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Vom Petriturm Eine heimatliche Plauderei mit einem angehängten Gedicht Bon Max Zeibig, Bautzen ist nicht allzulange her, da ereignete sich, wie das ja NWV/j so oft vorkommt, bei meinen Jungens ein heiteres Stücklein. Die Angehörigen der Begabtenklasse, die sich wöchentlich zweimal nachmittags einfanden, um von mir in die sonderbaren Geheimnisse der englischen Sprache ringesührt zu werden, waren vollzählig erschienen. Oder nein! Eie waren noch nicht vollzählig erschienen! denn als wir in den ersten süns Minuten wiedcrholungsweise fleißig und über zeugt konjugierten: I stove no monozr — ich habe kein Geld ^ou stgve no mone^ — du hast kein Geld 3. 8. o. (will sagen usw.!), klopfte es, und herein trat ganz erhitzt und etwas beängstigt einer meiner Schüler. Wir hielten also pflichtgemäß im schönen Konjugieren inne, um seine Ent schuldigung zu hören. Und da kam sie! „Ach, entschuldigen Sie bitte, Herr Z., daß ich zu spät komme, ich mußte eist „dreie" schlagen. Die Wirkung dieser famosen Entschuldigung war prächtig. Ich lochte aus Leibeskräften (das ist zu Zeilen gar nicht so unpädagogisch. Man soll ost mit seinen Kindern herzlich lachen!), und meine Jungens lachten natürlich im ganzen Brustton der Überzeugung mit. Weniger zum Lachen schien es meinem kleinen Freund und Spätling Bergmann, der, des Türmers Sohn von St. Petri, tatsächlich eist hatte „dreie schlagen" müssen, und weil dieses „Dreieschlagen" eine dem Gemeinwohl der Stadt Bautzen dienende Tal war, sah ich den Enlschuldigungsgrund als hin reichend an; denn man bedenke, wenn es an besagtem Nach mittag nicht „Dreie geschlagen" hätte, was sür Folgen wären möglich gewesen! Die Polizei hätte aus den Turm telephoniert: „Warum schlägt es nicht Dreie?" Manch Stelldichein wäre schließlich verpfuscht gewesen! Manch Kaffeekränzchen hätte nicht ansangen können! Manch ach nein, der schlimmen Möglichkeiten wären zuviel gewesen und selbst der alte Petriturm hätte sich doch sehr wundern müssen. Ja, der alte Petriturm. Der war gleich unser Gespräch. Und mir fiel eine Sünde ein. Noch nie war ich da oben ge wesen. Es ist ja so: In der Fremde, da kraxeln wir auf jeden Berg, jeden Turm, da sehen wir jedes Museum an, aber in der Heimat gehen wir ost an so vielen Schönheiten fremd vorüber. Am I. Mai tat ich Buße. Liebe Freunde, von Dresden über den Czorneboh zu mir kommend, führte ich, um ihnen den Frühling in der alten Stadt zu zeigen, wie er aus den Ruinen blüht in wunderbarer Pracht. Und um sie eine durch wachte Nacht ganz vergessen zu lassen, stieg ich mit ihnen zur Abwechslung die 214 Stufen empor zu des Turmes Spitze. Spitze! Das heißt nicht ganz: denn hart unter des Turmes Spitze ist des Türmers heilig hohes Reich. Schön scheint uns dieses Wohnen hoch über Lieb und Leid der Menschen in der Stadt, schön, wenn wir zu den acht Fenstern in der Runde hinausschauen zu den blauen Bergen, zu der fernen Heide, in die Gassen und aus die Märkte, schön auch, wenn wir zufällig in einen wohlabgeschlossenen Hof seh«', wo die wendische Magd eben mit Eimern geht, um die wohlgenährten Schweine zu füttern, die dann für des glücklichen Besitzers leibliches Wohl redlich sorgen, so schön, daß man unwillkürlich an den lieben Kindervers denkt: „Ein schwarzes und ein weißes!" Ja, schön isi's da oben. Schön mag es auch sein, wenn in stürmischer Wetternacht flammende Blitze um den alten Gesellen zucken und feurige Schlangen zur Erde zischen, wenn der Donner poltert und grollt, schön und doch schaurig, wenn man dabei an die Gefahr denkt, die den Turm und seine Gaffen ost bedroht. Wie oft mögen Sturm und Wetter um diese Steine gelobt haben! Wenn sie reden könnten, würden sie sagen: 999 Gras Ido von Rochlitz, dritter Bischof von Meißen, gründete hier die erste Kirche. 1213 ward sie abgebrochen und der Neubau 1221 vollendet. 1441 zerstörte ein schreckliches Feuer Kirche und Turm und ward alsdann mit Fleiß und Liebe wieder erbaut. Ja, so ein Turm hat seine Geschichte! Er hat aber auch Geschichten, o, und weiß gar manches zu erzählen! „Ei, sagt er, wieviel verliebte Leute sind schon hier heraus gestiegen! Da haben nicht bloß die Glocken geklungen. Aber nein, ich darf nichts verraten. Die Dohlen, die in den Mauern nisten, schwätzen genug. Ich will schweigen. Ich bin stumm. Wollt ihr aber mehr wissen, so liegen aus der Kommode der Frau Türmerin zwei dicke Bücher, die erzählen mancherlei." Ich hab mich etwas darein vertieft, und was ich wert fand, hier ausgehoben: Da sind allein vom 31. Mai 1909 bis 13. Februar 1916 4526 Personen auf dem Turm gewesen, von Fern und Nah, ja, sogar Russen und Franzosen haben sich eingeschrieben. Wenn es dem Deutschen wo recht gefällt, schreibt er Berse. Manchmal sind sie zwar so, daß das Wort paßt: „Berse, wie er se nicht besser machen kann!" Manchmal aber finden sich doch hübsche Gedanken in eben solcher Form, und ein gutes Zeichen ist es, daß auch der feucht- goldene Humor, der köstliche deutsche Geselle, hier oben sprudelt. Sinnig schon ist die Widmung auf der ersten Seite des Buches: „Fest stehst du auch heute, aiter Geselle, umbraust von Stürmen, durchzuckt von Blitzen, ein Mahnen verklungener Zeiten an kommende Generationen." Und sinnig ist auch der Vierzeiler: Glücklich, wem die Tage fließen, wechselnd zwischen Freud und Leid, zwischen Schaffen und Genießen, zwischen Welt und Einsamkeit." Wahrheit, nichts als Wahrheit findet man in dem launigen Berschen von Trude Reichel aus Chemnitz, die sich auf schwindeliger Höhe zu folgenden Worten begeistert: „O Bautzen, o Bautzen, du wunderschöne Stadt, wenn man dich sieht vom Petriturm, da ist man einfach platt!" Daß auch ein zukünftiger Pastor guten Humor im Leibe hat, zeigen die Worte eines 8tuci. tkool., der schreibt: „Wir krochen aus den Petriturm. Die Menschheit unten wie ein Wurm. Wir nur erhaben standen und Bautzen niedlich fanden. Nur kalt an Rücken, Nase mir war es und der Base." Schlechte Erfahrungen mit Welt und Menschen hat sicherlich der nächste „Dichter" gemacht: denn sonst würde er dies doch nicht sagen: „Gepriesen sei der Herr der Welt, der wohl aus gutem Grund die Türme hat so hoch gestellt, daß man nicht jedem Schweinehund, mit dem die Städte so reichlich gesegnet, hier oben auf lustiger Höhe begegnet." Wenn ich nun aber langsam Abschied nehme von dem Turme, der mir die Heimat in neuer Liebe und neuem Licht aufgetan hat, so tue ich es in der Hoffnung, daß diese Zeilen ein Auf- ruf zum Besuch dieses alten ehrwürdigen Bautzners werden und tue es mit dem Versprechen, das ein andrer sür mich ins Fremdenbuch schrieb: „Unter Bomben und Granaten, unter Punsch und Schweinebraten; unter Türken und Tscherkessen werd ich nimmer dein vergessen,"