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II. Literatur u. Geistesleben ini neunzehnte» Jahrhundert. 931 Gesinnung wieder Ausdruck gab, zugleich aber seinen sichtbaren Mangel an großen politischen Prinzipien und an ernsten staatsinännischcn Ucberzcugungen hcrvor- treten ließ; er verfaßte „Bekenntnisse", in denen, wie bereits erwähnt, sich seine Eitelkeit und Selbstgefälligkeit abspiegelte. Auch für die Bühne vcrwerthcte er seine geschichtlichen Studien in dein Drama „Toussaint Louvcrture", worin er die Negcrrevolution von St. Domingo und die in das Trauerspiel, verflochtenen Personen in ergreifenden Situationen und Scelenkämpfen vorführte. Zu dieser literarischen Vielgeschäftigkeit, heißt es in einem deutschen Nachruf bei seinem Tod, wurde Lamartine weniger aus Neigung als aus Bedürfniß hingedrängt. Er steckte tief in Schulden, und um Geld zu machen, schrieb er alles Mögliche, eine Geschichte der Restauration, eine Geschichte der Türkei, eine Geschichte Ruß lands und was nicht sonst? Alles oberflächlich, schielend und wcrthlos. Es wurden Ausgaben von seinen Schriften veranstaltet, die eine verhüllte Sub scription für ihn waren, es wurde insgeheim und öffentlich für ihn gesammelt, aber alles Geld ging bei ihm wie durch ein Sieb. Lamartine war so zu sagen der Großbcttler Frankreichs, und nahm Gaben vom Kaiser und von aller Welt an. Seine persönliche Würde konnte natürlich nicht dadurch gewinnen, und gern lassen wir den Vorhang fallen über den letzten traurigen Act seines Lebens. Weder als Dichter, noch als Geschichtschreiber, noch als Staatsmann war La martine ein Genius ersten Ranges, aber er war doch eine edle feine Erscheinung und hat in der Geschichte eine merkwürdige Rolle gespielt. Er ist mehr unver geßlich, als unsterblich. Die politische Wirksamkeit und den mannichfachcn Meinungswechsel thcilte mit Chateaubriand und Lamartine auch das dritte Haupt der romantischen Schule, Victor Hugo, ein beweglicher, überschwenglicher, von den Stimmun gen des Tages beherrschter Dichter. Sohn eines bonapartisch gesinnten Mili tärs, welcher der Republik und dem Kaiserreich in Calabricn, in Spanien und an andern Orten gedient, und einer bourbonisch gesinnten Mutter aus der Vcndee. erhielt er schon in seiner frühesten Jugend, die er abwechselnd in Italien, Spa nien und Frankreich verlebte, verschiedenartige politische Eindrücke. Doch siegte anfangs der mütterliche Einfluß, daher er auch in seinen ersten lyrischen Gedich ten als eifriger Royalist auftrat und sich durch die enthusiastische Verherrlichung des geheiligten Königthums und der Bourbonen, der Geburt des Wunderkindes als „Findung Mosis" u. A. die Gunst Ludwig's XVIII. und ein Jahrgehalt erwarb. Noch im Jahr 1823 feierte er den spanischen Feldzug init hoher Be geisterung, bei Ludwig's XVIII. Begrübniß verwünschte er die Jacobincr und Königsmörder und in dem Festgedicht auf Karl's X. Krönung wetteiferte er in royalistischem Hochgefühl mit Lamartine. Dieser überspannte Royalismus hielt jedoch nicht Stand. Die Ode auf die Säule (1827) war der Vorbote seines Gesinnungswechsels, der jedoch erst nach der Julirevolution in voller Offenheit hervortrat. Zunächst wurde er begeisterter Verehrer Napoleon's, den er bei Ge- 59"