Volltext Seite (XML)
II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 963 armer Bauer aus der Grafschaft Ayr. Die drückenden Verhältnisse, unter denen er sein ganzes Leben hindurch zu leiden hatte, vermochten das angeborne poetische Talent nicht zu ersticken, doch hemmten sie seinen Flug und füllten seine lebensfrohe musikalische Natur mit Schwcrmuth und Kummer. Seine in zahl losen Ausgaben uud Ueberscßungen verbreiteten Gedichte sind echte Naturlaute voll Wärme, Frische und Klarheit und von einer Mannichfaltigkeit der Gefühle, Empfindungen und Stimmungen, wie sie nur eine reiche Phantasie, ein em pfängliches Herz und ein mit dem ganzen Seelenleben des Volkes vertrauter Geist erfassen und wiedergeben kann. Das schöne Gedicht an den Abendstern, zum Andenken seiner frühverstorbenen Geliebten, der „Hochlands-Mary" ge dichtet, lebt im Munde des schottischen Volkes fort, wie die deutschen Volks lieder von Claudius oder Hölty, und die Volksballaden „Hans Gerstenkorn" (John Barleycorn) uud Tom O' Shauter sind am Doon und in Edinburg so bekannt, wie Bürger's Balladen in Nord- und Süddeutschland. Manche seiner Gedichte, wie tlie ckoll^ LsKZars erinnern an Beranger; nur daß Burns nicht so frei ist von Ehrgeiz und Eitelkeit wie der französische Sänger. In seinen Briefen affectirt er zuweilen den Stil der Akademiker. In religiösen Dingen ist Burns ein Freidenker; die engherzige prcsbyterianische Orthodoxie und der geistliche- »orrirl« widerstreben seinem natürlichen lebensfrohen Gemüth. Der ungetheilte Beifall, den Burns' Dichtungen allenthalben fanden, hatte zur Folge, daß diese Gattung im Uebermaß cultivirt wurde und daß die Zahl der sogenannten Natur- dichter in Schottland wuchernd zunahm. Unter den vielen Namen sind hervor- zuhcben: Johanna Baillic, die Freundin Walter Scott's, die sich nicht min-"«r-ent. der durch ihre schottischen Lieder, als durch ihre einst sehr bewunderten morali schen „Dramen über die Leidenschaften" berühmt gemacht hat; der Maurer Allan Cunningham und der sogenannte Ettrick-Schäfer James Hogg, der, angc-H^s regt von den alten Sagen und Volksliedern, als Hirtenjunge zu dichten begann, ehe er noch lesen und schreiben gelernt. Von Walter Scott aufgemuntert, wid mete er sich der Poesie und entfaltete bald einen sehr fruchtbaren Geist. Unter seinen zahlreichen Werken ist am bekanntesten: „Der Königin Fest" stUe Quosns vrakö), eine Sammlung von Balladen und Märchen. Manche dieser kunstlosen Volksdichtungen sind auch satirischen und epigrammatischen Inhalts. In dieser Gattung war besonders Thomas Hoggart (der Oheim des berühmten Malers Hogarth) aus dem Thale Troutbeck in Westmoreland bekannt und ge fürchtet. Hoggart, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts starb, schrieb auch Schauspiele und namentlich ein Stück in Versen, „die Zerstörung von Troja", dessen Aufführung auf dem Abhang eines Hügels unter freiem Himmel drei Tage lang dauerte, und in welchem fast die ganze Pfarrgemeinde mitspieltc; das Landvolk aber war von weit und breit zusammengeströmt. Von dem größten Einfluß auf die neuere Literatur nicht bloß Englands, sondern auch des Continents, war der vielseitige, mit fruchtbarer Schöpferkraft 61*