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II. Literatur u. Geistesleben im neunzehnten Jahrhundert. 917 Romane, besonders durch die Corinna, „in welcher das Ideal eines nach gesell schaftlicher Berechtigung ringenden Weibes mit glühender Phantasie gemalt" und zugleich ein reizendes Bild von Italien entworfen wird, wurde sie die Vorläu ferin der socialen Romane der George Sand. „In der Corinna und in der Delphine", urtheilt Schlaffer, „wird die kecke und nackte Vcrthcidigung der Sinnlichkeit in der Liebe, die in den Romanen der George Sand ohne Scheu vorgctragcn wird, unter dem Sophisma vom Gebundenst!» des WeibcS an Convcnicnz und von der Freiheit des Mannes versteckt. Corinna hat außer der genialen Leichtfertigkeit mit Goethe's Wilhelm Meister auch die Aehnlichkeit, daß sich in ihr Alles um dcclamatorische Poesie dreht, wie bei Goethe um Kunst, und auch darin gleicht sie den in höheren Kreisen am meisten gelesenen Meisterstücken unseres ari stokratischen Dichters, daß in ihr wie bei diesem und bei Hcinsc Italien zum irdischen Paradiese wird. Als unser deutsches häusliches Leben als Philistcrthum, unsere Natur als nordische Prosa, unsere Religiosität des Herzens und Verstandes als Mangel an Kunstsinn und Beweglichkeit dargcstellt ward, seufzten alle zarten Herzen in Berlin und Dresden nach Papismus, nach Italien als dem Lande, wo Citronen blühen, Orangen glühen, Castratcn fingen und fromme Kunst den Mangel der Sittlichkeit erträglich macht. Die Corinna hatte ähnliche Wirkung in den Pariser SalonS und die Stack krönte sich selbst, als sie in dithyrambischer Prosa ihre Corinna zur Krönung auf das Capitol führte". Nach Napoleon's Sturz kehrte Frau von Stael nach Paris zurück, jwo sie bis zu ihrem Tode auf die Literatur und das öffentliche Leben Frankreichs iin Geiste des liberalen Constitutionalismus zu wirken fortfuhr. Aus ihrem Kreise in Coppet gingen die Männer hervor, die, wie ihr Schwiegersohn, der Herzog von Broglie. ihr Freund Benjamin Constant, der Historiker und Staatsmann Gnizot u. A., während der Restauration und unter Louis Philipp's Regierung an der Spitze der konstitutionellen Opposition standen und für Aufklärung und Fortschritt thätig waren, oder wie Bonstctten, der Vermitteler deutscher und französischer Literatur, der Geschichtschreiber Sismcmdi u. A., humane und libe rale Bildung zu fördern suchten. Als Vorläufer der Tochter Nccker's kann der als Publicist und diplomatischer Unterhändler thätige Genfer Maltet du Pan gelten, dessen „Betrachtungen über die französische Revolution" u. s. w. die ge mischte Rcgicrungsform als die der menschlichen Natur am meisten entsprechende Staatsordnung empfahlen, auf den Erfahruugssatz sich stützend, daß die Demo kratie stets dem Militärdcspotismus den Boden bereite. Auch Madame Reca- mier, die liebenswürdige und reiche Dame, welche alle Größen der Zeit in ihre Salons zu ziehen und zu ihren Verehrern zu machen verstand, gehörte dem Kreise der verniittelndcu Richtung an, die man auch als die„GenferSchule" bezeichnet hat. Als die Häupter dieser Richtung während der Restauration darf man die DK m«»» uns bekannten Staatsmänner, Deputaten und Schriftsteller B. Constant. Roher T-hum""" Collard, Cousin u. A. betrachten Benjamin Constant, ein frühreifes Talent ohne eigentliche Kindheit, der sich allen Eindrücken hingab, ohne etwas Ernst- liches dabei zu empfinden, in einer zahllosen Menge von Briefen die kalte Ironie