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954 r;. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. eine Stufe unter Dumas steht Paul de Kock, der Liebling der unteren Schich ten der Halbwelt in ganz Europa. Die Restaurationszeit war das goldene Zeit alter der leichtfertigen, lüsternen, sinnlichen Literatur zur Unterhaltung und Er höhung der Lebensgenüsse. „Ein fünfzehnjähriger Friede, der auf eine lange erschöpfende Aufregung folgte, zwang die Phantasie in sich selbst einzukehren; das fortschreitende Wohlleben verbreitete die Bildung über eine sehr große Ober fläche und derjenige konnte auf den schnellsten Erfolg rechnen, der ohne de» Geist anzustrengcn, die sinnlichen Kräfte aufs Lebhafteste in Anspruch nahm. Auf der einen Seite gelang das durch Masscnhaftigkeit und Kühnheit der Erfindung, aus der andern durch ein leichtes Spiel»des Witzes". Mit der Zeit hat das Inter esse an der Demimonde, an der Literatur der Grisctten und Courtisanen etwas abgenommen; dafür ist der Durst nach Gold und Reichthum, die Spccnlation der Börse in den Vordergrund des Moderomans getreten; 1a eeinture ckoiee von Augier ist ein Typus des neuen Geschmacks von „Soll und Haben". Zu diesen altern Schriftstellern kommt unter dem zweiten Kaiserreich noch eine Reihe von Autoren, meistens von vorübergehender Bedeutung und von mehr als zwei felhaftem sittlichen Werth. So Edm. Ab out Oröss soirteinporsins; Rome oon- temporsine) ,Droz, Nmcde'e Achard, Karr, Arago, Sardou, Ponson duTerrail u. A. Ehrenhafter sind Schriftsteller wie Victor Chcrbulliez (»Issdslls ou le romsn ck'uns kemme konndte«1, Octavc Feuillet (»Ulstoirs cls Sybille« ; »romsn cl'nnzsane komme xsnvre«) und die beiden Elsaß-Lothringer Erk mann und Chatrian, die gemeinsam ihre vielgelesenen Novellen schrieben (»Re eonseril äe 1813«; >Maäsms Dkersss«; »I'smi Rritri«; »Histoire ä'un psz'ssn en 1789« re.). Alle diese Erzählungen spielen im Elsaß und der lokale Hintergrund ist vortrefflich gezeichnet. Auch tritt das Zwitterdasein der Bevölkerung uns ohne Absicht der Verfasser deutlich entgegen. Sie selbst sind vollständig Franzosen und scheinen gar nicht zu empfinden, wie unharmonisch sich auf diesem altgcrmanischcn Boden mit deutschen Orts- und Per sonennamen, deutschen Sagen, deutschen Sitten die Rapoleonischc Begeisterung, der Gleichhcitsfanatismus französischer Revolutionen, kurz alle die ncufranzösischen An schauungen und Interessen ausnehmen, aus denen sie ihre Menschen handeln und denken lassen. Sehr bcachtenswerthe Werke sind in den sechziger Jahren anonym erschienen, die einen hochgestellten katholischen Geistlichen zum Verfasser haben, und in ergreifender Weise mit gründlichster Sachkenntniß viele der Mißbräuche, Conflikte und Jmmoralitäten, die eine naturgemäße Folge des Ultramontanismus sind, zur Darstellung bringen (Oe msuäit, Io inoins, Is rsli^isusö, 1s 3ssuits u. s. w.). Ein namhafter Schriftsteller der letzten Jahre des zweiten Kaiserreichs ist Gustave Flaubert. Sein erster Roman »8slsm1)o« ist ein Blut- und Jntriguenstück aus der karthagischen Geschichte; von größe rem kulturhistorischen Interesse ist »I'säuostlon ssntimentsle«, der Entwicklungsgang eines jungen Mannes in Paris, worin mit der nüchternsten Objektivität, ohne Schminke irgend welcher Art, ohne Sympathie und ohne Antipathie, aber mit genauester Kennt- niß eine Welt des krassesten Egoismus geschildert wird, eine Welt ohne Gott, ohne Glauben an irgend welches Ideal, ohne Tugend und ohne Herz, mit dem alleinigen Streben nach Genuß, welcher Genuß aber den begierig danach Jagenden unter den Händen zerrinnt. Er erweist sich als leeres Phantom, das nicht zu fassen ist, das eitel Müh' und Kampf, Bitterkeit und Ermattung verursacht. Uebcrall ist nur Lüge, Bos-