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§8 Gbsrlausihsr Helmatzeituttg Nr. 7 Die Zeit schritt voran und mit ihr die Fähigkeiten der Knaben. Beide hatten das gleicke Talent, und beide beseelte nur der eine Wunsch, sich der Malerei widmen zu dürfen. Wie oft zogen sie fröhlich zusammen aus, um sich Studien hinzugeken. Hier, dieser stilloerträumte Winkel war die erste größere Probe ihrer Kunst gewesen. Gemeinsam bezogen die beiden später die Akademie und betrieben mit Lust und Eifer ihre Studien. Noch immer war ihre Freundschaft ungetrübt. Da kam die Wendung. Der Altere der beiden erkrankte schwer. Als er jedoch endlich genesen, wurde es ihm nach und nach zur schmerzlichen Gewißheit, daß seine Gesundheit nicht mehr dieselbe, ja, daß sie seil den Wochen der Krank heit den geringsten Einflüssen unterworfen und hemmend auf sein Schaffen wirkte. Er wurde erbittert. Er neidete Fortschritt und Erfolg der anderen und seines Jugend freundes. Die dahinetlenden Jahre trennten die beiden. Betrübt durch diesen Riß versuchte dec Jüngere einige Maie seinen Freund brieflich zu trösten und mit seinem Schicksal auszusöhnen: aber da er ohne jede Antwort blieb, stellte er seine Bemühungen ärgerlich ein. Wozu die kostbare Zeit damit oergeuven, da Lebenskraft und Schaffensdrang ihn erfüllten? Ganz besonderes Talent und ausdauernder Fleiß ver liehen seinem Namen bald einen guten Kiang. Er hielt sich studienhalber viel im Ausland auf, bis er seinen Wohnsitz endgültig nach Italien verlegte. Dort lebte er lange Jahre in angrstrengter Aibett, alles andere oeigessend, dis eines Tages die Erinnerung seines jrüyeren Levens ihm Pinsel und Palette aus der Hand zwange Seines einstigen Jugendfreundes mußte er gedenken. Er hatte ihn, obwohl Vieser gewiß des Trostes und der Er munterung bedurfte, eigrulUch recht versäumt und sich so schnell durch vessen Stillschweigen abschrecken lassen. Un- ermüvlich hätte er sich seiner onnehmen und mir Rat unv Tat helfend zu ihm stehen sollen. Es erschien ihm plötzlich unverslänvlich, daß ihm diese Gedanken jetzt erst kamen. Fünfzig Jahre filiv verflossen, daß sie sich zuletzt gesehen; fünfzig Jahre, seit ihr Freundfcha,isbanv zelr.ssen. Fast ein Menschenalter. Was mochte aus seinem Freund ge worden sein, lebte er wohl noch? Heiße Reue und Sehn sucht nach der deutschen Heimat ersullie sein Herz. Mit fieberhafter Hast und Unruhe,ordnete er seine Angelegen heiten und rüstete zur Reise. Er mußte fort, muhte die deutschen Auen und sein Baterland Wiedersehen. Dort, im Paradiese seliger Iugenderinnerungen, wollte er ausruhen vom Leben. Köstlich, wem dies am Abend seines Lebens beschicken. Langsam richtet sich der Mann aus und blickt wehmütig auf seine Zeichnung. Sein Geist ist noch so befangen von der Erinnerung, daß seine Umgebung sür ihn versunken zu sein scheint. „Ullrich, mein lieber, alter Freund," ruji er aus. Da fühlt er, wie eine Hand sanft seine Schulter berührt. Erschrocken blickt er aus. Jener Fremde, dem er tagtäglich begegnet, steht vor ihm und sieht ihm gütig in die Augen. Hastig springt er aus, ein freudiges Erkennen streift seine Züge und mit bebender Stimme flüstert er: „Ullrich, er ists, ja, er ists." Er erfaßt die Hand des Jugendfreundes und zieht ihn sachte neben sich auf die Bank. Mit bewegter Stimme sagt der Andere: „Mein teurer Freund, ich habe dich gefunden." Wortlos reichen sie sich die Hände und ganz leise, gleich sam, um das Wiedersehen seiner Weihe nicht zu berauben, spricht er weiter: „Mein Leben hat mir viel Enttäuschungen gebracht durch mein wechselndes Befinden, — weißt du noch, daß meine Gesundheit damals ...?" Fragend sieht er zu dem Anderen auf, der zustimmend nickt. „Aber," fährt der Greis fort, „alle die trüben Erfahrungen schufen so ganz allmählich eine Sinneswandtung in mir. Mein Neid auf die anderen, die Gesunden, die stürmend dem Leben Erfolg und Sieg avrangen, schwand, und je länger, umso füqlvarer wurde mir der innere Friede, den ich gewonnen, und der mich mit meinem Los wieder aussöhnte. Ich gedachte an Dich, und es beliüble mich, daß ich auf Deine Briese nicht geantwortet. Aber glaube mir, ich war in jener Z ir zu erblliert und haderte mit dem Schicksal. Nun begann ich eisrig nach Dir zu falschen, aber wohin ich mich aach wandte, immer Huß es: Wohnort gewechselt. Schließlich gab lch traurigen Herzens meineNachforschungen aus. Meine finanzielle Lage war sehr schlecht, denn meine durch Krankheit vielfach unterbrochene Arbeit brachte mir verhältnismäßig wenig ein; aber die Sparsamkeit meiner guten Eltern halte ihien Segen aus den Sohn übertragen, und so konnte ich mir in der berühmten Kunststadt M. ein hübsches, kleines Besitztum kaufen." Erschöpft hält er inne. Nach kurzer Pause spricht er weiter. „Dorr lebte ich still und zufrieden, ab und zu ein wenig arbeitend, bis Mich eines Tages unbeschreibliche Sehnsucht nach meinem H.imatstädtchen »rsaßle. Ein un erklärliches Gefühl lr>cb mich zur Eile. Bald stand ich — ein Greis — auf geheiligtem Boden der Kindheit. Ist der Anblick der Heimat, besonders, wenn man sie nach vielen Jahren wiedersieht, nicht etwas Ergreifendes?" Er scheint keine Antwort zu erwarten, denn er fährt fort: „So gings auch mir. Tausenderlei Erinnerungen trafen mein Herz. Dann fah ich Dich. Bon Tag zu Tag erschienst Du mir bekannter, und als wir uns heute grüßten, wollte ich schon zu Dir sprechen, aber Du gi> gst so schnell weiter." Lächelnd berühit er des Freund-s Schulter und meint: „Du kannst es beinahe noch mit einem Jüngling aufnehmen." Der Angeredrte macht eine abwehrende Bewegung, aber der Greis sagt: „Doch, es ist so, und ich freue mich darüber. Als ich vorhin unser einstiges Lieblingsplätzchen betrat, ungewollt zum Zeugen Deines Ausrufes wurde und Deine Zeichnung fah, ließ die Freude mein Herz höher schlagen, denn mit sicherer Gewißheit fühlte ich, daß ich endlich meinen Iugendsreuno wiedergesunden." Erschüttert reichen sie sich die Hände und der Greis sagt: „Nun erzähle von Deinem Leven." Sinnend nickt der Jüngere vor sich hin und sagt bewegt: „Die Heimat hat uns gerufen, um uns neu zu einen. Sie lägt in unferen Herzen trotz des Lebensherbstes holden Frühling erstehen." Aussöhnung is Sonne kam und tilgte jede Schuld des grauen Tags, der lieblos uns bedrückte I — Nun ist es hell und froh und licht. Lind alle Fernen werden klarer. — Was uns zu eng erjchien, zu hart und grau, die dumpfen Wände und dis starren Mauern, darüber liegt ein goldner Schein. Es gibt wohl keine Armut mehr und keine Fesseln? — Dis Sonne kam und tilgte jede Schuld! — Nun last uns ganz in Sonne gehen! Nnd wenn dis grauen Tags wiedsrkommsn, die harten, schweren, liebelojen, vergessen wir der Sonne nicht, dis immer wieder kommt, versöhnt und heilt und unser Dettlsrkleid mit Königskronsn tauscht. — Du weisst, die Sonne kam und tilgte jede Schuld des grauen Tags, der lieblos uns bedrückte! Ma«g. D«ich«l.ita»st«,