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Felix und Lena traten zum Fenster und schauten nach den Dächern des Birkhofes hinüber. Wie ost hatte Lena in dunklen, langen Winterabenden von dort aus voll Sehn sucht nach dem Licht in diesem Raume hingeschaut. Plötzlich schraken beide jäh zusammen. Hinter ihnen war ein Stuhl jäh zu Boden gekracht. Hastig wandten sie sich um. Da stand mitten im Zimmer die Mutter. Durch ihren Körper schlug ein krampfhaftes Zittern. Ihre Züge geisterten wachsbleich aus der Dämmerung. Ihre weit aufgerissenen Augen starrten nach dem Bilde über dem Schreibtisch, auf das die untergehende Sonne ihren grellen Schein warf. Ihr Atem flog wie der eines gehetzten Wildes. Lena starrte zu Tode erschrocken auf das Unsägliche. „Mutter," entrang es sich der Kehle, die das Entsetzen zuschnürte. Das von Grauen geschüttelte Weib hob die Rechte ab wehrend gegen das Bild. Ein markerschütternder Aufschrei voll höllischer Pein durchgellte schrill das Gemach. „Adele." - Dumps schlug der Körper wie leblos zu Boden. Der Schrecken lähmte minutenlang jede Bewegung der Danebenstehcnden, dann warf sich Lena mit schreiendem Schluchzen neben die Mutter. Felix war noch immer, vom Schreck gebannt, keines Wortes mächtig, nicht fähig, ein Glied zu rühren. Nur lang sam wich die Erstarrung von ihm. Dann mühte er sich mit Lena um die Kranke, aber ver gebens. Eine liefe Ohnmacht hüllte ihre Sinne ein. Sie legten sie ins Nebenzimmer auf Felixens Lager. Was nun? Im Nachbardors, eine Stunde entfernt, wohnte ein alter Landarzt. Felix warf ein paar Zeilen auf Papier, las einen Jungen von der Straße auf, und ein Geldstück bewirkte, daß der eiligst dem Birkhofe zurannte. In einer Halden Stunde hielt der Einspänner vor der Schule. Schneller hatte es kaum gehen können, denn die flüchtig gekritzelten Worte zu entziffern, hatte Christian alle Mühe gehabt. Lena wollte natürlich die Mutter sofort nach Hause haben doch Felix widersprach, die Hauptsache sei jetzt der Arzt. Unterdes war Agnes erwacht. Aber ihre Augen glänzten in Fieberschein. Bon den blutleeren Lippen lösten sich leise, zusammenhanglose Worte. Hin und wieder bebte es wie Frostschauer durch ihren ganzen Körper. Auf den Wangen wechselte dunkle Röte mit fahler Blässe. Lena kühlte ihre heiße Stirne mit kalten Umschlägen, ohne daß eine Spur von Erleichterung bemerkbar ward. Nach einer Stunde brachte Christian den Arzt, der sehr bald erkannte, daß nicht der Schreck die Krankheitsursache sei, sondern der Fall, der eine Gehirnerschütterung nach sich gezogen hatte. Einer Überführung der Kranken nach dem Birkhofe widersetzte sich der Arzt nicht. Nur mußte der geschlossene Kutschwagen dazu hergerichtet werden. In diesem brachte man dann die Kranke unter, in Betten und Tüchern ein gehüllt, daß kein kühler Luftzug hindurch konnte. Der Dok tor blieb drin im Wagen. Lena ging, auf ihres Geliebten Arm gestützt, weinend dahinter her. Die Beiden waren ge zwungen, ihre Schritte einzuhalten, so langsam fuhr der Wagen dem Hose zu. Christian lief neben den Pferden her und hatte sie kurz gefaßt, um sie zu langsamem Schritt zu zwingen. Vor wenigen Stunden erst waren drei glückliche Men schenkinder auf diesem Wege geschritten, dieselben, die jetzt, von Krankheit, Kummer und Sorge beladen, statt fröhliche Heimkehr zu halten, einen trüben Trauerzug bildeten. 13. Kapitel. Ain andern Tage kamen zwei Männer in ernstem Gespräch vom Birkhof nach dem Dorfe her, Felix und Heinrich. Lena hatte noch in der Nacht nach dem Onkel geschickt. Felix, der erst spät vom Birkhof nach Hause gekommen war und sobald es seine Arbeit erlaubte, auch wieder hinausgegangen, hatte Heinrich am Krankenbette der Schwester getroffen. „Sie meinen also, es müsse der Anblick des Bildes ge wesen sein, der Agnes in diese furchtbare Erregung brachte," fragte Heinrich. Felix hüllte sich dichter in seinen Mantel. Die schlaflose Nacht lag ihm noch in den Gliedern. „Ja, ich bin fest überzeugt, es kann garnichts anderes gewesen sein." Heinrich sah den jungen Freund neben sich mit ernsten Augen an. „Ich glaube, die Schatten der Vergangenheit tauchen wieder auf." Felix nickte wortlos und fuhr sich hoch aufatmend über die umwölkte Stirn. Stumm schritten sie dem Dorfe zu. Die Holztreppe ächzte, wie sie müde, schwerfällig nach dem zweiten Stockwerk stiegen. Scheu, wie Diebe, traten sie in das Arbeitszimmer. Heinrich blieb in der Mitte stehen. Seine Augen suchten das verhängnisvolle Bild und blieben erschrocken darauf hasten. Felix mußte erst Mut suchen, in das Antlitz Heinrichs zu sehen. Den Kopf gebeugt, stand er am Schreibtisch und harrte aus ein erlösendes Wort. Es blieb ungesprochen. Und als er ihn ansah, merkte er, jede Hoffnung aus eine Täuschung war vergebens. AdeleLange, die vor fünfundzwanzig Jahren abgebrannte Besitzerin des Rothofes, warFelix Schirmers Mutter gewesen. Da fiel Felix kraftlos in den Stuhl vor dem Arbeits tische zurück, warf den Kopf auf die Arme, die aus der Tisch platte lagen, und stöhnte laut auf vor Weh und Schmerz. Heinrich stand noch immer vor dem Bilde. Ja, sie war es, es unterlag keinem Zweifel. Plötzlich fuhr Felix empor und maß das Zimmer mit aufgeregten Schritten. Heinrich betrachtete sinnend den Grübelnden. „Ein ernstes, hartes Geschick." „Aber ein gnädiges," warf Felix ein und warf das Haupt zurück, „es gestattet uns Jungen, alte Schuld zu sühnen." Da flog ein Strahl der Freude über Heinrichs Gesicht. Er drückte innig des Lehrers Hand. „Sie sind hindurch." Dann saßen sie beieinander und redeten ruhig, ohne Auf regung über die letzten Vorkommnisse. „Hier also finde ich einen Faden über die Schicksale meiner Mutter, über deren Einzelheiten mein Großvater mich immer im Dunkeln gelassen hat." „Aber Sie tragen den Namen Ihres Großvaters," warf Heinrich ein. „Ja," erklärte Felix, „das hat er durchzusetzen gewußt mit Hilfe einflußreicher Bekannten, da er noch immer der Marotte nachhing, das Adelsschild des alten Geschlechts wieder aufzufrischen, was aber an seinem späteren finan ziellen Zusammenbruch scheiterte."