II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnte» Jahrhundert. 923 redigkeit und Selbstüberschätzung die Spuren des Alters an sich. Man gewinnt daraus den Eindruck, daß er in seinen Lebensansichten sich vielfach nach den Zeituiustäudeu, nach der herrschenden Meinung richtete, daß seine Begeisterung oft mehr eine gekünstelte als aufrichtige und wahrhaftige war. Er bewegte sich fortwährend zwischen zwei Leben, die mit einander nichts zu thun haben, dem poetisch tränmcndcn und dem thätigen. Mit Chateaubriand trat ein neues Element in die französische Literatur ein und gewann bald einen breiten Boden, die Romantik und die Poesie des katho lischen Christenthums. Daß die deutsche romantische Dichtung der Zeit nicht ohne Einfluß gewesen, haben wir oben angcdeutet. Nicht als ob eine bewußte Nachahmung stattgcfunden hätte, allein der vorherrschende Zug des Jahrhun derts führte in beide» Ländern zu denselben Wegen und Anschauungen. Auch in Frankreich nahm die Romantik fortan eine bedeutende Stellung in den poeti schen Erzeugungen ein, wenn sie auch nicht so sehr die andern Richtungen über flügelte wie in Deutschland. Mehrere der namhaftesten und einflußreichsten Schriftsteller der Bourbonischen Zeit verfolgten dieselbe Bahn. Sv in erster Linie Chateaubriand's Freund und Gesinnungsgenosse, der Vicomte v. Donald, der^aid^ schon als Emigrant zu Heidelberg während der Revolutionszeit das legitime Königthum in einer dunkeln metaphysischen Schrift anprics, nach der Restau ration einer der thätigstcn Vorkämpfer der absoluten Monarchie und des kirch lichen Ultramontanismus war und die verhaßte Volksherrschaft durch eine „Herrschaft Gottes", durch eine neue Theokratie mit hierarchischen Stützen ver drängen wollte, bis die Julirevolntion seiner Wirksamkeit ein Ziel setzte. Schon Bonald war ein Anhänger des Jesuitenordens und ein Verfechter der päpstlichen Unfehlbarkeit; aber noch eifriger und geschickter kämpfte für beide der Graf Joseph de Mai st re aus Chambery in Savoyen, seit 1803 längere Zeit sardini- scher Gesandter in Petersburg. Äm bürgerlichen Leben unsträflich, gerecht und einfach, ein heiterer liebenswürdiger Gesellschafter und Weltmann von feinen Manieren, aber eitel und eingebildet ans seine literarische Virtuosität und die Unfehlbarkeit seiner Gedanken und Ansichten war er ei» hervorragender Kämpe für das Prinzip der Erhaltung und des Rückschritts. Schon im Jahr 1795 sprach er in den „Betrachtungen über die französische Revolution" den Gedanken ans: der Mensch sei eine blinde Maschine in der Hand Gottes und die Gräuel der Revolution seien die göttliche Züchtigung für die Auflehnung gegen seine Souvcränctät. Von Frankreich sei der Umsturz der göttlichen Institutionen ausgc- gangcn, von da müsse auch die Wiedereinführung und die Umkehr ausgchen, das sei die providcnticlle Aufgabe des Landes. I» seinen Schriften „über das Papstthum", „über die gallicanische Kirche" und in seinen „Petersburger Aben den" sieht er nur in einem theokratischen, absoluten Königthnm und in der unbe dingten Herrschaft der Kirche auf dem ganzen geistigen Gebiete das Heil für die durch die Erbsünde verderbte Menschheit. Er bricht nicht nur über die ganze