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II. Literatur u. Geistesleben i», neunzehnten Jahrhundert. 935 tendste Vertreter der romantischen Richtung und des poetischen Weltschmerzes, der begabteste Uebersetzer der Shakespeare'schen Dramen, in seinen episch-lyrischen Gedichten („Dolorida"; „Cloa", eine Engeljungfrau aus einer Thräne des wei nenden Erlösers wie eine Blume entsprossen; „Moise"; „der Schnee"), wie in seinen Romanen (»Lincz-LIurs«, unter den Nachbildungen Walter Scott's eine der gelungensten; »Kervituds ot ^rairdeur nailituirs«, poetische Bilder aus dem Kriegs- und Soldatenlcben mit philosophischen Reflexionen; »KtsIIo ou Iss diubles d1eri8«, ein charaktervolles Gemälde der französischen Revolution, u. a.) wieder mehr Natur und künstlerische Besonnenheit zurückführte. Von legitimistischen und katholischen Sympathien ausgegangcn, neigte Vigny mehr und mehr auf die liberale Seile, und wenn er sich auch fern hielt vom Socialis mus. so blieb er doch nicht in de» Schranken der bürgerlichen Opposition. Als Edelmann hatte er mehr Interesse für das Volk als für die Bourgeoisie. Schon während der Revolution hatte Fievee, ein wegen royalistischer Gesinnung unter dem Direktorium aus Frankreich verbannter witziger und sarkastischer Schrift- stellcr. in einer Reihe von Romanen 1a dot de Kürette; I'rederie; 1e di- voree u. a.), die sich auf dem Boden der revolutionären Umstnrzperiode be wegen. den Realismus des wirklichen Lebens zum Ausdruck gebracht. Auch einer der bedeutendsten Schriftsteller der Restaurationszeit. Prosper Merimee, Minm». hat sich nicht unbedingt der Romantik hingegeben, wenn er gleich viele Züge der selben sich aneignete. Ein gründlicher gelehrter Alterthumskcnncr und Geschichts forscher, wie seine Arbeiten über die römischen Bürgerkriege, über Catilina. über den falschen Demetrius, über Pedro de Guzman beweisen, hat er doch dem Ge schmack der Zeit für das Fremdartige. Naturwüchsige, Volksthümliche und Südländische in so hervorragender Weise gehuldigt, daß er selbst zu Fälschungs- Versuchen. wie wir sic bei dem englischen Dichter Chatterton kennen lernen wer den, die Hand bot. Die Bewunderung, welche die angeblich aus dem Mittel- alter stammenden Gedichte einer KloIilde von Survillc bei den Zeitge nosse» fanden, scheint Merimee zu ähnlichen Productionen gereizt zu haben. Wenigstens waren die von ihm hcrausgegcbeneu Sammelwerke: „Theater der Clara Gazul", Komödie» nach Art der spanischen Intermezzos und „Guzla, illyrische Volkslieder", sclbstverfaßtc Mystifikationen, um die Welt zu täuschen. Mit der Zeit gelangte Merimee jedoch zu einem freieren und höheren Stand punkt. Nachdem er durch die historisch-dramatischen Sitten- und Charakter- skizzen aus der Fcudalzeit, die er unter dem Titel ckaequerie herausgab. aufs Neue seine Gcschichtskcnntnisse beurkundet, erwarb er sich durch eine große An zahl von Novellen und Erzählungen voll dramatischen Lebens und realistischer Na- turtrcue in kühler und doch fesselnder Darstellung jColomba; Carmen; die Partie Trictrac u.a.seinen Rang nntcr den ersten romantischen Schriftsteller» Frankreichs. Wie vielen Widerspruch die Erzeugnisse Victor Hugo's finden mochte», so war doch sein Talent so offenbar, sein Beispiel so durchschlagend, daß