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Nr. 1 Gberlausitzer Heimatzeitung 7 man das gärtcnumsäumte Häuschen, rechts eine Kapelle in grie chischem Stile. Darüber strahlt als Sonne das dreieckige Gottes auge. Die Umschrift lautet: „Große Theuerung, wenig Nahrung" und darunter steht die Bitte ums tägliche Brot. Die Rückseite berichtet: „1847 galten ein Sack oder zwei preußische Scheffel (das sind etwa 150Pfund): Weizen I t Reichsthaler, ' Roggen 10 „ Erbsen 9 „ Gerste 6 „ Hafer 3 Kartoffeln 2 „ Wenn uns Menschen vom teuern Heute auch diese Preise niedrig erscheinen mögen, so müssen wir doch bedenken, wie gering damals menschliche Arbeit entlohnt wurde. Großmutter erzählt, daß ihr Vater vier „gute Groschen" Tagesverdienst hatte. Das sind fünf zig Pfennige. Ein Brot kostete in jenen teuern Zeiten Ende der vierziger Jahre acht „gute Groschen." Urgroßvater mußte also zwei Tage arbeiten, ehe er ein Brot, acht Tage ehe er einen Zent ner Kartoffeln verdient hatte. Semmeln hat Großmutter in ihrer Kindheit nicht gekannt. Nur Sonntags brachte der Vater ein Hefe brötchen mit, das aß zur Hälfte die Mutter, in die andre Hälfte teilten sich die drei Kinder. Dazu gab es Kaffee aus gedörrten Runkelrüben und Eicheln. Nur an ganz besonderen Festtagen oder wenn Besuch da war, wurde ein Lot Kaffee für vierPfennige ge kauft. Aber der Vater durfte es nicht wissen. Da es keine Kaffee tassen gab, trank man den seltenen Trank aus braunen Tellern und Tiegeln. Auf den großen Höfen gab es damals jährlich nur an vier Festtagen (Weihnachten, Ostern, Pfingsten und Kirmes) Kaffee für das Gesinde. Obwohl Großmutters Elter» zwei Kühe im Stalle hatten, kam doch wenig Butter auf den Tisch. Die wurde das Stück für zwan zig Pfennige verkauft. Für acht preußische Dreier oder zwei „Bihm" bekam man damals ein Stück Butter und eine Kanne Buttermilch. Kartoffeln waren das tägliche Essen. Dazu gab es Quark, Heringe oder gebratenes Salz. Zn wenig Butter wurde viel Salz und Mehl braun geröstet. Aus dem eigenen Felde baute man noch Hirse zum Brei und Erbsen. Gar schlimm war es, wenn die Kartoffelernte gering aussicl. Das geschah in der Mitte der Fünfziger Jahre. Zu Weihnachten gab es im urgroßväterlichen Hause keine Kartoffeln mehr. Die Stimmung war am Christ abend trübe und bang. Als in der Dämmerung die Spinnrädel noch surrten, wurde plötzlich zur Türe ein Korb Kartoffeln hinein geschoben. Die Freude war unbeschreiblich. Sie erhöhte sich noch, als der Vater sechzehn „gute Groschen" mit heimbrachte, die er für einen gefangenen Hasen erhalten hatte. Großmutter hat viel Christabende erlebt, den einen rechnet sie zu ihren schönsten. Auch zu den jetzigen teuren Kleiderpreisen lächelt Großmutter. „Ihr braucht zu viel," sagt sie. „Wir Kinder hatten ein Sonn tagskleid und eins für die Woche, das war alles. Unterröckchen und Unterhofen kannten wir nicht." Uns modernen Kulturmen schen graust es. Großmutter aber schafft draußen noch rüstig und froh. Sie ist niemals ernstlich krank gewesen. Viel Schweres hat sie in einem langen Leben und in kinderreicher Ehe getragen. Sie hat viel Hoffnung blühen und melken sehen und ist durch Ent behrungen hindurchgedrungcn zum freudigen Entsagen. Lasset uns lernen aus Großmutters Plaudern! Das Pfarrgespenst in Spitzcunnersdorf Bon Rudolf Tzschaschel s^^Wnter dieser Überschrift fand ich vor vier Jahrzehnten irgendwo — wahrscheinlich in einer Tageszeitung — die solaende sagenhafte Notiz: „3m Pfarrhause zu Spitzcunnersdorf soll es zu manchen Zeiten nicht recht geheuer sein, denn ein alter Pfarrer namens Storch, den der Tod beim Rasieren und zwar gerade in der Minute überraschte, als er den einen Backen fertig, den andern noch eingeseift hatte, soll im Grabe nicht Ruhe finden und seine alten Zimmer gern aufsuchen. Storchs Bild hängt auch in der Vorhalle der Kirche und soll er auf diesem, jetzt etwas un deutlichen Bilde in der Lage, wie ihn der Tod überraschte, als» mit halbeingeseiftem Backen, dargestellt sein." Als einer der Nachfolger des einst in seiner Gemeinde hoch angesehenen Pfarrers Storch fühlte ich mich gedrungen, der wenig geschmackvollen Sage auf den Grund zu gehen. Zunächst besah ich mir das Bild in der Vorhalle der Kirche, das übrigens heute nicht mehr dort hängt. Es ist zuzugeben, daß bei flüchtigem Hinsehen es in der etwas dunklen Vorhalle scheinen moryte, als ob der linke Backen eingeseift wäre. Genauere Betrachtung aber ließ sofort erkennen, daß nur infolge des Alters des Bildes ge rade diese Stelle einen schimmelartigen Belag aufwies. Denn lange genug hatte das Bild in der gegen Witterungseinflüffe nicht hinreichend geschützten Vorhalle gehangen, sodaß es keines wegs zu verwundern ist, daß der Zahn der Zeit sich in verschie dener Weise an demselben geltend gemacht hatte. Storch ist nämlich im Jahre 1708 gestorben. Um der unsinnigen Säge, die vermutlich durch einen Witzbold unter das Volk gebracht worden ist, weiter nachzugehen, schlug ich sodann die Kirchenbücher auf. Laut Kirchenbuch ist der Pfarrer Laurentius Storch am 13. Mai (Sonntag Rogate) 1708, nackts '/-3 Uhr in dem Alter von 80 Jahren gestorben und am Himmel fahrtstage begraben worden. Es ist wohl nicht anzunehmen, daß er sich nachts '/-3 Uhr rasiert hat! Ein so auffallendes Er eignis, daß er nämlich über dem Rasieren vom Schlage getroffen worden sei, wäre gewiß im Kirchenbuche oder irgendwo in den Pfarramtsakten vermerkt. Eine solche Geschmacklosigkeit aber, ihn der Gemeinde im Ölgemälde mit halbcingeseiftem Gesicht darzustellen, darf man wohl seinen Zeitgenossen nicht zutrauen. Außer Storch ist nur noch ein Spitzcunnersdorser Pfarrer ge würdigt gewesen daß sein in Öl gemaltes Bild in der Kirche an gebracht wurde: sein Amtsnachfolger Elger. Unter Elger ist die jetzige Kirche erbaut worden (1712—1710). Storch war der letzte Pfarrer an der alten Kirche, welche abgebrochen wurde, um einem Neubau Platz zu machen, Elger der erste an der neuen Kirche. Des letzteren Bildnis hängt noch in der Kirche, und zwar im Innenraume derselben, und ist, gegen Witterungseinflüsse ge schützt, noch heute gut erhalten. Storch ist von 1652—1708 Pfarrer von Spitzcunnersdorf ge wesen, also 56 Jahre. Eine seltene Gnade. Vom Jahre 1700 an stand ihm Christoph Elger als Substitut zur Seite, der noch in demselben Jahre seine jüngste Tochter Anna Sophia ehelichte und schließlich, wie erwähnt, sein Amtsnachfolger wurde. Pfarrer Storch hat alsbald nach seinem Amtsantritt das erste Kirchenbuch angelegt. Er war ein außerordentlich fleißiger Sammler, dem die Nachwelt viele wertvolle Nachrichten derVor- zeit verdankt. Von seinem Nachfolger wird er ein „beliebter und treuer Diener Gottes" genannt. Als er kaum ein halbes Jahr in Spitzcunnersdorf amtiert hatte, erfuhr er eine schwere Kränkung durch einen Einbruchdiebstahl in der Pfarre. In der Nacht zum 1. Mai 1653 haben Diebe in Storchs Abwesenheit die Mauer des (alten) Pfarrhauses unten durchbrochen, dann eine Leiter von einem Baume genommen, aus der Wiese in zwei Stücke gehauen und das eine davon an das Fenster der Studierstube angelegt, das Fenster heraus genommen und schließlich Kleider und Wäsche zusammengepackt und entführt. Der Geschädigte bemerkt ausdrücklich, daß die Diebe nie entdeckt worden sind. Das jetzige Pfarrhaus ist unter Storchs Amtierung in den Jahren 1695—1697 erbaut worden. Am 25. August K697, 12. Sonntag nach Trinitatis, wurde die Einweihung desselben in feierlicher Weise vollzogen. In der Folgezeit hat der Pfarrer Storch alljährlich am 12. Trinitatis-Sonntage nach dem Vor mittagsgottesdienste eine Hausandacht in der Pfarre gehalten zur dankbaren Erinnerung an den Neubau des Hauses, und da mit dieselbe auch nach seinem Tode fortgeführt würde, hat er ein Kapital von zwei Talern gestiftet, von dessen Zinsen acht Knaben für den bei dieser Feier zu leistenden Gesang bezahlt werden sollten. Die Urkunde hierüber, von dem Kirchenpatron Herrn von Canitz unterzeichnet, ist noch in dem ältesten Kirchenbuche vorhanden: die Sache selbst ist längst der Vergessenheit anheim gefallen.