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einem flüchtigen Seitenblick streifend. Er hatte auch nicht der lieben Sänger vergessen, der fröhlichen Künstlerschar, die oft seine Gäste waren. Nun mußte er froh sein, wenn die gewöhnlichen, lärmenden Spatzen ihn in seiner Einsamkeit besuchten. Fern und abseits allem Schönen und Lebensfrohen. In solchen Gedanken wurde ihm die Armut seines Daseins erst recht bewußt. Wie ein Bettler, der sich schämt, Almosen empfangen zu müssen, kam er sich vor. Eine schmerzliche Sehnsucht nach unwiederbringlich Ver lorenem brannte wie eine nie heilende Wunde in seinem Innern. Sie zehrte an seinem Lebensmark. Wie lange schon stand er so kümmerlich, unfroh und eingeengt. Eine endlos eintönige, graue Zeit dünkte ihm dies Vegetieren, dies Nichtleben und Nichtsterben können. Ja, zuerst, da hatte er mit allen Kräften gestrebt, aus Enge und Dürftigkeit herauszukommen, ans Licht zu wachsen. Allmählich hatte er einsehen gelernt, daß ihn unüberwindliche Schranken umgaben, und der aussichtslose Kampfhatte ihn müde und untüchtig gemacht. Mutlos stand er, in sein Schicksal ergeben. Er trauerte tief um seine verlorene Jugend, um die zuschanden gewordenen Zukunftshoffnungen, um sein verfehltes Leben. Dann dachte er mit leisem Neid an seine freien, groß gewordenen Brüder, die volle Kronen trugen und ihren Lebenszweck erfüllten. Eine heiße Sehnsucht nach Freude, Schönheit und Lebensarbeit wachte in ihm auf. Er schämte sich seines ärmlichen Blätterkleides, das kaum seine Blößen deckte: seiner dürftigen Blüten, die seine Lebensbejahung ausdrückten — seiner unreifen, sauren Früchte, die sein Lebenswerk waren. Und der Sturm, mit dem es sich sonst so tapfer ringen ließ, drückte ihn demütigend zur Seite, wie etwas, was ihm im Wege stand. Warum zerbrach er ihn nicht? War er ihm zu nichtig, zu unbedeutend? O, daß er stark geworden wäre, ein Lebenstüchtiger, ein Sieger! — Was war ihm der wundersame Frühling, der erfüllende Sommer, die köst- licye herbstliche Reife, des Winters schöne Ruhe? — Schemen waren sie ihm geworden, Worte, denen er keinen rechten Inhalt zu geben wußte — dumpf und stumpf starrt der Baum in die ihn umgebende Häßlichkeit und Enge. Ach, wäre er tot, wiewohl müßte ihm sein! — Gibt es keine Erlösung? — Wieder ruft der Frühling die schlummernden Lebenskräfte zu neuem Wachsen und Werden. Mitleidig geht er an dem ein gesperrten Baum vorüber und läßt ihn ruhig weiterschlafen wie einen Schwerkrauken, der von allem Leid im ewigen Schlummer ausruht. — Die Spatzen kommen und melden es einander, daß der Apfelbaum dahinten im Hofe tot sei. „Schade," sagen be- oaucrnd die ersten, „wir kamen gern zu ihm." „Er stand da nicht am rechten Platz," meinten klug die zweiten. „Gott, ihm ist ja wohl," erklären weise die dritten, und gleichgültig und gedanken los lärmt die ganze Spatzengesellschaft: „Der eingesperrte Baum ist gestorben." Im Seifersdorfer Tal Don E. Nierich ach dem 30 jährigen Kriege war die Kraft unseres Vaterlandes gebrochen, und es dauerte Jahrhunderte, ehe es sich wieder völlig erholte. Diese Zeit hatten sich unsere sauberen Nachbarn im Westen ausersehen, um ohne Kriegserklärung in die Rheinlande einzu fallen und die Länder, die sie nicht selbst in dauernden Besitz nahmen, zu verwüsten. Noch heute zeugen die Heidel berger Schloßruinen von jenen französischen Raubkriegen. Doch nicht genug, daß sich deutsche Länder unter französisches Joch beugen mußten und blühende Gefilde zu Einöden wurden, auch deutsche Sitte und deutsche Sprache verschwanden selbst in den übrigen deutschen Ländern. Da man in jenem Ludwig XIV., Frankreichs Sonnenkönig, die Verkörperung aller Macht und Größe sah, so sandten selbst deutsche Fürstenhöse ihre Söhne an den französischen tzos, um sranzöfische Sitte zu lernen. Es ist für uns jetzt lächerlich zu lesen, mit welchem Eifer sich sogar die kleinsten Fürsten diesen französischen Pomp nachzuahmen bestrebten, was ihnen bei ihren erschöpften Geldmitteln nur allzuoft nicht glücken wollte, und es ist ja hinlänglich bekannt, zu welchen verbrecherischen Mitteln man z. B. am Hofe Augusts des Starken griff, um die nötigen Gelder aus dem Volke zu pressen. Zum guten Tone gehörte mindestens französische Sprache und Kleidung, und die Zopiperücke finden wir sogar beim Bauern aus dem Lande. So ist es auch nicht zu ver- wundern, daß selbst Preußens großer König meist französisch sprach, obwohl er doch ein kerndeutsches Herz besaß. Verschwunden sind glücklicherweise jene Zeiten, und selbst die Fremdwörter sind auf der Liste der Verbannten erschienen, und auch mit Recht: denn gerade sie erinnern uns noch an die Zeit, wo man sich schämte, deutsch zu sprechen. Bei manchen Schlössern findet man wohl noch einen Park nach französischem Muster mit den merkwürdig zvgestutzten Bäumen und Hecken. Sandsteinputten in einem ausgetrockneten Brunnen träumen oon jener Zeit, als galante Herren den niedlichen Dämchen, die wie Seidenvüppcken aussohen, Artigkeiten sagten und hier am Kühlen Wasser rasteten. Ein solches Schlößchen, wo sogar Hofintrigen des berüchtigten Premierministers von B'ühl ge- spönnen wurden, ist das dem jetzigen Grafen v. Brühl-Renard, dem letzten seines Stammes, gehörige Schloß in Seisersdorf bei Radeberg. Obwohl das stilvoll eingerichtete Schloß, eine alte Wasserburg, viel des Sehenswerten bietet, so gilt unsere Aufmerksamkeit diesmal dem nahegelegenen Rödertale. Auf Schritt und Tritt begegnen wir hier Zeugen aus jener ver- gangenen Zeit. Die Besitzer des Schlosses hatten aus diesem lieblichen Tale einen Park geschaffen mit vielen kleinen Tem- pelchen und Grotten. Saubere Kieswege führten zwischen beschnittenen Buchenhccken hin zu einem Altar, der in einem kleinen Säulentempel stand und der Tugend gewidmet war. Bor einer lauschigen Grotte, die mit Sprüchen an den Wänden verziert war, plätscherte geheimnisvoll ein Quellchen, und der bleiche Mond mors silberne Lichter in das klare Wasser, wäh rend heimliche Liebesworte von jener Steinbank geflüstert wurden, die unter einer alten Eiche stand. Ein alter Einsiedler, wohl der Hüter des Tales, wohnte in einem kleinen Hause am Talabhange, und wenige Jahre später bezeichnete ein erra- tischer Block die Stelle seines Grabes. Die Wellen des Flusses glätten sich und lautlos fließt er dahin dunkel und geheimnis- voll in sanftem Bogen unter alten überhängenden Erlen und Weiden hindurch. Verborgen führte hier eine Steintreppe hinab zur Kühlen Flut, ins Bad. Drüben lacht Heller Sonnenschein aus einer blumigen Wiese. Hier war der Ort der Schäfer stündchen und im nahen bilder- und spruchreichen Tanzhause sanden Feste der Dorfbewohner statt, die durch allerlei Auf- führungen die Liebe zu ihrem Schloßherrn erzeigen wollten. Die Zeit der Schäferstündchen, in der Damen der vornehmsten Kreise in ihren seidenen Gewändern auf der Wiese saßen und Schafe hüteten, während zu ihren Füßen ein Verehrer mit Galadegen und Zopfperücke Liebeslieder aus einer Schalmei blies, wäbrte bis in die Zeit der Freiheitskriege, als das deutsche Volk wieder gesundete und mit allem Fremden zu brechen begann. Daher haben spätere Besitzer auf einer von der Röder umflossenen Landzunge einen Dichterhain geschossen, wo Büsten von Wieland und Herder standen. In einem Kapellchen stand die Büste von Weimars Großherzogin Anna Amalie. Der Wind der Völkerschlacht blies allzurauh über deutsches Land, als daß man noch Sinn für Perücken, Puder und süße Liebesabenteuer batte. Rohe Kosakenhorden durch- querten das Land, und Kontributionen und Plünderungen sogen den Wohlstand der Dörfer aus. Auch die Brühls aus Seisersdorf hatten arg zu Kämpfen, zumol durch die Mißwirtschaft des Premierministers dos ganze Geschlecht in Ungnade gefallen und seiner besten Besitzungen verlustig gegangen war. So rächten sich hier tatsächlich die Sünden der Väter bis ins dritte und vierte Glied. Der Sinn für die Romantik der Väter wurde abgelöst vom Kampfe ums Dasein. In dem lieblichen Tale überwucherten Moose und Woldkräuter die Kieswege. Der Putz bröckelte von den Tem> pelchen und die Dächer verfielen. Grüne Flechten überzogen