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928 L. Bom Wiener Longrcß bis zur Julirevolution. Guiraud 1788—1848. Lamartine 1791-1869. wurde er ohne priestcrliche Mitwirkung bei den Armen auf Pere Lachaise be graben unter großer Betheiligung des Volks. Einen ähnlichen Gang geistiger Entwickelung machte Alex. Gu iraud, der in Romanen, in einem christlichen Epos „Flamen" und in einer „katholischen Phi losophie der Geschichte" die Gegensätze und Kämpfe der bösen und guten Elemente in der Menschenwclt darstellte, um zu beweisen, daß die Theokratie und der christliche Socialismus die beste Staatsordnung sei. Die römische Kirche wußte aus jeder politischen Umwandlung Vvrtheil zu ziehen. Klerikale Zeitschriften, wie die „Gazette de France", gegründet von Abbe Genoude, dem Verfasser der „Geschichte einer Seele". Selbstbekenntnisse im Sinne Augustin's, wie die „Qnotidienne" unter Ber- rycr's Einfluß, wie das „Univcrs" des fruchtbaren und fanatischen Publicisten und Romanschriftstellers Louis Veuillot, empfahlen den päpstlichen Absolutismus als Heilmittel aller politischen Krankheiten, die Kirche als Stütze und Beschützerin aller Gewalt, möge sie auf dem Throne oder in der Hand des Volkes ruhen. Zu den ersten Größen der französischen Literatur dieser Zeit gehört Alphonse de Lamartine aus Macon, der Chalcaubriand's christliche Poesie lyrisch fort führte. Lamartine hat die beiden Seelenrichtungen, die im Anfang des neun zehnten Jahrhunderts am meisten Beifall fanden, kirchliche Frömmigkeit und Ratursinn, in der frühesten Jugend eingesogen. Aus den Erzählungen über sein Leben, die er mit großer Selbstgefälligkeit und Redseligkeit der Welt mitgetheilt hat, erfahren wir, daß seine Mutter, eine schöne imponirende Frau, an einer geweihten Stelle ihres Gartens regelmäßige Andachtstunden gehalten und fort laufende Tagebücher über ihren geheimen Umgang mit Gott geführt, daß er in der Jcsuitenschule zu Belley, an der Grenze von Savoyen, den religiösen Hang, den er im väterlichen Schlosse empfangen, bis zur Schwärmerei ausgebildet, zugleich aber auch die Liebe zur Natur in seine Seele aufnehmend. Mit sicht lichem Wohlgefallen erzählt er ferner, was für ein schöner, feiner, allgemein be wunderter junger Mann er gewesen, wie er im Jahre 1809 auf einer Reise nach Unteritalien sich in das Volkstreiben gemischt, in einer Fischerfainilie auf der Insel Procida einige Zeit ein sentimental-idyllisches Leben geführt und mit der schönen Fischerstochter ein Liebesvcrhältniß unterhalten, in Folge dessen die zarte Jungfrau, als er im nächsten Jahre in die Heiinath zurückkehrte, bald darauf aus Kummer und Sehnsucht ins Grab gesunken sei. Ziellos, blasirt, melancho lisch, verbrachte Lamartine die nächsten Jahre, bis er im Umgang mit einem Landprediger, dem Abbe Dumont, dessen Lebensschicksale und Seclcnkämpfe den Stoff zu „Jocelyn" lieferten, und durch den Verkehr mit einer körperlich leiden den schwindsüchtigen jungen Dame von pantheistischen Anschauungen, Elvira oder Julie, zu poetischen Produktionen geführt ward, die seinen Namen schnell in ganz Frankreich berühmt und ihn zum gefeierten Dichter machten. Ein Gegner der kalten Verstandesrichtung der alten Zeit, stimmte Lamartine in seinen ersten Dichtungen „poetische Meditationen", „neue poetische Meditationen" und