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Er überwand sein Grauen, trat vorsichtig, um nicht aus zugleiten, an den schlüpfrigen Rand und faßte ins Wasser, nach dem Arm. Er fühlte etwas Festes, griff scharf zu und zerrte aus Leibeskräften. Ein brauner Schal tauchte empor, höher und höher. Ein ekelhaft aufgedunsener Kopf ward sichtbar, nur eine Sekunde lang, dann platschte er wieder zurück. Heinrich hatte in grausigem Erschrecken den Arm fahren lassen. Barthl? Wieder griff er zu. Ein schweres Stück Arbeit, den vvll- gcsognen Körper nur ein kleines Stück emporzuziehen. Heinrichs Füße rutschten bei jedem Ruck dem Teiche näher. Er hatte dis größte Vorsicht aufzuwenden, um nicht zu dem Leblosen hinunterzugleiten. Mit vieler Mühe brachte er ihn bis zur Hälfte heraus. Er mußte verschnaufen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht. Da wurden Stimmen laut. Durch den Busch ging ein Stampfen und Trippeln. Wuchtige Männerschritts zer knackten dürre Aste. Leichte Frauenfüße sprangen über Wurzeln und Lachen. Jetzt brach die Schar zwischen dem Gezweig heraus, hastig, in fiebernder Erwartung. „Wer war das? — Der Pfeiffer? Der Mordbrenner?' Unwillkürlich hemmten die ersten ihre Schritte. „Ihr Leute, helft! Der Schusterbarthl ist's," schrie ihnen Heinrich entgegen. Die Hinteren drängten nach vorn. „Geht ock!" schrie es. Die Vorderen schrien zurück: „Der Schusterbarthl is der- soffen," andere: „Der Pfeiffer." Die hinten wurden nicht klug daraus und schoben die vor ihnen weiter. So mußten die sich dazu bequemen, dem Heinrich an die Hand zu gehen. Bald lag der Ertrunkene auf dem Lande. Ein übler Anblick. Die Frauen wandten sich grauend ab. „Wie is zugangen?" fragten sie Heinrich. Der zuckte nur die Achseln. Das machte die Neugier noch reger. „Daß der grad dabei fein muß," sprach einer. Ein Andrer wisperte seinem Nachbar ins Ohr: „Der Mordbrenner und der Schusterbarthl, a schines Poar." Hinten brüllte einer: „Is ar überhauptZalleene versoffen?" „'s kann ihn o ens neigschmössen hoan",kam dieAntwort von einer andern Seite. In der vorder» Reihe wurde plötzlich das Wort „Mord brenner" laut. Der Vorlaute aber fühlte im nächsten Augenblicke, wie ihm eine kraftvolle Hand die Kehle zusammenschnürte. Heinrich stieß ihn mit kraftvollem Schwung in das Ge sträuch hinter sich. Dann stand er, dunkelrot vor Zorn, zwischen dem Schmäher und dem Haufen. Seine zornige Stimme donnerte der Schar entgegen: „Jetzt ein Wort an euch, ihr Leute. Ist vielleicht noch einer unter euch, der's dem Schuft dort drüben nachtun will?" Er sah eine Weile in die Menge hinein, die scheu in sich zusammenkroch, und wandte sich dann zum Gehen. Da kam Leben in den Haufen. Schimpfworts hagelten. Hetzende Zurufe lockten die jungen Burschen in's Treffen. Der vorige Schreier brüllte wütend: „Loßt'n ne laufen! Der Hund hoat'n Barth! drseeft." Das war vielen nach Wunsch geschrien. Zwei Burschen sprangen vor und packten die Arme des Mannes. Der stieß dem einen die Faust ins Gesicht. Ein kräftiger Fußtritt, und der zweite stürzte schreiend zusammen. Heinrich schwang einen abgebrochenen Baumast drohend vor sich. Scheu schoben die Angreifer nach hinten. Doch die hinten waren nicht klar, was da vorging. „Packt das Luder!" — Her mit ihm! Wir wollen ihm schon's Fell garben!" Bereits krachten Steine an die Birkenstämme, hart an Heinrich vorbei. Da, wie aus der Erde gewachsen, stand ein Gespenst zwischen ihm und dem Haufen. Das Gesicht blutüberströmt. Am ganzen Leib mit Schlamm bedeckt. Die Kleidung zer rissen, zerfetzt. Unheimlich weit geöffnete Augen starrten die Leute an. Christian. „Zorück, ihr Leut, vo dann! Ich — ich hoab'n Barthl e's Woasser gschrnössn. Ich — ich hoab'n Ruthof oagzund." Wie versteinert alles. Ein Alp lag auf der Menge. „Ja, ja, glebt's! Der dort, der Barthl, und ich, mir hoabn 'n Ruthof verfeuert. Und 'n Barthl hoab ich ins Woasser gstußn." Er sank mit lautem Stöhnen zusammen. Da rissen ihn rohe Fäuste empor, banden ihm die Hände auf den Rücken und stießen ihn vor sich hin. Dahinterher trugen sie den Ertrunkenen. So hastig und lärmend der Zug aus dem Dorfe gequollen war, so langsam und still schlich er jetzt wieder hinein. Verlegene Gesichter sahen einander an. Der Christian Wendt? Nachher wären ja die Pfeiffers wirklich unschuldig. Bielen schlug das böse Gewissen vernehmlich gegen die Rippen. Das sollte möglich sein, fünfundzwanzig Jahre lang auf falscher Fährte falsches Wild gehetzt zu haben. Scheu schielten sie nach der hageren Gestalt des alten Knechtes. Der sah heute einem hohen Sechziger gleich, wie er so vornübergebeugt mit gesenktem Kopfe dahintrottete. Wie ein Lauffeuer eilte die neue Kunde von .Haus zu Haus. Da war keiner, der nicht beim ersten Hören ungläubig den Kopf schüttelte. Den Knecht setzten sie in das Spritzenhaus, eine alte Lehmbude, da sich ein geeigneterer Raum nicht fand, bis der Gendarm ihn abholen würde. Die dörfliche Justiz über eilte sich indessen nicht. Gegen Abend versuchte der Gemeinde- vorfiand von dem Gefangenen näheres zu erfahren. Aber vergebens. „Ich hoab nischt zu sagen. Oalles, woas ihr wissen wollt, findt ihr in menner Koammer." Das war das Einzige gewesen. Da machten sich nun auch die Gemeindeoertreter auf, bei ihm Hauszusuchen. Den Gendarm hatte man noch garnicht benachrichtigt. Denen im Birkhof kam der Besuch natürlich nicht un erwartet. Die Aufregung, in der Heinrich nach Hause ge kommen war, hatte die andern auch erfaßt. Endlich, nach fünfundzwanzig Jahren, war das Gespenst vom Birkhof gewichen. Heinrich führte die Drei in Christians Kammer hinauf. Dort sanden sie in der Tischlade ein Paket loser Blätter. Das erste trng in großen, ungelenken Buchstaben die Worte: „Meine Beicht." Die andern waren mit den gleichen schwerfälligen Schrift zügen bedeckt. Weiter nichts! Sie stöberten noch einige Minuten herum, ohne noch etwas au sich zu nehmen, und gingen wieder die Treppe hinunter. An der Haustür streckte der Gemeindevorstand Heinrich die Hand zum Abschied hin. Der aber wandte sich finster ab. Da sah ihn der Vorsteher ernst ins Gesicht. „Heinrich Pfeifer, gut machen kann Autal das nicht mehr." (Schluß folgt)