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922 B. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolution. nur sein »Itineraire« ansehe» darf, sondern auch die epische Dichtung „die Märtyrer", worin er die Vorzüge des Christenthums vor dem griechischen Hei- dcnthuni in glänzenden und erhabenen Zügen, aber mit vieler Uebertreibung, Unwahrheit und Parteilichkeit darzuthun sucht. In der „Pilgerfahrt nach Jerusalem" sind die Eindrücke und religiösen Gefühle des pilgernden Dichters, die Empfindung bei dem Anblick der heiligen Orte, die mächtige Wirkung der vom historische» Hauche geweihten Natur des Morgenlandes treu und anziehend geschildert. „In allen Schriften Chateaubriand's", urtheilt Schlaffer, „findet man glücklich gewählte Bilder und Ausdrücke, Frische, Originalität und dichterisches Leben; aber man darf nicht erwarten, daß die Begriffe, die er vorträgt, die ruhige Prüfung des Verstandes aushaltcn, oder auch nur, daß sie unter sich übereinstimmen, noch viel we niger, daß sie ein harmonisches Ganze bilden. Sobald er über das Malen und über die Ausführung gewisser Sätze im Kleinen hinauskommt, sobald die Gegenstände größer werden, darf man seiner Beweisführung nicht mehr trauen. Man sucht das Urtheil eines ruhig prüfenden und forschenden Weisen vergeblich bei ihm; man findet dagegen überall das Colorit eines sarbcnkundigen, erfinderischen Malers. Sein Stil ist zuweilen allerdings erhaben; allein er finkt stellenweise auch sehr tief herab; dies merkt man dann am meisten, wenn er die Nachahmung der Alten zu weit treibt und dadurch kalt wird. Gleichwohl ist bei allem seinem Anschmiegen an den Geschmack der vornehmen Welt seiner Zeit etwas von der Unabhängigkeit der ihm in frischer Jugend in den amerikanischen Wildnissen zu Theil gewordenen Eindrücke zurückgeblieben. Unerwartete Wendungen, originelle Färbung geben ihm eine künstliche Grazie, welche in unfern Zeiten, nachdem man zweihundert Jahre hindurch aus eine ganz einförmige Weise ge schrieben hat, anziehender und reizender erscheint als die natürliche Grazie, die uns, weil sic nichts Auffallendes hat, gemein und altmodisch vorkommt". Als mit der Restauration Chateaubriand's religiöse und politische Ansichten den Sieg erlangten, ging für den Dichter das goldene Zeitalter an. Noch in den kritischen Tagen des Schwankens und der Unbestimmtheit hatte seine mit Schmähungen, Lügen und Ucbertreibungen gegen Napoleon gefüllte Schrift „Von Bonaparte und den Bourbonen" einen solchen Einfluß auf die öffentliche Stimmung in Frankreich geübt, daß sie Ludwig XVIII. an Werth einer Armee glcichstellte. Bald wurde er nun Minister, Gesandter an verschiedenen Höfen, Thcilnchmer am Congreß zu Verona, Verlhcidiger der legitimen Königsmacht in mehreren politischen Schriften, doch trieb ihn seine wandelbare und elastische Natur auch manchmal zur Opposition. Der Ultraroyalist und Verbündete der j Heiligen Allianz theilte zeitweise das Heerlager der Liberalen. Als Anhänger und Verfechter der Legitimität trat er nach der Julirevolution aus der Pairs- kammer und verthcidigte die Rechte der älteren Bourbonischen Linie in verschie denen Flugschriften, mit heftigen Schmähungen auf Louis Philipp und seine Anhänger, bis der klägliche Ausgang der Herzogin von Berry in der Vendee seinen romantischen Royalismus schwächte. Seine Denkwürdigkeiten „vowjenscit des Grabes" (uaairroirss ä'outra-toirrbe) tragen in ihrer geschwätzigen Ruhm-