäglein, verschwindet um die Ecke des „Preußischen Hofes" in der Poststraße. Nur ab und zu trägt die Lust das abgerissene „Ui —ui, ui —ui" zurück.