966 L. Vom Wiener Congrcß bis zur Julirevolution. 2. Die Seeschule und die englische Naturdichtung. England. Gleichzeitig wurden auch in England glückliche Versuche gemacht, den französischen Geschmack und die conventionelle Kunstdichtung durch gemüthvolle Naturpoesie und volksthümliche Balladen und Lieder zu verdrängen. Auf Thomson und Noung (XIII, 124 f.j, welche zuerst die äußere Natur und das davon so vielfach bedingte und bewegte innere Seelenleben der Menschen mit I73i-I8uö! Gefühl und Innigkeit darstellten, folgte William Cowper, ein von religiöser Schwärmerei und krankhaftem Trübsinn erfüllter Dichter, dessen früheste Poesien Zeugniß geben von seiner düstern puritanischen Weltanschauung. In der gesun deren Seelenstimmung, zu der er sich unter dem Einfluß der geistreichen Lady Austen aufgeschwungen, verfaßte er seine bekanntesten Poesien, das Lehr gedicht „die Aufgabe" (tlis taslr), worin er ein warmes Gefühl für Recht, Frei heit und Vaterland beurkundete, und die humoristische Ballade „John Gilpin", in welcher er die altenglische Volksdichtung erneuerte. Noch berühmter war die Ballade Xällüral Hosiers Aliost von Richard Glover, einem durch epische und dramatische Dichtungen bekannten Handelsmann und Parlamentsmitglied; E-S und in Thomas Gray fand Thomson's elegische Naturschilderung einen treff lichen Nachfolger. Seine „Elegie auf einen Dorfkirchhof" ist noch bis zur Stunde eine Lieblingsdichtung der Engländer und auch dem Auslande bekannt durch zahlreiche Uebersetzungen in allen Sprachen. Auch der vielseitige, als Historiker, Kritiker und gemüthlicher Romanschriftsteller berühmte Oliver ?72»^74. G"lds»iith (XIII, 132) hat in Balladen, Liedern und in dem elegischen Ge mälde „das verlassene Dorf" den Ton der Volksdichtung und gefühlvollen Na turschilderung angeschlagen. Seine gemüthvoll-hunioristische Novelle »tlrs viear ol gehörte zu den gelesensten Schriftstücken aller Nationen und war wie uns bekannt besonders in Deutschland von größtem Einfluß auf die Lite ratur. Dagegen fehlt seinen Gedichten Heiterkeit und Anmuth. Ein begabter M»t°nund phantasievollcr Dichter war der unglückliche Thom. Chatte rton von Bristol, der sich in einem Anfall von Schwermuth über gekränkten Stolz und über Mangel an Lebensunterhalt als achtzehnjähriger Jüngling durch Vergiftung selbst den Tod gab. Seine in alterthümlicher Sprache verfaßten und als angeb liche Erzeugnisse eines altenglischen Dichters Rowley herausgegebenen Balladen wurden auch dann noch bewundert, als ihr moderner Ursprung entdeckt war. Die archaisirende Fälschung war eine Wirkung des beginnenden Enthusiasmus für das Mittelalterige, wie bei seinem Zeitgenossen Macpherson, wie später in Frankreich bei Merimee. Chatterton's übrige lyrischen Gedichte fanden beson ders in der Folge Beachtung, da man in ihnen das erste Vorbild der im „Welt schmerz" und in der „Zerrissenheit" sich ergehenden Poesie der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit erblickte. Ausgezeichnet durch klare, lebendige und wahre Naturschildernng, aber ohne das „sonnige Lächeln" Goldsmith's, war