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„So hätten Sie also früher schon Antal gesehen? Ich besinne mich, Adele Lange hotte ein kleines Knäblein." „Ich bin damals bei dem Brande noch nicht dreijährig gewesen, daher habe ich auch keinerlei Erinnerung an den Vorfall." „Wie sind Sie aber zu dem Bilde gekommen?" „Es ist so ziemlich das Einzige, was mir aus dem Nach lasse meines Großvaters blieb. Nach der Ähnlichkeit zu urieilen, die es mit einigen Iugendbildern meiner Mutter besaß, mußte es aus ihrem späteren Leben stammen. Ich ver mute auch, daß der Großvater es als das einzige Begehrens werte von meiner Mutter Habe behalten hat." Felix hielt es nicht mehr im Hause. Er mußte den Faden weiter rückwärts verfolgen, den er hier über seiner Eltern Leben plötzlich gefunden hatte. So bat er Heinrich, bis zu seiner Rückkehr hier zu bleiben, da er ihn dann nach dem Birkhof begleiten wolle. Heinrich sagte zu, und Felix ging znm Gemeindevorstand, um in den Einträgen längst zurück gelegter, staubiger Folianten zu suchen. Aber das Einzige, was er dem Harrenden erzählen konnte, war der Name des Wohnsitzes, den seine Eltern vordem innegehabt hatten, ein ihm ganz unbekanntes Dprf Niederschlesiens. Ruhigeren Gemüts, als wie sie gekommen, gingen sie wieder hinaus über das Feld. Im Birkhofe herrschte eine unheimliche Totenstille. Nur die Kranke und Lena waren die einzigen menschlichen Be wohner. Heinrich sah besorgt in das gerötete Gesicht, hinter dessen Stirn das heimtückische Gespenst des Fiebers raste. In einer Ecke saß Felix und ließ seine Augen der hilfreichen Tätigkeit seiner Braut folgen. Dort, wo die Blicke der Kranken auf die wirren Ranken des Tapetenmusters fallen konnten, war dieses mit einfarbigem Tuch verhangen. Kein Wort unterbrach die Ruhe. Nur einmal hatte die Bäuerin die Augen aufgeschlagen. Ihre Fieberblicke aber hatten die Tochter nickt erkannt, deren Hände ihre heiße Stirn mit kühlenden Kompressen belegten. Lena rückte sich einen Stuhl an des Geliebten Seite und ließ sich erschöpft nieder. Ihr müder Kopf siel gegen seine Schulter. Bald kündeten regelmäßige Atemzüge, daß die Natur ihr Recht gefordert halte. 14. Kapitel. Mit einer finsteren Wolke vom Wetterwinkel her hatte es begonnen, die war gewachsen und gewachsen und hatte alsbald mit schmutzigem Grau vor dem gesamten Himmels blau gelegen. Seitdem war eine Woche vergangen und seither siel ein sanfter, dünner Regen, der zuweilen zu heftigem Prasseln anschwoll, dann wieder abflaute, aber nie ganz aufhörte, weder Tag noch Nacht. Auf dem Felde wälzte sich ein grauer, dunstiger Nebel. So übersättigt war es, daß es das Naß schließlich überdrüssig stehen ließ. Da sah man nun in den Kartosfelfurchen kleine Bäche dahinfließen, auf Saaten und Wiesen schmutzige Teiche stehen. Die Gräben vom Walde brachten endlose Wassermassen angewälzt. Den Kirschbäumen halten die aufklatschenden Tropfen das weißduftige Früh lingskleid vom Leibe gerissen und in den Schmutz gestampft. Die standen nun halb nackt da. Ihr grünes Gewand war noch nicht groß genug. Die Au rannte in tollem Laufe durch das Dorf, als fürchte sie sich, den Leuten mit ihren schmutzigen Fluten zu miß- fallen. Wild riß sie an dem Erdreich ihrer Uferränder. Die Wurzelhände der Erlen konnten sich noch so fest in den Boden klammern, die losenden Wasser rissen ihn weg, daß die Bäume sich haltlos neigten und vom Winde vollends entwurzelt wurden. Weißer, flockiger Gischt tanzte um die Felsblöcke, die das tolle Gebirgskind nicht aus dem Wege stoßen konnte. Ob ihn das schlechte Wetter mißmutig machte oder was sonst die Ursache sein mochte, jedenfalls war in den letzten Tagen der Christian Wendt noch ein groß Teil sonderbarer geworden, als er es erst schon war. Am zweiten Regentag, da die Feldarbeit eingestellt werden mußte, hatte er sich vom Kühjungen Tinte und Papier holen lassen, und man konnte nun stundenlang in seiner Kammer zur Nachtzeit Licht brennen sehen. Ein sonderbares Treiben! Meist brummte er mehr denn je, war zuweilen aber auch gesprächiger und aufgeräumter als sonst. Jetzt saß er im Schuppen und flickte an einigen Wagen strängen herum, während Selma mit einer Schwinge voll Kleie an ihm vorbeiging. Uber den Hof schritt langsam, die Hände auf dem Rücken, der alte Arzt. Christian sah ihn und drehte sich nach Selma um. „Wie giehts ock, host nischt ghort?" „'s muß wühl a bißt besser sein," sprach sie. So sehr ihr auch der Büurin Geschick am Herzen lag, jetzt hatte sie doch auch sehr viel an sich zu denken. Das Häuslein oben ander Waldecke begann allmählich wohnlicher zu werden. Sie konnte es garnicht mehr verbergen, daß es ihr steter Gedanke war, und lag oft Christian damit in den Ohren. Redete der auch nie viel dazu, so schien er sichs doch auch wiederum garnicht ungern anzuhören. Nach einem solchen Gespräch ging er stets aufrechter einher, die Stirne zeigte ein paar Mißmutfurchen weniger, grad als ob ihm neuer Lebensmut eingeflößt worden sei. So auch jetzt. „Willst heut abend a brinkl oastreichn?" fragte Selma. Da brachte es Christian statt des gewohnten Kopfnickens oder -Schüttelns zu einem vernehmlichen „Nu ja." „Ich hob schon Ford eingerührt," fuhr Selma fort. Aber Christians Gedanken beschäftigten sich jetzt schon wieder mit der kranken Frau drinnen. „Ob se ne wieder werden wörd?" „Warum denn ne," meinte Selma. Christian brummte nachdenklich: „Nu, nu." Selma fuhr fort: „Aber die Lena muß einem leid tun. Die tut sich orndlich uffreiben dabei, 's ös ock gutt, doß der Schulmeester so bei ihr aushält. Wos, Christian, dos is ener?" Christian schüttelte den Kopf: „Ne, dos is Kenner." „Woas?" Selma guckte ihn verständnislos an. „Jetzt kriegt der wohl gar wieder seinen Rappel?" „Nune, ich mene, 's ös Kenner, nämlich Kenner wie die andern, 's ös ener, dar a de Walt poßt." Selma war ganz versteinert. Eine solch lange Rede hatte der Christian über die Lippen gebracht! Das war ja ganz aus der Art. Sollte das am Ende gar der Anfang zum Bernünftigwerden sein? Sie klapperte mit ihren Holzpantoffeln durch den Schup pen und plantschte über den Hof. In Christians Innern sah es gar nicht gut aus. Am schlimmsten wars mit ihm gewesen, wie sie die Bäuerin tod krank heimgebracht hatten. Da war er wie ein Halbtoter herumgelaufen und hatte sich die andre Hälfte dazugewüuicht. Niemand wußte, wie oft er mit der Peitschenschnur g-lieb äugelt hatte. Aber das Häuslein droben am Wald hielt ihn mit unlösbaren Klammern am Leben fest. Und noch