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II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 955 heit und Schlechtigkeit, nirgends eine Erhebung, bis zuletzt der Held des Romans, „arm am Beutel, krank am Herzen", gänzlich leer ein leeres Leben weiter schleppt. Dieselbe Regsamkeit, die sich in der poetischen Literatur der Franzosen kund- Pubu-M. , .... , . . , , . , . " ' Feuilletons. gibt, zeigt pch auch in den nbngen Gattungen, besonders m einer ausgedehnten journalistischen Thätigkcit. Wir wissen, wie einflußreich während der Revolu tion die Journalistik auf die öffentliche Meinung und den Gang der Politik ge wirkt hat. Auch in der Napoleonischcn Zeit war die Tageslitcratur, trotz der strengen Ucberwachung in den Händen eines Berti», eines Fievee, Gcoffroy u. a. eine Macht. Die Blüthczcit aber begann für die Publicistik mit der Restauration des Königthums. Eine Menge Zeitschriften, durch literarische Beigaben (Feuille ton) anziehender gemacht, nehmen die bedeutendsten schriftstellerischen Kräfte in Anspruch und dienen häufig zur Niederlage der neuesten Erzeugnisse im Roman, in Rciscbildcrn (Marinier), in ästhetischer und kritischer Belletristik (Jules Janin, Taillandier u. A.). Vor Allem verdienen die Revue äes cleux moulles und das NaASLiu pittoresgue eine rühmliche Erwähnung. Jules Janin, von jüdischer Abkunft aus dem südlichen Frankreich, hat in den Feuilletons zum Journal des Dcbats und andern Zeitungen den französischen Leser» eine Reihe von Bildern im Geschmack des deutschen Romanschreibers Hossmann vorgeführt und in Erzählungen, Charakterzeichnungen, Zügen aus der Gesellschaft verschie dener Zeiten und Geistcsrichtungcn, Novelle» und Schilderungen ein unerschöpf liches Talent gezeigt, die Phantasie eines überreizten blasirten Geschlechts aufzu- regcn und zu fesseln. In der Erzählung laue mort et la tenaiue Auillo- tiuee führt er die Leser mit genialer Ironie durch die Höhlen des Lasters und Elends, in der Erzählung la reliKierme äe Doulormö huldigt er dem Ge schmack der vornehmen Welt in demonstrativer Devotion und Kirchlichkeit. Er nimmt es mit keinen Ucberzeugungcn ernst; Alles ist ihm ein Spiel der Phan tasie, des Witzes, der Unterhaltung; sein kritisches Talent ergreift alle Erscheinungen des öffentlichen Lebens, der Literatur, der Kunst, des Thea ters, aber wie Brillantfcuer ohne Wärme, literarische Plaudereien, worin sich alle Stimmungen, Tagesansichtcn, Temperamente wicderspicgeln. Ver wandten Geistes mit Janin ist Alphons Karr, ein fruchtbarer "Femlle- tonist und Romanschreiber in Heine'scher Manier. Er besitzt die Gabe, kleine Verhältnisse scharf aufzufassen und pikant darzustcllcn; aber cs fehlt ihm an Tiefe, an dem ernsten Interesse und der begeisterten Hingebung für die Er zeugnisse seiner Einbildungskraft. In seinen ersten Romanen (»8ori8 1s8 til- leuiR«; »nne leerere trop» t-rrck«; »Venckrecki 8oir«; »le oieemiie le zilrm vvrrrt») sind eigene Lebensgcschicke und Erfahrungen zu romantischen Darstel lungen voll Humor und Gemüth benutzt mit Zügen aus dem deutschen Stu denten- und Künstlerleben. Mit mehr Sorgfalt gearbeitet sind die beiden Romane »Oeiraviövs« und »Llotiläe«. Den größten Beifall erwarb sich Karr durch seine Artikel in dem weitverbreiteten Journal Figaro, das er lange Zeit redigirte.