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932 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolunon. legenheit der Ueberführung der Asche des Kaisers nach Paris in einer seiner schönsten Oden verherrlichte. Auch unter Louis Philipp, unter dessen Regierung er zum Pair und Mitglied der Akademie erhoben ward, wie in der spätem Republik, als Depn- tirtcr der Nationalversammlung, fand er seinen Platz. Die Wandlung aus einem Restaurationsschwärmcr in einen glühenden Bonapartistcn, welche er selbst durch- gcmacht, schildert er bei seinem Helden in den „Miserables". Der Jüngling wird von einem legitimistischcn Großvater in äußerster Verabscheuung des Usurpators Napoleon erzogen, bis sich der Geist seines bei Waterloo gefallenen Vaters in ihm regt und mächtig wird. Cs gehört die Darlegung dieses psychologischen Vorgangs gewiß zu den besten und menschlich wahrsten Stellen in Victor Hugo's Werken; sic ist meisterhaft und ergreifend. Victor Hugo hat sich als Lyriker, als Dramatiker und Romanschriftsteller einen Namen gemacht, doch ist er in der ersten Gattung am ausgezeichnetsten. Nachdem er in seinen „Oden" den rheto rischen Pomp jugendlicher Begeisterung in fremdartigen Schilderungen und Sce- nen entfaltet, in seinen „Balladen" Anklänge mittelalterlicher Romantik wieder getönt, in den „Orientalen", die von der Schule als Meisterstücke lyrischer Poesie gepriesen wurden, glanzvolle Schilderungen von fremden Gegenden, Menschen, Sitten und Vorfällen entworfen hatte, kehrte er in de» „Herbstblättern", den „Dämmerungsgesängen", den „inneren Stimmen", den „Strahlen und Schatten" mehr bei sich selbst ein, indem er in landschaftlichen und häuslichen Bildern und Scelenstimmungen mit großer technischer Vollendung, aber bereits gepaart mit eitler Selbstbespicgelung „bald wunderbar innige, zarte und zärtliche. bald in unwiderstehlicher Begeisterung prachtvoll anftönendc Accorde zu einer klangvollen Harmonie vereinigte, die dem Wohllaut eines reichen Glockengeläutes glich". Kann man dem Lyriker Victor Hugo einen richtigen Blick in das Seelenleben der Menschen und eine gemüthvollc Empfänglichkeit für alle Empfindungen und Stimmungen des Herzens nicht absprechcn, so erscheint er dagegen als Drama tiker unnatürlich, übertrieben und widerwärtig. Ucber dem Streben, die Fesseln der klassischen Schule zu sprengen und an die Stelle der glatten, formalen und conventionellen Poesie früherer Zeit eine inhaltreichere, mehr durch die Ideen und den Stoff, als durch äußere Vorzüge wirkende Dichtung zu setzen, verletzte er nicht selten die ewigen Gesetze der Kunst, der Schönheit und des Geschmacks, und von dem Grundsatz qusgehcnd, daß Alles, was sich in der Natur findet, auch in der Kunst vorhanden sein müsse, daß die Wirklichkeit aus der Vereini gung zweier Grundclemente, des Erhabenen und des Grotesken bestehe, gericth er ins Rohe. Uebertricbcnc und Abschreckende. Indem er die sogenannten drei Einheiten und andere willkürliche Regeln einer mißverstandenen Poetik ver nichtete, stürzte er sich in den regellosen Gegensatz, wo Gräuel, Blutschuld, Un natur und Entsetzen walten und statt einer knnstmäßigcn Anlage und Entwicke lung irgend ein Veri8 ex nmelliiiL die Lösung hcrbeiführt. „In seinen Dra men begegnet uns fast immer ein pcrsonificirtcs diabolisches Prinzip, herzlos.