Volltext Seite (XML)
914 L. Vom Wiener Congreß bis zur Julirevolutio». fische Poesie zurückführte, war von minder biegsamem Charakter. Wohl hatte auch er wie seine ganze Familie den Anbruch der Revolution als die Morgen- röthe einer neuen Zeit freudig begrüßt; aber ein Freund coustitutioncller Staats verfassung, die er während eines längeren Aufenthaltes in England kennen und achten gelernt, gerieth er bald bei den republikanischen Machthabern in Verdacht, zumal er in einer Elegie auf den Tod der Charlotte Corday Gedanken und Ge fühle ausgesprochen, die dem herrschenden System von Volksfreiheit gefährlich erschienen. Er kam in Haft und büßte für seine Opposition gegen den republi kanischen Vandalismus auf dem Schaffst, von dem ihn umsonst sein Bruder als Conventsmitglied zu retten suchte. Kurz vor seinem Tod dichtete er die herrliche Elegie, zu Ehren seiner schönen Mitgefangenen, Anna Francoise de Coigny, ge schiedene Herzogin von Fleury, „die junge Gefangene", welche Lamartine „den melodischsten Seufzer, der je aus den Spalten eines Kerkers hervordrang", genannt hat. Einen tiefen Eindruck machten besonders die Verse, worin der Dichter, jung und vom Beile bedroht, wie die von ihm besungene junge Dame, sein eigenes Bangen so rührend ausspricht. Wie Rouget de l'Jsle die kriege rische, so repräsentirt Andre Chenier die elegische Seite der Revolution. Wäh rend des Kaiserreichs war die Poesie gekünstelt und frostig. Ihr fehlte „der tiefe Athen, des Gemüths". Die bessern unter den Dichtern der Zeit besaßen ein oratorischeS Talent, das sie in wohlklingenden Versen niederlegten, ihre Werke waren abre von keiner natürlichen Wärme beseelt. Die beiden Brüder Chenier waren die Söhne des auch durch schriftstellerische Ar beiten bekannten Generalkonsuls in Constantinopel und hatten eine griechische Mutter. Anfangs der militärischen Laufbahn sich zuwcndend, gaben beide in der Folge diesen Stand auf, um sich der Literatur und den Studien ungehindert widmen zu können. Das erste epochemachende Stück M. 2. Cheniers war das Drama »Olmriss IX.«, das sowohl durch die Schilderung der Bartholomäusnacht als durch das ergreifende Spiel Talma's den im Volke lebenden Tyrannenhaß nährte. Nicht als ob das Stück die revolutionären Bewegungen und den Haß gegen die Priester und gegen die Bour bons zuerst erregt hätte, sondern Chenier ließ nur auf der Bühne in pomphaften Ver sen aussprechen, was das Volk im Stillen dachte und empfand. Cr schuf jedoch keine neue Gattung von Drama, sondern paßte nur Voltaire's alte Manier dem demagogi schen Bcdürfniß an. „Als M. 2. Chenier kühn genug war, in der Person Karl'sIX. einen Fürsten darzustellcn, der im Dienste des Fanatismus auf seine Untcrthanen feuerte, drängte er in ein einziges Stück die ganze Summe deS Hasses und alle Hoff nungen zusammen, welche alle Dichter der letzten fünfzig 2ahre kundgcgeben hatten". Wie in Karl IX. schmeichelte M. 2. Chenier auch in den folgenden Dramen (»Henri VIII.«; »ls. inort äs Oalss«) den Leidenschaften und der herrschenden Stim mung des Volks. DaS demagogische Stück »Onjns Ornssbus« diente den 2acobincrn und Cordeliers gegen die Girondisten und hatte großen Erfolg. „Von Handlung war kaum die Rede, aber die strenge leidenschaftliche Declamation, der kräftige Ausdruck des Patriotismus, das Fieber der Freiheit und Gleichheit regten die Menge auf". Auch die Terroristen Collot d'Herbois, Fabre d'Eglantine, Ronsin suchten durch republikanische Schauspiele in ihrem Sinne auf die öffentliche Meinung zu wirken. Seine politischen Ansichten während der Herrschaft des Convents gab