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960 11. Boi» Wiener Kongreß bis zur Julircvolution. der Begründer des Bonapartismus seine geistige und militärische Überlegenheit nur zur Befriedigung seines Ehrgeizes und seiner Herrschsucht gebraucht und in egoistischer Rücksichtslosigkeit die französische Nation zu einer ungerechten, treu lose» Politik gegen andere Völker fortgcrisscn habe. Ohne die persönliche Genia lität Napolevn's zu verkleinern, stellt er denselben als einen Mann dar, der nur mit den Realitäten des Lebens rechnete, Gewalt allenthalben über Recht setzte, die Menschen blos als Werkzeuge für seine Zwecke behandelte, und macht es seinen Landsleuten zum Vorwurf, daß sic vom äußern Ruhm geblen det dieses Hinwcgsctzen über alles Staats- und Völkerrecht, diese Verachtung aller Idealität und Menschenwürde, geduldet und gefördert hätten und noch jetzt, trotz dieser inneren Gebrechen, das erste Kaiserthum als die Glanzperiode der französischen Geschichte bewunderten und feierten. „Es ist dem heutigen Ge schichtschreiber nicht mehr möglich", läßt er sich im dritten Buch vernehme», „im engcrn Sinn des Wortes „national" zu sein. Die Liebe zum Vatcrlande ist bei ihm die Liebe zur Wahrheit. Er gehört nicht einer Race, einem Lande, er gehört allen Ländern an und spricht im Namen der allgemeinen Livilisation; er vertritt die Interessen aller Nationen, die Interessen der Menschheit, und sein Volk ist das Volk, das diesen am beste» dient". Wir haben bei einer früheren Gelegenheit bemerkt, daß Lanfrcy den französische» Imperator mit derselben Morositäl und Herbigkeit wie Tacitus die ersten Cäsaren behandelt und sich von diesen Gefühlen nicht selten zur Verkennung des bei allen Fehlern geniale» und gewaltigen Mannes hinrcißen läßt. Er sicht in Napoleon eine Verkörperung des Bösen und der Lüge, die mit dämonischer Gewalt die Menschen umstrickt und nicdcrgeworfen habe. Auch der als Förderer aller humanen Ideen in Frankreich hochverdiente Staatsmann Alexis Graf von Tocgueville, der in Amerika und England das Wesen und die Wirkungen volksthümlicher Staats- formen kennen gelernt und seinen Landsleuten in gediegenen Schriften in, Geiste Montcsquieu's dargelegt hat („über die Demokratie in Amerika" u. a.W.), machte sich durch historische Werke („Geschichte Ludwig's XV."; „das alte Regime und die e. »lam Revolution" u. a.) berühmt, und Louis Blanc's „Geschichte der zehn Jahre" ' (1830—1840), worin die Orleans'sche Herrschaft mit viel pikantem Detail aus Tagesgesprächen und vertraulichen Mitthcilnngcn vom Standpunkte der demokra tischen Opposition behandelt ist, sowie seine „Geschichte der französischen Revolu tion" waren, wie auch seine übrigen svcialistischcn Schriften, von großem Einfluß auf die Februar-Revolution. Durch eingehendes Studium der socialen und politi schen Einrichtungen und Grundideen Englands und Amerikas im Geiste Mon tesquieu'» hat Tvcqucville, trotz seiner vornehmen Herkunft, die Nothwcndigkcit der demokratischen Prinzipien im modernen Staatsleben anerkannt, zugleich aber dargcthan, wie mau durch vernünftiges Eingehen auf dieselben die Demokratie in geordnete Formen einführcn, unter der Fahne der echten Freiheit vor verderb lichen Ausschreitungen bewahren solle. Werde die Aristokratie durch einen Ge-