Sl6 u. Vom Wiener Congreß bis zur Julircvolutiou. da sie ihres Vaters Finanzverwaltung in einer viclgelcsenen Schrift pries, bis kurz vor ihrem Tode, da sie ihre „Betrachtungen über die französische Revolu tion" bekannt machte, hat sie in den verschiedenen Perioden des Lebens Schriften politischen Inhalts bald über bestimmte Zeitereignisse („Betrachtungen über den Prozeß der Königin" u. a.), bald über allgemeine Fragen („Betrachtungen über den Frieden" ; und die halb politische, halb philosophische Schrift „über den Ein fluß der Leidenschaften auf das Glück einzelner Menschen und ganzer Staaten" u. a. m.) verfaßt. In der Gattung der ästhetisch-socialen Schriften nimmt das geistreiche Buch „über die Literatur in Bezug auf die socialen Einrichtungen" und das bekannte Werk „über Deutschland", die Frucht eines länger» Aufenthalts in Weimar und Berlin sowie des Verkehrs mit A. W. Schlegel und den Roman tikern, die erste Stelle ein. Das Lob, das in dem letzten! Werke dem Charakter und der poetischen und philosophischen Natur der Deutschen gespendet ward, reizte Napoleon so sehr, daß er durch seinen Polizeiminister Savary das Buch in Frankreich verbieten und die erste Anflage mit Beschlag belegen ließ. Frau v. Stael rühmte darin den Reichthum von Ideen, der sich in Dichtung und Wissenschaft kund gebe, den religiösen Sinn des Volks, der sich neben aller Geistesfreiheit des Einzelnen erhalten habe, die idealistische Philosophie, die der materialistischen Richtung ihrer Landsleute einen Damm cntgegcngeworfen. Im Gegensatz wider die gesetzgebende Autorität der französischen Akademie und ihrer sprachordnenden Tyrannei pries sie das Selbstvertrauen und die Selbstherrschaft des deutschen Geistes, der sich selber Gesetz und Regel sei, der bei all' seiner Freiheit in der Dichtung nicht zu einer „Anarchie des Geschmacks, sondern zum Jdealbegriff der Kunst und zu einer reichsten Mannichfaltigkeit der Erzeugnisse geführt habe". In allen Schriften der Frau von Stael entdeckt man ein klares gemäßigtes Urtheil, Achtung vor jeder echten Natur und Seelenrcgung und Anerkennung aller berech tigten Cigenthümlichkeiten. Sie verfocht die Individualität der Völker und der Einzelnen gegenüber dem romantischen Katholicismus; gegenüber der nüchternen Verstandesrichtung der Aufklärung nahm sie die Unmittelbarkeit der Empfin dung in Schutz; gegenüber dem konventionellen Formalismus der vornehmen Gesellschaft trat sie für Genie und Originalität in die Schranken; gegenüber der Frivolität empfahl sie Sittlichkeit und moralischen Ernst; gegenüber der mate rialistischen Zeitströmung redete sie dem Idealismus das Wort. Nach ihrer Ver bannung aus Paris bereiste Frau von Stael die meisten Länder Europas und hielt sich abwechselnd in Coppet, dem reizenden Landsitze am Gensersee auf. Ihre Ncisceindrückc hat sie in dem Buche „Zehn Jahre der Verbannung" und in verschiedenen Werken nicdergclegt. Unter diesen haben die beiden Romane „Delphine", eine Nachbildung der „Neuen Heloise" Roufseau's, in Briefen voll melancholischer sentimentaler Stimmungen, und „Corinna", worin weibliche Wesen im Kampf init den durch Sitte, Herkommen und Convenienz gesetzten Schranken geschildert werden, die größte Bewunderung erregt. Durch diese